Brandenburg: Lebenslänglich.
Das Landgericht Potsdam spricht Heinrich Scholl, den Ex-Bürgermeister von Ludwigsfelde, des Mordes an seiner Frau für schuldig
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Potsdam - Heinrich Scholl sackte kurz in sich zusammen, wankte, musste sich abstützen, die Hände verkrampft an der Tischkante, als der Richter das Urteil verkündet. Ein Raunen ging durch den Saal: Lebenslange Haft für den früheren Bürgermeister von Ludwigsfelde wegen Mordes an seiner Frau. „Er tötete am 29. Dezember seine Ehefrau Brigitte Scholl und ihren Hund in einem Waldgebiet bei Ludwigsfelde. Daran bestehen keine vernünftigen Zweifel. Er hat sich wegen Mordes strafbar gemacht“, sagte der Vorsitzende Richter Frank Tiemann.
Damit endete am gestrigen Dienstag nach sieben Monaten und 30 Prozesstagen mit 100 Zeugen ein Prozess, der wohl in die brandenburgische Justizgeschichte eingehen wird. Nicht nur wegen des enormen Aufwands, den die 1. Große Strafkammer des Potsdamer Landgerichts betreiben musste, um die Mordanklage der Staatsanwaltschaft zu prüfen. Sondern auch wegen Heinrich Scholl selbst. Der 70-Jährige war Mitgründer der SPD zum Ende der DDR und einer der erfolgreichsten Bürgermeister in Brandenburg, der den Transporterhersteller Daimler und den Triebwerkshersteller MTU nach Ludwigsfelde holte, damit den alten Industriestandort und Arbeitsplätze rettete, der für den Bau einer Therme und in seiner Stadt für einen in Ostdeutschland beispielhaften wirtschaftlichen Aufschwung sorgte. Selbst Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) kam deshalb nach Ludwigsfelde.
Das Interesse am Mordprozess war entsprechend groß, jedes Mal saßen mehrere Bürger aus Ludwigsfelde im Gerichtssaal. Dort lernten sie die andere Seite der Scholls kennen, erfuhren, dass die Ehe für beide eine Hölle war. Bei der Urteilsverkündung musste viele Besucher draußen bleiben, weil die Plätze schnell belegt waren.
Seine viereinhalbstündige Urteilsbegründung begann der Vorsitzende Richter Frank Tiemann, dessen Urteile als gründlich und vergleichsweise revisionsfest gelten, mit einem Fachvortrag über das Wesen eines Indizienprozesses. Denn tatsächlich gab es nicht den einen entscheidenden Beweis für Scholls Schuld, nicht den einen Tatzeugen. Selbst die Spurenlage am Tatort war umstritten, die Zeugen und ihrer Erinnerungen widersprachen sich. An manchen Prozesstagen machte es den Eindruck, als säße Scholl unschuldig vor dem Gericht. „Jeder Beweis ist ein Indiz,“, sagte Tiemann. Das Gericht habe einen „Riesenwust, eine unglaubliche Fülle an Tatsachen“ und zahlreiche scheinbar konträre Aussagen von Zeugen, die teilweise einem Irrtum in ihrer Erinnerung aufgesessen seien, bewältigen müssen.
Tiemann legte in der Urteilsbegründung die Aussagen übereinander, arbeitete Querverbindungen und den Kern aller Zeugenangaben heraus, zog dabei selbst Wetterdaten und Rechnungen hinzu. „Eine fehlerfreie Aussage vor Gericht ist praktisch nicht möglich“, sagte der Vorsitzender Richter. Er legte dar, warum Zeugen glaubhaft sind, die Scholl und seine Frau am Tattag kurz vor dem Mord in der Nähe des Tatorts gesehen haben. Was dran ist an Aussagen von Ludwigsfeldern, die die Eheleute tags zuvor oder danach sahen. „Viele Zeugen waren besorgt, irgendetwas zu sagen, was Heinrich Scholl belasten könnte, weil keiner sich vorstellen konnte, dass Herr Scholl seine Frau tötet, ausgerechnete der ehemalige, honorige Bürgermeister“, sagte Tiemann. Wie bei einer SPD-Genossin des Ex-Politikers, die mit ihrer entscheidenden Aussage zögerte, Zweifel hatte, von ihrem Vermieter, einem SPD-Mann und Spargelbauern, unter Druck gesetzt wurde.
