Brandenburg: „Natürlich reden sie auch über den Krieg“
In Paretz proben Jugendliche aus Israel, Palästina und Deutschland ein Musical. Leiter Todd J. Flechter über das Friedensprojekt
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Herr Fletcher, seit 2009 holen Sie zusammen mit der „Prinzessin Kira von Preussen-Stiftung“ beziehungsweise mit dem Haus Hohenzollern Jugendliche aus dem Nahen Osten für einen Musical-Workshop nach Deutschland. Bislang fanden die Projekte ausschließlich auf der Burg Hohenzollern in Baden-Württemberg statt. In diesem Jahr wird das aktuelle Stück am 30. August in Paretz im Havelland aufgeführt. Warum?
Das ist eine gute Frage. Seit Jahren führen wir das Projekt eigentlich auf der Burg Hohenzollern auf. Mir ging es einfach darum, unser Projekt mit mehr Leuten zu teilen als bisher, auch mal woanders zu zeigen. Die Idee Paretz kam nicht von mir, sondern von der Generalverwaltung des Hauses Hohenzollern. Natürlich war ich zuerst skeptisch, dachte: Um Gottes Willen, wo ist Paretz? Nachdem ich mich zunächst mit der Geschichte von Königin Luise und ihrem Lieblingsort beschäftigt hatte, sind wir auch mal hingefahren. Da hat es dann gefunkt. Die Scheune, wo die Aufführung stattfinden soll, die freundlichen Leute, das Engagement der Breuninger Stiftung und der Stiftung Paretz – das ganze Paket hat mich letztlich überzeugt.
Um was geht es im aktuellen Musical?
Das wissen wir noch nicht. Wir fangen immer bei null an und machen als erstes ein Brainstorming. Die Jugendlichen sitzen im Kreis, schreiben auf kleine Zettel ihre Ideen auf. Dieses Mal hatten wir so an die 750. Dann lesen wir uns alle durch und sagen dann ja oder nein. Am Ende bleiben vielleicht 30 Themen übrig. Das ist natürlich immer noch viel zu viel. Als nächstes sollen die Jugendlichen aus den verbliebenen Themen kleine Geschichten schreiben. Zum Schluss sind es vielleicht fünf. Die mixen wir dann zu einem Musical. An diesem Punkt sind wir gerade. In diesem Jahr sind die Ideen allerdings nicht so fröhlich wie etwa im Jahr 2012, sie sind ernsthafter. Vermutlich wegen der politischen Situation.
Was macht für Sie den Reiz des Projektes aus?
Durch das Projekt habe ich einfach das Gefühl, dass ich wirklich etwas Tolles bewegen kann. Die Jugendlichen gehen zurück mit einer Botschaft. Meist die, dass die anderen nicht so sind, wie man gedacht hat. Sie schreiben Blogs über ihre Erfahrungen bei dem Projekt, bleiben über Facebook in Kontakt, nachhaltige Freundschaften entstehen. Viele, ich auch, verlieren manchmal die Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten. Das Projekt aber hilft vielleicht, wieder Hoffnung zu schöpfen.
Aus welchen Ländern kommen die Jugendlichen und wie werden sie ausgewählt?
Sie kommen aus Israel, Palästina, Deutschland und den USA. Sie müssen sich mit kleinen Aufsätzen bei uns bewerben. Die, die in die nächste Runde kommen, müssen dann ein einminütiges Video schicken. Der Inhalt ist dabei total offen. Sie sollen sich einfach nur vorstellen. Manchmal kommen dabei ganz skurrile Sachen heraus. Einer hat zum Beispiel im Video Klavier und Gitarre gespielt und Capoeira getanzt. Andere haben nur getanzt.
In der Regel reisen Sie selbst in die betreffenden Länder, um vor Ort mit den Jugendlichen zu sprechen. Waren Sie auch dieses Mal in Israel und in den palästinensischen Autonomiegebieten? Wie haben Sie die Lage dort empfunden?
Ich war zuletzt im Herbst vergangenen Jahres dreimal da. Es war vor dem Krieg, aber ich habe trotzdem schon eine gewisse Spannung gespürt. Normalerweise wollen immer viele Palästinenser mitmachen, diesmal waren sie zögerlicher. Wir haben natürlich darüber gesprochen, zum Beispiel auch mit dem Shimon Peres Zentrum für Frieden in Tel Aviv. Warum genau diese Spannung in der Luft lag, konnte sich aber damals noch keiner erklären.
Am morgigen Sonntag kommen die Jugendlichen in Paretz an. War es schwer, die Teilnehmer aus dem Krisengebiet herauszubekommen?
Ja, aber wir haben es geschafft. Allerdings gab es auch Familien, die wegen des Krieges abgesagt haben. Sie haben uns gesagt, jetzt ist Krieg und keine Zeit für Friedensprojekte mit Israelis. Ich verstehe diese Haltung zwar, finde aber nicht, dass es die richtige Lösung ist. Wir haben trotzdem nicht versucht, die Familien umzustimmen.
Kommt es nicht aufgrund der politischen Situation in der Region unweigerlich auch zu Spannungen in der Gruppe? Wie gehen Sie damit um?
Nein. Wir sind hier, um gemeinsam ein Stück einzuüben, ein Musical zu proben. Wir konzentrieren uns voll auf dieses gemeinsame Ziel. Aber die Jugendlichen wohnen zusammen, sind in ihren Zimmern unter sich und natürlich reden sie auch über den Krieg.
Der weltbekannte Dirigent Sir Daniel Barenboim verfolgt mit seinem West-Eastern Divan Orchestra ähnliche Ziele wie Sie und das Haus Hohenzollern. Haben Sie Herrn Barenboim schon kennengelernt?
Nein, noch nicht. Ich würde ihn natürlich gerne mal kennenlernen. Das Ziel ist ähnlich, aber wir machen es anders. Es gibt nur ein West-Eastern Divan Orchestra, und was wir machen, kann reproduziert werden, soll sogar kopiert werden. Ich will nicht der Einzige sein. Wenn andere das auch machen, würde ich mich freuen.
Gibt es ein beispielhaftes Erlebnis aus der Projektarbeit der vergangenen Jahre, das Ihnen zeigt, dass der Aufwand sich lohnt?
Die jungen Israelis, die bei uns sind, gehen in der Regel im Jahr darauf in die Armee. Ich bleibe mit den Teilnehmern oft in Kontakt und manchmal erzählen sie mir, dass sich ein Kamerad in der Armee negativ über Palästinenser geäußert hat und dass sie ihm dann widersprochen hätten. Solche Erlebnisse kenne ich natürlich auch von palästinensischer Seite. Die Idee wird also weitergetragen und darum geht es mir.
Das Interview führte Matthias Matern
Todd J. Fletcher leitet das Friedensprojekt des Hauses Hohenzollern. Er betreut die Jugendlichen, die ab dem morgigen Sonntag auf Schloss Paretz ein Musical schreiben und proben.
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