Brandenburg: Liebe ohne Leiden
Hier nahm er seine Lieder auf, hier begeisterte er seine Fans bis zum Schluss. Udo Jürgens war eng mit Berlin verbunden – und weckte Sehnsüchte vor allem im Osten
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Er hat es immer wieder geschafft. Auch in Berlin. Fans bestürmten ihn nach jedem Konzert, jubelnd, singend, tanzend. Vor zehn Jahren etwa in der Max-Schmeling-Halle in Prenzlauer Berg. „Aber bitte mit Udo“, schrieb danach der Tagesspiegel. „Die Damen lagen ihm zu Füßen und schmissen Dessous. Die Halle kochte.“ Viele Male hat Udo Jürgens in seiner gut fünfzigjährigen Karriere für die Berliner in Ost und West gesungen, sie begeistert und ihrer Stadt Komplimente gemacht. Manchmal schwang da sogar noch mehr mit: eine zarte, langsam gewachsene Zuneigung des österreichisch-schweizerischen Troubadours zum geteilten und dann wiedervereinigten Berlin. Bei seinem letzten großen Auftritt in der O2-World vor fünf Wochen stellte Udo Jürgens gleich zu Beginn mit Schwung klar: „Ich liebe Berlin!“
Kaum war die Nachricht von seinem Tod bekannt, da kam schon aus dem Theater des Westens ein erster Nachruf. „Das trifft uns alle tief“, schreibt die Stage Entertainment GmbH, die das Theater betreibt. Ende März startet dort das Musical „Ich war noch niemals in New York“. Zur Premiere war Jürgens eingeladen, denn das Herz des Stückes sind zahlreiche seiner Hits. Man habe dafür eng mit ihm zusammengearbeitet, erinnern sich die Regisseure. „Es ist uns eine große Ehre, seine Musik nun auch verewigen zu dürfen.“
Auch die legendären Hansa-Studios am Potsdamer Platz, wo seit den 60er-Jahren zahlreiche weltbekannte Künstler ihre Songs aufnahmen, verkündeten noch in der Nacht auf ihrer Website: „Udo Jürgens wird uns sehr fehlen.“ Über viele Jahrzehnte habe er dort „großartige Werke entstehen lassen“. In den Studios wurden 80 Prozent seiner Alben produziert. Mitarbeiter, die diese Aufnahmen begleiteten, erinnerten sich am Montag: „Berlin war ein wichtiger Ort in seinem Leben. Er kannte sich hier gut aus.“ Udo sei „ein toller Kollege“ gewesen. „Es hat Spaß gemacht, mit ihm zu arbeiten.“
Solche Sympathien flogen Jürgens schon in den späten 50er-Jahren in Berlin zu, als er erstmals als Pianist und Sänger auffiel. Damals sollte der US-Jazzer Chet Baker in einem Westberliner Club auftreten, aber sein Klavierspieler fiel kurzfristig aus. Udo Jürgens wurde gefragt, ob er einspringen könne. Er griff in die Tasten – und „harmonierte bestens mit der Band“, erinnerten sich später Konzertbesucher. Auch beim Rias-Tanzorchester musizierte Jürgens in diesen Tagen zeitweise mit.
1967 startete er seine erste Deutschlandtournee. Zuvor hatte er mit „17 Jahr’, blondes Haar“ und „Merci Chérie“ Riesenerfolge gelandet. West- und Ostberliner waren begeistert. „Ich hatte unglaublich viele Fans in der DDR, es gab Leute, die geflüchtet sind, um ein Konzert von mir im Westen zu sehen“, erinnerte sich Udo Jürgens 2008 im Tagesspiegel.
Das hatten Dieter Hoffmann und seine Mitschüler 1967 nicht mehr nötig, denn die Abitursklasse des Lichtenberger Kant-Gymnasiums konnte damals das erste Konzert in der DDR im Friedrichstadt-Palast besuchen. Nach dem letzten tosenden Applaus hatten sie sich Großes vorgenommen, wie Hoffmann, heute 69 und pensionierter Physiker, erzählt. Sie überraschten Jürgens mit einem Besuch im Berolina-Hotel. Denn die Jungs ernannten Udo zum Ehrenmitglied ihrer Abitursklasse 12B3. Das gefiel dem Sänger. Später bedankte er sich bei den Schülern mit einer Ansichtskarte von der Côte d’Azur.
Rasch geriet Udo Jürgens zur Sehnsuchtsfigur in der DDR. Es gab ein zweites Konzert in Ostberlin und dann einen dritten legendären Auftritt im Friedrichstadt-Palast am 2. März 1987, als es in der DDR schon rumorte. SED-Chefideologe Kurt Hager spielte auf den Reformkurs in Moskau an und meinte, man müsse ja nicht gleich die Wohnung tapezieren, nur weil es der Nachbar tue. „Tapeten-Kutte“ hatte aber nichts dagegen, dass West-Stars in sein Himmelreich kamen. Das hob die Laune der Werktätigen.
In der Tat: Udo Jürgens’ Konzerte waren im Nu ausverkauft, wer gute Beziehungen zu einem Menschen mit guten Beziehungen hatte, bekam vielleicht ein Billett, aber „ich weiß ja, wie schwierig es war, Karten zu kriegen, und hier vorn in den ersten Reihen sitzen Leute, die mich eigentlich gar nicht kennen dürften“, witzelte der Sänger, jeder hatte die Anspielung auf die Jungs von der Stasi, die hier dienstlich herumsaßen, verstanden.
Doch auf einmal stockte dem Publikum der Atem. Ziemlich am Schluss der Hymne „Atlantis sind wir“, kam die Zeile: „Der Riss durch Berlin, der lautlose Schrei in die Welt hinaus...“. Es war ein großer Moment, ein Beifallssturm raste durchs Haus. Später bekannte der Sänger: „Ich hatte deutlich das Gefühl, dass man Bescheid weiß. Es wird nicht in alle Ewigkeit so gehen und es steht eine große Änderung bevor.“ Die erlebt Udo Jürgens hautnah am Tag des Mauerfalls. Nach einem Konzert in Berlin am 10. November ’89 trug er sich ins Gästebuch der Stadt ein – und eilte weiter zum Brandenburger Tor.
Szenen, die nicht wiederkommen. Aber bleiben. Auch in Berlin verdrängt nun die Trauer der Fans erst mal alle anderen Gedanken. Kaum jemand dachte zunächst an seine reservierten Karten fürs nächste geplante Konzert am 18. März 2015 in der O2-World.
An den Ticket-Schaltern gab es deshalb nur wenige Anrufe – und auch noch keinen Hinweis, was mit den Karten geschehen soll. Stattdessen wurde an eilends aufgebauten Ständen im Kulturkaufhaus Dussmann und anderen Buchläden des Sängers gedacht. Ein Hit dort: Die CD „Udo live“ – beim Open-Air-Konzert 2005 am Gendarmenmarkt.
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