Von Bernhard Schulz: Lernort des Schreckens
Das Dokumentationszentrum der Topographie des Terrors ist in Berlin eröffnet worden – nach jahrelangen Querelen
Stand:
Berlin - Grauer Himmel, graue Steine, graues Haus: Alles passte gestern zur Eröffnung des Neubaus der Topographie des Terrors zusammen. Das „Dokumentations- und Besucherzentrum“, wie es offiziell heißt, ermöglicht den jährlich 500 000 Besuchern, die Dauerausstellung zur Geschichte des Nazi-Terrors am Ort der Täter zu verfolgen und durch die Scheiben des großzügigen Neubaus das Gelände des früheren Prinz-Albrecht-Palais in Berlin zu überblicken. Hier befanden sich einst die Zentralen der Gestapo und des SS-„Reichssicherheitshauptamtes“, von hier aus wurde die Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden organisiert.
Eine „lange Zeit der Irrungen und Wirrungen“ sei „endlich zu Ende gegangen“, sagte gestern Berlins Regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit (SPD), hörbar erleichtert bei der Erstbesichtigung des Neubaus. Vorausgegangen war eine jahrelange Hängepartie, nachdem der Schweizer Peter Zumthor den ersten Wettbewerb 1993 gewonnen hatte. Sein Entwurf erwies sich als technisch undurchführbar, der bereits begonnene Bau musste abgerissen werden, knapp 13 Millionen Euro waren buchstäblich in den Sand gesetzt. Wowereit kartete gestern nach und sagte: „Die Kosten explodierten in einer gigantischen Größenordnung“, kartete Wowereit gestern nach“, – und verschwieg, dass die Bauverwaltung den Gang der Dinge jahrelang hatte schleifen lassen.
Den zweiten Wettbewerb gewann 2005 die Berliner Architektin Ursula Wilms aus dem Büro Heinle, Wischer und Partner, deren Entwurf nun für 21,2 Millionen Euro verwirklicht werden konnte. Der von Bund und Land Berlin jeweils zur Hälfte getragene Etat in Höhe von 38 Millionen Euro war nach der Verminderung durch das Zumthor-Debakel nicht mehr aufgestockt worden.
So konnten sich gestern auch die Vertreter des Bundesbauministeriums und des Kulturstaatsministers zufrieden zeigen. Der Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Andreas Nachama, ist es sowieso: Seine Wünsche hinsichtlich der Arbeitsbedingungen sind mit dem neuen Haus erfüllt worden. Im Hauptgeschoss des flach gelagerten, mit grauem Metall verkleideten Gebäudes befinden sich die Säle für Dauer- und Wechselausstellung, der Veranstaltungssaal und eine Cafeteria. Im großzügigen Foyer zieht ein Modell des Berliner Regierungsviertels im Zustand von 1939 die Blicke auf sich. Im Untergeschoss, halb ins Erdreich eingegraben und über eine breite Treppe zu erreichen, befinden sich die umfangreiche Bibliothek, die Mitarbeiterbüros sowie Seminarräume. Auf die Informationsvermittlung legt die Stiftung größten Wert, sie spricht von sich als „Lernort“.
Die Dauerausstellung, bestehend aus fotografischen und schriftlichen Materialien, stellt die überarbeitete Fassung der Dokumentation in der früheren, provisorischen Halle auf dem Gelände dar. Im Mittelpunkt steht die Geschichte des SS-Terrorsystems, wie es hier, in den Gebäuden des Prinz-Albrecht-Geländes, entstanden und zur Herrschaft über das besetzte Europa ausgebaut worden ist. „Es ist kein Zufall“, erläuterte Nachama, „dass die SS hier Quartier genommen hat, inmitten des Regierungsviertels. Der Terror war öffentlich, war Teil des Systems. Nur durch eine ungeheure Eskalation der Gewalt konnte sich das Regime 12 Jahre lang halten.“
Breiten Raum gewährt die Ausstellung der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen durch die Alliierten und danach in der Bundesrepublik. Der Besucher muss zur Kenntnis nehmen, dass von 106 496 Personen, gegen die Ermittlungen auf dem Gebiet der „alten“ Bundesrepublik eingeleitet wurden, lediglich 6498 rechtskräftig verurteilt worden sind. Ein neuer Fund ist die Ermittlungskartei der Berliner Staatsanwaltschaft gegen Mitarbeiter des „Reichssicherheitshauptamtes“. Von 530 ermittelten Personen kamen nur 16 vor Gericht, ganze drei wurden verurteilt. Wowereits wiederholter Hinweis auf „aktive Erinnerungsarbeit“ schlug den Bogen in die Gegenwart: „Wir haben eine gemeinsame Verantwortung, dass derartiges nie wieder geschehen kann, in Deutschland, Europa und der Welt.“ Ganz so umfassend will die Stiftung Topographie ihren Arbeitsauftrag nicht verstanden wissen, sie sucht vielmehr stets den Bezug zum authentischen Ort. So ist in der Ausstellung auch eine stark vergrößerte Luftaufnahme von 1947 zu sehen, die den enormen Zerstörungsgrad des Regierungsviertels belegt.
Später, nach der Teilung Berlins durch die Mauer 1961, verkam das Areal zur Brache. Das damals gewachsene Robinienwäldchen wird nunmehr sorgfältig gepflegt, als Zeichen für die Verdrängung der Nazi-Zeit nach dem Krieg. Auf dem Gelände ist ein Rundgang mit 15 Stationen angelegt, der die Geschichte des Ortes erläutert, vom hochherrschaftlichen Palais des preußischen Prinzen Albrecht, das dem Gelände den Namen gab, bis zu dem Auftreten einer Bürgerinitiative, der sich die erste Ausstellung im Jahr 1987 verdankt.
Neben dem „Kellergang“ entlang der freigelegten Grundmauerreste der Gestapo-Zentrale ist jetzt auch der Fußweg der Niederkirchnerstraße wiederhergestellt worden, unmittelbar entlang der Mauer, die hier in Teilen erhalten geblieben ist. „Hier war die Stadt geteilt“, betonte Wowereit: „Auch das macht diesen Ort so wichtig.“
Berlin, Niederkirchnerstr. 8, täglich 10–20 Uhr, Eintritt frei. Katalog zur Dauerausstellung 15 €, zum Rundgang 8 €. – mehr unter www.topographie.de
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: