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Brandenburg: Merkel, ungebremst
Muss ihr Dienstwagen nach einem Unfall stoppen? Für das BKA ist der Fall klar, für Juristen nicht
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Potsdam/Berlin - Die leichte Kollision des Dienstwagens von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Autobahn 11 nördlich von Berlin mit einem anderen Fahrzeug könnte ein Verfahren wegen Unfallflucht gegen Merkels Fahrer nach sich ziehen. Das hält zumindest der Rechtsanwalt Ralf Wittkowski für möglich, Experte für Verkehrsrecht beim ADAC Berlin-Brandenburg. „Nach Paragraf 142 Strafgesetzbuch müssen alle Unfallbeteiligten am Unfallort anhalten“, sagte er am Dienstag auf Anfrage. Da nach der Kollision mit einem Privatwagen das Auto der Kanzlerin am Sonntag wie berichtet vorerst weiterfuhr, sagt Wittkowski: „Der Fahrer hätte früher halten müssen.“ Sollte das tatsächlich zu einem Verfahren führen, würde dieses jedoch voraussichtlich wegen Geringfügigkeit eingestellt. Denn in so einem Fall stehe der Personenschutz der Kanzlerin im Vordergrund, erklärt der Jurist: „Es hätte sich um einen Anschlag handeln können, man kann nicht einfach erwarten, dass der Wagen mit der Kanzlerin anhält.“
Das bekräftigt auch Rechtsanwalt Alexander Friedhoff, ebenfalls Experte für Verkehrsrecht. Das Strafgesetzbuch mache deutlich, dass ein Unfallbeteiligter nur dann bestraft wird, wenn er sich vom Unfallort entfernt „und die Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht“. Der Kanzlerinnen-Fahrer hielt aber nach bisheriger Darstellung an einer Tankstelle, wo ihn der Fahrer des anderen Unfallwagens erreichte.
Zugetragen hat sich die Kollision, wie berichtet, auf dem Zubringer von der A 11 nach Weißensee. Der 55-jährige Gymnasiallehrer Helge S. zog nach eigener Darstellung auf den linken Fahrstreifen und touchierte mit seinem Citroën die sich von hinten schnell nähernde Kanzlerlimousine. 120 Stundenkilometer sind auf diesem Streckenabschnitt erlaubt. Helge S. zufolge tauchten wie aus dem Nichts zwei schwarze Limousinen auf, eine davon berührte seinen Citroën Picasso. Beide Autos verloren einen Außenspiegel. Die beiden Limousinen machten weder Anstalten zu halten noch winkten sie ihn raus zum Anhalten – Helge S. und seine Frau hatten da noch keine Ahnung, mit wessen Auto sie es zu tun hatten.
Da es auf diesem Streckenabschnitt keine Möglichkeit gibt, am Rand anzuhalten, entschloss sich Helge S., den Dienstfahrzeugen der Kanzlerin hinterherzufahren. Auf der B2 gleich hinter der Abfahrt Weißensee in Lindenberg an der Stadtgrenze zu Berlin sah er die beiden Limousinen an einer Tankstelle halten.
Vor Ort traf er den Fahrer und eine andere Begleitperson der beschädigten Limousine an. Das andere Auto fuhr zu diesem Zeitpunkt gerade weiter in Richtung Berlin – mit Bundeskanzlerin Merkel darin, wie sich später herausstellte.
Für das Bundeskriminalamt, das für die Sicherheit der Kanzlerin zuständig ist, ist der Fall klar. „Prinzipiell gelten für alle Straßenverkehrsteilnehmer dieselben Verkehrsregeln – aber es gibt eben Ausnahmen aus Sicherheitsgründen“, sagt Barbara Hübner, eine Sprecherin des BKA. „In Einzelfällen können Sonderrechte in Anspruch genommen werden, wenn dies zur Erfüllung der Schutzaufgabe nötig ist.“ Das sieht auch Verkehrsanwalt Friedhoff so. Daher sei es juristisch vertretbar, dass in so einem Fall zuerst sichergestellt wird, dass es keine unmittelbare Gefahr für die Kanzlerin gibt. Über dem Gesetz stehe Merkel damit aber nicht, im Gegensatz zu den Fahrern von ausländischen Diplomatenautos, „die hier machen können, was sie wollen“, wie es Anwalt Friedhoff formuliert. Merkels Fahrer könne im Gegensatz dazu keine Immunität für sich beanspruchen.
Was die finanziellen Folgen des Unfalls angeht, hat der Fahrer des Unglücks-Citroëns Glück im Unglück: Als Helge S. den Wagen am Dienstag in eine Berliner Werkstatt brachte, sagte man ihm, die Reparatur sei gratis – dafür wolle die Werkstatt ein Foto des inzwischen prominenten Autos auf ihre Website stellen. Ein juristisches Nachspiel provozierte der Unfall bei Brandenburgs Polizei. Nachdem interne Informationen über die Kollision, etwa zur Dauer von einer halben Stunde, bis die Polizei vor Ort war, in den PNN zu lesen waren, hat das Landeskriminalamt Ermittlungen zum Verdacht des Geheimnisverrats aufgenommen. Lukas Berg/Lars von Törne
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