Brandenburg: „Man hat mich mit unredlichen Mitteln bekämpft“
Der Lausitzer Bundestagsabgeordnete Wolfgang Neskovic ist aus der Linke-Bundestagsfraktion ausgetreten. In einem offenen Brief an Wähler seines Wahlkreises schildert er seine Gründe und Pläne. Nachfolgend die Erklärung im Wortlaut
Stand:
Ich möchte auch weiterhin für die Interessen der Lausitz im Bundestag eintreten. Seit 2005 bin ich Mitglied des Deutschen Bundestages. Dort arbeite und werbe ich für die Ideen und Vorstellungen für eine sozialere und gerechtere Gesellschaft. Vor vier Jahren habe ich als Parteiloser für die Partei DIE LINKE im Wahlkreis Cottbus/Spree-Neiße das Direktmandat gewonnen - gegen alle Erwartungen. Bei der Bundestagswahl 2013 möchte ich mein Direktmandat verteidigen. Ich will mich jedoch diesmal als unabhängiger Kandidat in Cottbus/Spree-Neiße zurWahl stellen.
1. Parteien haben kein Monopol auf politische Willensbildung. Unser Wahlrecht lässt es zu, mit der Erststimme unabhängige Kandidaten in den Bundestag zu wählen. Die Idee der Erststimme, die von Parteien unabhängig vergeben werden kann, soll eine lebhafte Demokratie und einen ehrlichen Meinungsaustausch jenseits von Parteizugehörigkeit ermöglichen. Politische Inhalte sollen auch ohne Parteibuch Einfluss im Parlament nehmen können. Es ist ein unverwirklichtes Recht, das in der Realität bislang kaum Bedeutung hatte. Dabei ist die mit der Erststimme verbundene Vorstellung eine ganz andere. Die Wählerinnen und Wähler sollen die Möglichkeit haben, die Macht der politischen Parteien zu begrenzen, indem sie auch unabhängige Kandidatinnen und Kandidaten in das Parlament wählen.
Ich hoffe, dass es den Menschen im Wahlkreis Cottbus/Spree-Neiße gelingt, diese ursprüngliche Idee wieder mit Leben zu füllen. Es kann gelingen – weil die Politik für das Land schlecht ist. Diese Politik braucht neue und unabhängige Impulse.
2. Zweimal bin ich als parteiloser Kandidat für die Partei DIE LINKE angetreten. Ein drittes Mal werde ich dies nicht tun. Dies liegt nicht an den politischen Inhalten der LINKEN. Diese Inhalte teile ich ganz überwiegend und werde mich auch weiter für sie einsetzen. Ich habe mir seit den Wahlen des Jahres 2009 viel Ärger eingehandelt, weil ich als Mitglied der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag die Politik der rot-roten Landesregierung konsequent intern und öffentlich kritisiert habe. Ich habe die Partei DIE LINKE an ihre inhaltlich richtigen Wahlversprechen erinnert. Dafür hat man mich mit unredlichen Mitteln bekämpft. Ich habe mich dagegen gewehrt.
Ich will meine Kräfte nunmehr nicht länger auf solche Abwehrkämpfe sowie auf Parteidisziplin und Hierarchien verschwenden. Ich möchte endlich wieder frei atmen können.
Hinzu kommt: Selbst wenn mich die Parteibasis nominieren würde, ist nicht erkennbar, wie angesichts des bisherigen Verhaltens der Parteiführung in Kreis und im Land Brandenburg dieses Votum der Parteibasis umgesetzt und ein engagierter und erfolgreicher Wahlkampf bestritten werden sollte.
Ich bin heute aus der Fraktion DIE LINKE im Bundestag ausgetreten.
3. Ein Wesensmerkmal der Parteienpolitik ist die Täuschung, andere Merkmale sind die hierarchischen Strukturen in Parteien und Fraktionen. Diese Elemente passen nicht zu meinem politischen Selbstbild. Mich treibt die Macht einer politischen Vision an und nicht die Vision von politischer Macht.
Die meisten Politiker sind mit dem politischen Apparat und dessen Vergünstigungen fest verwoben und entfernen sich dabei von den Erwartungen ihrer Wählerinnen und Wähler. Zu großer Form laufen Politiker meistens dann auf, wenn es darum geht, schlechte Politik durch wolkige Nullsätze schönzureden.
Während in der Käseglocke des Deutschen Bundestages und der Brandenburger Regierung ein seltsames Eigenleben tobt, wenden sich die Menschen enttäuscht von der Politik der Parteien ab.
Gleichwohl: Es geht auch anders. Das Engagement der Bürgerinnen und Bürger in der Lausitz für eine Energiewende ohne weitere Abbaggerungen von Dörfern für neue Tagebaue, das erfolgreiche Volksbegehren für ein konsequentes Nachtflugverbot, das breite Bündnis für eine klare Spree und den Erhalt des einmaligen Spreewaldes und nicht zuletzt der kraftvolle Protest gegen die Zerschlagung der BTU Cottbus und der Hochschule Lausitz zeigen, dass die Menschen nicht bereit sind, von Regierenden in Hinterzimmern getroffene Entscheidungen widerspruchslos hinzunehmen.
