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Brandenburg: Misshandlung oder Missverständnis

Naved B. stand unter Terrorverdacht. Der „Guardian“ berichtet über Polizeigewalt – der Text wirft Fragen auf

Stand:

Berlin - Kurz nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember hatte die Polizei einen Mann festgenommen – einen 24 Jahre alten Pakistaner. Doch der Verdacht gegen Naved B. erwies sich als unbegründet, er wurde wieder freigelassen. Nun hat der junge Mann mit der britischen Zeitung „Guardian“ über seine Festnahme gesprochen. Dabei berichtet Naved B. von Misshandlungen durch Polizeibeamte: Er habe über „zwei Tage und eine Nacht“ nur Kekse und Tee zu essen bekommen. Die Berliner Polizei wies die Vorwürfe am Nachmittag als „riesengroßen Quatsch“ zurück. „Der Mann ist definitiv von keinem Mitarbeiter misshandelt worden“, sagte Polizeisprecher Winfrid Wenzel. Könnte Naved B. sich selbst widersprochen haben, der Berliner Polizei gegenüber abgestritten haben, was er sehr wohl im Gespräch mit dem „Guardian“ behauptet hatte? Das erscheint denkbar.

Bei der Polizei heißt es, Naved B. habe am Freitag in einem längeren Gespräch im Beisein eines Dolmetschers berichtet, dass der „Guardian“ ihn falsch wiedergegeben habe. Er sei weder geschlagen, noch misshandelt oder verletzt worden. Solche Behauptungen habe er auch nicht gegenüber der Zeitung aufgestellt. Die Zeitung habe keinen Übersetzer dabei gehabt und ein Laie offenbar schlicht verkehrt übersetzt. B. habe keine Anzeige erstattet, betonte Wenzel. „Wir haben ein absolut reines Gewissen.“ Die Reporterin des „Guardian“ war für eine Stellungnahme am Freitagnachmittag zunächst nicht erreichbar.

Rein faktisch können einige Angaben aus dem „Guardian“-Text nicht stimmen. So behauptet angeblich B., dass er „zwei Tage und eine Nacht“ nur Kekse und Tee bekommen habe. Tatsächlich war der Pakistaner nicht einmal 24 Stunden in Polizeigewahrsam. Um 20.56 Uhr wurde er in Tiergarten, nahe dem Großen Stern, festgenommen. Bereits 17 Stunden nach der Tat, gegen 13.30 Uhr, hatte Berlins Polizeipräsident gesagt, dass man vermutlich den falschen Mann festgenommen habe. Am Abend des Tages hatte die Bundesanwaltschaft dann seine Freilassung verkündet.

Naved B. berichtete laut „Guardian“, dass er am Abend des Anschlags gerade die Wohnung eines Freundes verlassen habe und wegen eines heranfahrenden Autos über eine Straße gerannt sei. Auf halbem Weg habe er ein Auto bemerkt, das auf ihn zufuhr. „Ich habe dann gemerkt, dass es ein Polizeiwagen war“, schildert er dem „Guardian“. „Ich hielt an, als sie mir ein Zeichen gaben, und zeigte ihnen alle Ausweispapiere, die ich dabei hatte.“

Die Polizisten hätten ihn dann zuerst gehen lassen, aber nach wenigen Sekunden doch zurückgeholt und festgenommen. Man habe ihm die Hände hinter dem Rücken gefesselt und später die Augen verbunden. Er sei später „von einer Polizeiwache zu einem anderen Ort“ gebracht worden. Er erinnere sich, dass zwei Polizeibeamte „die Hacken ihrer Schuhe gegen meine Füße gedrückt“ hätten, einer habe „großen Druck mit der Hand auf meinen Nacken ausgeübt“. Er sei ausgezogen und fotografiert worden. „Als ich mich wehrte, fingen sie an, mich zu schlagen“, behauptet Naved B. weiter.

Tatsächlich ist B. von einer Polizeistreife festgenommen worden, die ihn vom Äußeren her für den möglichen Täter hielt. Ein Zeuge hatte die Polizei zwar direkt nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz über den Notruf 110 informiert, dass der Attentäter in Richtung Tiergarten laufe. Der Zeuge verlor den Flüchtenden aber aus den Augen. Laut Bundesanwaltschaft habe B. in der Vernehmung von Anfang an eine Tatbeteiligung bestritten. Intensive kriminaltechnische Untersuchungen bestätigten, dass B. nicht im Führerhaus gewesen ist.

Weiter berichtete Naved B. dem „Guardian“: Die Polizei habe ihm einen Übersetzer gestellt, der nicht seine Muttersprache Belutschisch gesprochen habe, sondern die in Pakistan verbreiteten Sprachen Punjabi und Urdu. Urdu verstehe er ein wenig, spreche es aber kaum. Dass B. gefesselt wurde, ist eine polizeiliche Selbstverständlichkeit, zumal bei diesem Tatverdacht. Auch das Verdecken der Augen und des Gehörs ist rechtlich zulässig. Die Bundesanwaltschaft setzt Verdächtigen regelmäßig Augen- und Gehörschutz auf, wenn sie an einen anderen Ort gebracht werden.

Er sei gefragt worden, ob er wisse, was geschehen sei, berichtet der Pakistani. „Ich sagte, ich weiß es nicht, und sie sagten mir: ,Jemand hat ein Fahrzeug genommen, es in eine Menschenmenge gefahren und viele Menschen getötet. Und du warst hinter dem Lenkrad von diesem Laster, oder?‘“ „Ich habe ihnen ruhig gesagt, dass ich überhaupt nicht Auto fahren kann“, sagt der junge Mann. Er könne nur vermuten, dass sie seine Antworten verstanden hätten, weil die Kommunikation sehr merkwürdig gewesen sei.

Nach seiner Freilassung brachten Polizisten Naved B. in ein Hotel und rieten ihm, dieses nicht zu verlassen, ohne sie zu informieren. Er sei zwar nicht mehr unter Verdacht, aber in Gefahr. Nach offiziellen Angaben von Freitag ist B. tatsächlich in einem Hotel untergebracht. Er habe seit seiner Festnahme und der Freilassung Angst um sein Leben, sagte Naved B. dem „Guardian“. Er sei in seiner Heimat Pakistan als Mitglied einer separatistischen Bewegung politisch verfolgt worden, auch in Deutschland fühle er sich nicht mehr sicher. Er sorge sich auch um seine Familie in Pakistan, die nun „sehr verwundbar“ sei. Jörn Hasselmann

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