Nach der Urteilsbegründung bleibt für die Ludwigsfelder aber ein wenig schmeichelhaftes Bild ihres Ex-Bürgermeisters, in Kurzform: Seine Frau war dominant, pedantisch, Scholl litt darunter, Bestätigung sucht der kurze Mann im Job, auch in einer Affäre, was bei Brigitte Scholl Selbstmordgedanken auslöste. „Er war ein Macher“, der sich als Bürgermeister den Beinamen „König Heinrich“ erwarb, sagte Tiemann.
Als Scholl nach 18 Jahren als Rathauschef in Pension ging, floh er regelrecht, nahm eine Wohnung in Berlin-Zehlendorf, besuchte Bordelle, Singleklubs, lebte wieder richtig auf und landete bei einer Thailänderin, verliebte sich, unterstützte sie, kaufte teure Handtaschen, neue Möbel. In der Summe waren es 70 000 Euro. „Es war ein Jungbrunnen für ihn“, so Tiemann. Die Thailänderin aber wollte irgendwann nicht mehr, weil ihr Scholl zu kontrollwütig und eifersüchtig war. Scholl ging das Geld aus, er gab die Wohnung auf und ging im November 2011 zurück zu seiner dominanten Frau – für ihn eine Demütigung, sie nannte ihn „Wurzelzwerg“. Bereits zu dieser Zeit habe Scholl den Vorsatz, spätestens aber am 29. Dezember, einen Tag nach dem 47. Hochzeitstag, an dem er ihr rote Rosen schenkte, den Mordentschluss gefasst – auch wegen des Geldes, weil die Scheidung für ihn eine finanzielle Katastrophe gewesen wäre, wie Tiemann sagte. „Er wollte nicht zurück in sein altes Leben. Das wäre widersinnig, er wusste, das ist die Hölle, es hat ihn krank gemacht.“ Scholl wollte zur Thailänderin, schrieb ihr in diesen Wochen zahlreiche SMS.
Nach Ansicht des Gerichts spielte sich die Tat so ab: Scholl begleitete seine Frau am 29. Dezember mittags beim Gassigehen mit ihrem Cockerspaniel Ursus im Wald. Als sie sich zum Moossammeln Handschuhe anzog, schlug er ihr mit der Faust ins Gesicht, sie taumelte, fiel auf den Waldboden. Er kniet sich auf sie, erdrosselte sie mit einem Schnürsenkel, zog ihr – um ganz sicherzugehen – eine Tüte über den Kopf. Ds gleiche tat er mit Ursus. Er zog die Leiche teilweise, verletzt sie im Genitalbereich, steckte ihr Potenzpille und Kondom in die Hose. „Es ging ihm darum, ein Sexualdelikt vorzutäuschen“, sagte der Richter. „Es war Mord aus Heimtücke. Von einer Affekttat sind wir meilenwert entfernt. Alles war vorbereitet, das war Vorsatz, auch das auffällige Verhalten als besorgter Ehemann danach, er wollte gesehen werden in der Stadt, suchte Zeugen, die ihn entlasten, das war alles Show“ – die Suche, die Trauer am Grab. „Er wusste, sie kommt nicht zurück.“ Das Gericht sah kein Alibi für Scholl, der die Tat bestritt.
Matthias Scholl, der Adoptivsohn, der als Nebenkläger auftrat, weil er wissen wollte, wer seine Mutter tötete, was im Dezember 2011 geschah, hörte sich das alles an. Ab und zu nickte er, sah seinen Vater an. Lange hat er ihn nicht mehr in Untersuchungshaft besucht. Der Prozess sei auch Trauerarbeit gewesen, sagte sein Anwalt nach dem Urteil. Sein Mandant habe auf Gewissheit und ein unzweifelhaftes Urteil gehofft. Das habe sich erfüllt. Heinrich Scholl aber zeigt am Dienstag keine Regung, hielt die meiste Zeit den Kopf gesenkt, Blick nach unten, teilnahmslos. Nach dem Urteil ging es für ihn zurück ins Gefängnis. Er kann jetzt Revision gegen das Urteil einlegen.
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