Politiker sollen die Interessen des Volkes vertreten. Wenn Parteitaktik und Machtstreben diesen Auftrag zur Makulatur werden lassen, wird Widerständigkeit zur Pflicht. Ich habe mich als Bundestagsabgeordneter in den vergangenen sieben Jahren an meine Wahlversprechen gebunden gesehen und für ihre Verwirklichung gekämpft. Ob ich damit den nach den Wahlen eingeschlagenen Partei- und Regierungslinien entsprochen habe, war dabei nicht ausschlaggebend. Für mich zählt keine Hierarchie der Parteistrukturen, sondern nur eine Hierarchie der Argumente. Die Gegenwehr, die ich hierfür aus den eigenen Reihen erfahren musste, die Unwahrheiten und Intrigen, die deswegen gegen mich erfolgten und noch immer erfolgen, bestärken mich darin, den Finger in die richtige Wunde gelegt zu haben. Von den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort habe ich für dieses Verhalten viel Anerkennung und Unterstützung erfahren.
Als unabhängiger Abgeordneter werde ich den Druck auf die Verantwortlichen für schlechte Politik weiter aufrechterhalten. Ganz gleich, welche Politik(er) welcher Parteien von meiner inhaltlichen Kritik betroffen sind.
4. Im Deutschen Bundestag habe ich verschiedene parlamentarische Initiativen vorangetrieben. Gesetzentwürfe zur Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips und zur Aufnahme sozialer Grundrechte ins Grundgesetz habe ich ebenso federführend erarbeitet wie Gesetzentwürfe zum Schutz der Pressefreiheit und zur Bekämpfung von Abgeordnetenbestechung. Anträge zu Einführung eines Lobbyistenregisters und Anfragen zum Rechtsstaatsdialog mit China, dem Antiterrorkrieg der USA oder zu Sanktionen bei Hartz-IV und vielen anderen Themengebieten (insbesondere gegen den Überwachungsstaat und für die Freiheit im Internet) stammen aus meinem Büro. Als Oppositionsabgeordneter sind meine Vorschläge zwar (noch) keine Realität geworden, zeigen aber Alternativen für eine bessere Politik auf.
Als parteiloser ehemaliger Bundesrichter ist es mir – trotz Mitgliedschaft in der Linksfraktion – auch gelungen, mehrheitlich beschlossene Gesetze mit zu beeinflussen. An der Reform des Gesetzes zur parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste war ich maßgebend beteiligt. Gegenwärtig bin ich Einreicher eines alternativen Gesetzentwurfes zum Verbot der Beschneidung von Jungen. Auch zur Präimplantationsdiagnostik und Patientenverfügung habe ich Gruppengesetzentwürfe mit erarbeitet.
Mir ist es als parteiloser Abgeordneter gelungen, in zahlreichen deutschen Tageszeitungen regelmäßig Namensbeiträge zu veröffentlichen. Vom Neuen Deutschland über die Lausitzer Rundschau bis zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung kann ich so für politische Vorstellungen werben. Auch im Funk und Fernsehen bin ich ein regelmäßiger Gesprächspartner, insbesondere zu innen- und rechtspolitischen Themen.
5. Neben der Arbeit im Bundestag ist die Arbeit in meinem Wahlkreis Cottbus/Spree-Neiße der andere Schwerpunkt meiner Tätigkeit. Ich habe mich zahlloser Bürgeranliegen angenommen. Neben meinem Abgeordnetenmandat wirkt dabei meine frühere Tätigkeit als Richter am Bundesgerichtshof oft als ein „Sesam öffne Dich“. So gelingt es mir, in vielen Einzelfällen konkrete Hilfe zu leisten. Die Erfolge „im Kleinen“ vor Ort sind es, die als Motivation und Antrieb der oftmals mühseligen Arbeit im „großen“ parlamentarischen Betrieb helfen. Als Ansprechpartner für Verantwortungsträger vor Ort vertrete ich konsequent die Lausitzer Interessen. Außerdem habe ich in einer Vielzahl von Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen zu den Themen Sozialstaatskrise, Rechtsterrorismus, Überwachungsstaat und Euro-Krise das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern des Wahlkreises gesucht.
6. Unsere Region steht vor großen Herausforderungen. Der Braunkohlebergbau hat keine endlose Zukunft. Die Abwanderung junger Männer und Frauen hat eine demografische Schieflage zur Folge. Die verantwortungslose und verfehlte Steuer- und Haushaltspolitik der Regierungen bringt die Städte und Gemeinden der Niederlausitz an den Rand des Abgrunds. Dagegen braucht es starken und unüberhörbaren Widerstand. Es braucht alternative Konzepte und Ideen für eine lebenswerte Zukunft.
Die vielen engagierten Bürgerinnen und Bürger, die Vereine, die Wissenschaftseinrichtungen, die mittelständischen Unternehmen, die Institutionen und Verbände, zu denen ich den vergangenen Jahren gute Kontakte aufgebaute habe – sie alle können mithelfen, Zukunftsperspektiven für die Lausitz zu entwickeln. Ich möchte hierbei nicht nur als Multiplikator helfen. Ich werde als unabhängiger Abgeordneter im Deutschen Bundestag mit ihrer Hilfe bei den entsprechenden Stellen Druck machen. Als Lautsprecher der Region Cottbus und Spree-Neiße werde ich die Interessen der Bürgerinnen und Bürger auch öffentlich konsequent vertreten. Damit ich das auch über das Jahr 2013 hinaus tun kann, brauche ich Ihre Unterstützung.
Mit Ihrer Hilfe kann in der Lausitz etwas Neues entstehen. Es wäre ein einmaliges Zeichen politischer Emanzipation der Wählerinnen und Wähler von den Parteien, wenn ein von Parteipolitik Unabhängiger in den Deutschen Bundestag gewählt würde. So könnten politische Inhalte auch ohne Abhängigkeit vom Parteibuch im Deutschen Bundestag Einfluss nehmen.
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