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Brandenburg: Neonazis schlagen nach Plan zu

Rechtsextreme Gewalttaten haben sich in der Hauptstadt verdoppelt – auch weil die Taten schneller angezeigt werden

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Berlin - Ein dunkelhäutiger Mann wird in einer Straßenbahn von rechtsextremen Schlägern bedroht, er bittet den Fahrer, die Türen zu schließen und die Polizei zu rufen, damit die Täter gefasst werden. Der Fahrer fragt ihn: „Wissen Sie, was das kostet?“

Das ist einer von vielen Fällen, die sich in Berlin fast täglich ereignen. Am Montag hat Innensenator Ehrhart Körting (SPD) die neuesten Zahlen vorgelegt: Demnach haben sich 2006 die rechtsradikalen Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt: 110 mal wurde zugeschlagen. Die Opferberatungsstelle „ReachOut“ hat sogar 161 rassistische Gewalttaten gezählt, 2005 waren es 116. Bis zum Juli dieses Jahres meldeten sich schon 56 Opfer rechter Gewalt. Die Zahl werde wohl noch deutlich höher, weil viele Vorfälle erst später bekannt würden.

Helga Seyb, die im Verein „ReachOut“ Opfer rechter Gewalt betreut, kennt viele dieser Fälle. „Oft erleben Menschen auch ein gewisses Desinteresse bei der Polizei und den Behörden, das macht ihnen nicht gerade Mut“, sagt Seyb. Wichtig sei jedoch ein Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt: „Das würde rechten Schlägern zeigen, dass sie Ausländer nicht aus Deutschland herausprügeln können.“ Außerdem könnten Verletzte, die nach rechten Überfällen ihren Beruf nicht mehr ausüben können, dann wenigstens soziale Leistungen beziehen.

Experten gehen davon aus, dass Neonazis inzwischen besser organisiert über ihre Opfer herfallen. Ein Großteil der Taten werde von Cliquen verübt, deren Mitglieder auch an Aufmärschen und Parteiveranstaltungen teilnähmen. Studierende Neonazis seien dabei keine Seltenheit mehr. Einig sind sich viele Beobachter darin, dass der Wahlkampf der rechtsextremen NPD 2006 zu einer Welle der Gewalt geführt habe. „Im vergangenen Jahr gab es viele Übergriffe von Neonazis auf Repräsentanten demokratischer Parteien“, sagt Carl Chung vom Beratungsteam für Demokratieentwicklung, Menschenrechte und Integration. Die Verknüpfung zwischen NPD-Funktionären und militanten Neonazis zu einer Art rechten Volksfront habe teilweise funktioniert. „Die NPD Berlin arbeitet eng mit militanten Neonazis zusammen“, bestätigt Björn von Swieykowski von der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus“.

NPD-Bezirksverordnete hätten bis vor wenigen Jahren an Wehrsportübungen in Brandenburger Wäldern teilgenommen. Nach Wahlkampfaktionen der Partei habe es immer wieder Übergriffe auf linke Jugendliche gegeben. „Was früher betrunkene Skinheads waren, sind heute häufig organisierte Neonazis“, heißt es aus dem Lichtenberger Weitlingkiez, der wegen zahlreicher rechtsextremer Übergriffe immer wieder Schlagzeilen machte. Erst vor wenigen Wochen hatte der Betreiber eines Döner-Imbisses in der Weitlingstraße seinen Laden geschlossen. Er war immer wieder von Rechtsextremen überfallen worden.

Zwar haben Berliner Rechtsextremisten laut Senat seit 2005 Anhänger verloren: Ihre Zahl ist von 2400 auf 2190 Szeneangehörige zurückgegangen. „Doch diese gehen gerade gegen vermeintliche Linke viel professioneller vor“, sagt Swieykowski. Und sie fühlten sich in einigen Gegenden unbehelligt. Im Osten der Stadt hatte zuletzt jeder zehnte männliche Jungwähler NPD gewählt.

Allerdings steigen die Zahlen rechter Gewalttaten offenbar auch aus einem anderen Grund: „Die Bevölkerung ist sensibler geworden“, sagt Swieykowski. Inzwischen trauten sich mehr Menschen, rechte Schläger der Polizei oder Opferberatungen zu melden. Langsam mache sich das bürgerschaftliche Engagement bemerkbar. Auch die Lichtenberger Bürgermeisterin Christina Emmrich (Linke) hat eher den Eindruck, „dass die Menschen sensibler werden“. Die Leute informierten sich mehr als früher und reagierten bewusster auf die Versuche Rechtsextremer, Einfluss zu gewinnen.

Die Bürgermeisterin, die im Lichtenberger Weitlingkiez von Rechtsextremen schon persönlich bedroht worden ist, glaubt nicht, dass ein Anstieg rechter Gewalttaten etwa auf Kürzungen bei Jugendeinrichtungen zurückzuführen sei. Für Lichtenberg schloss die Bürgermeisterin diesen Zusammenhang aus: „Wir schließen keine Jugendfreizeiteinrichtungen“, sagt die Bürgermeisterin.

„Unsere Mitglieder lehnen Gewalt ab“, sagt NPD-Sprecher Klaus Beier. Die rechtsextreme Partei beginge außerdem „politischen Selbstmord“, wenn sie sich mit militanten Neonazis einlasse. Die hohe Zahl rechter Gewalttaten hängt aus Sicht der NPD mit der Sensibilisierung der Öffentlichkeit zusammen. Überall werde vor Rechten gewarnt, sagt Beier. „Aber wir rücken immer mehr in die Mitte der Gesellschaft“, erklärt der Funktionär.

Für kommenden Montag plant die NPD eine Veranstaltung im Rathaus Treptow. Elf Bezirksverordnete stellen die Rechtsextremen – jeweils drei in Treptow-Köpenick, Hellersdorf-Marzahn, Lichtenberg und zwei in Neukölln. Die Partei habe in Berlin 300 Mitglieder, der Verfassungsschutz geht hingegen von 220 aus. Von der Behörde heißt es, die NPD breite sich derzeit vor allem im Westen der Stadt aus. „Wir werden mehr“, sagt Beier.

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