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Nur Dienstleister? Muhammad H. (l.) mit einem seiner Anwälte.

© Patrick Pleul/dpa

Brandenburg: Mutmaßlicher Kopf einer Schleuserbande vor Gericht

Ein 37-jähriger Syrer soll für fünf Tote bei Schiffsunglück auf dem Mittelmeer verantwortlich sein

Stand:

Frankfurt (Oder) - Im Prozess um Menschenschleusungen über das Mittelmeer hat sich der angeklagte Syrer als „dringend nachgefragter Dienstleister“ bezeichnet. Zum Prozessauftakt vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) leugnete er am Dienstag, der Kopf einer Menschenschleuserbande gewesen zu sein. In einer von seinem Verteidiger verlesenen Erklärung gab der 37-Jährige weiter an, er sei lediglich ein Mitglied der 100 Syrer umfassenden Organisation gewesen, die sich nicht als kriminell, sondern als Dienstleister gesehen habe.

Dem 37-jährigen Muhammad H. wird Einschleusen von Ausländern mit Todesfolge vorgeworfen. Laut Anklage war der vierfache Familienvater verantwortlich dafür, dass in der Nacht zum 21. April vergangenen Jahres ein völlig überfülltes Flüchtlingsboot auf dem Weg von der Türkei nach Griechenland kenterte. Zwei Bootsführer und drei Flüchtlinge ertranken. Laut Anklage hatte der gelernte Koch, der eigenen Angaben nach weder richtig lesen noch schreiben kann, den gefährlichen Transfer organisiert und dafür 2400 Euro Schleuserlohn von jedem der Passagiere verlangt. Als der Kapitän ihn unterwegs wegen schlechten Wetters darum bat, die Aktion abbrechen zu dürfen, soll der Angeklagte das untersagt haben.

Ein Angehöriger eines der Opfer sagte am ersten Prozesstag gegen den Angeklagten aus. Der Vater eines der Opfer gab an, der Mann habe ihm gesagt, er sei der Chef. Er habe acht Monate lang nach dem verantwortlichen Schleuser gesucht. Über Facebook und andere Internetseiten habe er Fotos des Angeklagten bekommen. Anhand derer erkannte er den Schleuser am Dienstag vor Gericht wieder.

Seine Spurensuche führte den Zeugen im Sommer vergangenen Jahres nach Berlin. Von einem Verwandten des Mannes bekam er demnach die Adresse des Gesuchten – ein Flüchtlingsheim in Strausberg (Märkisch-Oderland). Der Mann erstattete Anzeige. Er habe den Angeklagten nie gesehen, aber vor dem Unglück mit ihm telefoniert. „Damals hat er mir gesagt, er sei der Chef der Schleuserorganisation“, schilderte der 43 Jahre alte Rechtsanwalt aus Syrien.

Er selbst war bereits 2014 als Flüchtling nach Österreich gekommen – geschleust vom Bruder des Angeklagten, wie er vor Gericht angab. Im vergangenen Jahr hatte er seine Familie nachholen wollen, doch der Vater ertrank im Mittelmeer, die Halbschwester überlebte verletzt. Auch sie soll in dem Verfahren noch als Zeugin gehört werden.

Der Angeklagte war eigenen Angaben nach für die Zusammenstellung der Flüchtlingsgruppen zuständig, habe aber keinerlei „Weisungsbefugnisse“ in der Bande gehabt. Nach dem Unglück habe er nicht weitermachen wollen. Er schlug sich im vergangenen Sommer zu seiner Familie durch, die bereits 2012 nach Deutschland gekommen war.

Im Dezember vergangenen Jahres wurde der Mann von der Polizei verhaftet, nachdem ihn Angehörige der Opfer identifiziert hatten. Zwei weitere Tatzeugen sollten am heutigen Mittwoch vor Gericht gehört werden. Die beiden syrischen Brüder hatten das Bootsunglück überlebt, indem sie sich im Meer stundenlang an eine schwimmende Matte klammerten. Jeanette Bederke

Jeanette Bederke

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