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Harte Zeiten. Im Etat 27 Millionen Euro weniger, strukturelle Defizite überall – Ministerin Sabine Kunst hat in ihrem Ressort viele Baustellen. Sie will die Hochschulen reformieren, die Tröpfchen-Gießkanne in der Kulturförderung beenden.

© Manfred Thomas

Brandenburg-Berlin: Nichts als die Vernunft

100 Tage ist Wissenschaftsministerin Sabine Kunst im Amt. Die weltgewandte Hochschulmanagerin will immun bleiben gegen die Kurzatmigkeit des Politikbetriebs, sie hat kein Partei-Hinterland und bereitet radikale Reformen vor. Geht das gut?

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Eberswalde/Potsdam – Neugierig ließ sie sich in Eberswalde vor ein paar Tagen durch einen alterwürdigen Backsteinbau aus dem Jahr 1876 führen, den die Hochschule für Nachhaltige Entwicklung nach aufwendiger Sanierung als Lehrgebäude wieder in Betrieb nahm. Sabine Kunst, 56 Jahre, kennt viele Hörsäle, aber der eine hier hatte es ihr sofort angetan. Dreiflügelige alte hohe Kastenfenster im Neogotik-Stil, hellblau getünchte Wände und oben eine futuristisch-weiße Gnubbeldecke, ein Raum, in dem man nicht laut sprechen muss und trotzdem jedes Wort zu verstehen ist. „Räume mit guter Akustik“, sagte sie da, „sind die beste Frauenförderung“.

Sie wird es wissen, als Frau der leisen Töne hat sie sich in einer Männerwelt behauptet, nach oben durchgeboxt. Seit einhundert Tagen ist die frühere Präsidentin der Universität Potsdam jetzt Wissenschafts- und Kulturministerin in Brandenburg. Dass Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) sie Anfang des Jahres überraschend für sein rot-rotes Kabinett nach Affären-Abgängen gewann, war durchaus ein Coup in seiner Not. Und es ist immer noch eine spannende Versuchsanordnung, ein Experiment, dessen Ausgang offen ist. Hier der provinzielle Politik- und Regierungsbetrieb Brandenburgs, da die parteienferne, Welt erfahrene, intellektuelle Wissenschaftlerin, Deutschlands „Hochschulmanagerin des Jahres 2010“, die frühere Chefin des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD), die Platzeck damals aus dem Flieger nach Südafrika holte. Karstädt statt Kapstadt, weites Feld statt weite Welt, geht das gut?

Nun, Sabine Kunst hat ziemlich schnell erkannt, dass sie von ihren Vorgängerinnen, der langjährigen Ministerin Johanna Wanka (CDU) und deren Kurzzeit-Ablösung Martina Münch (SPD) ein Ressort übernahm, in dem allenfalls die Fassade intakt war. Bei den Hochschulen, von denen sich das „Ländchen“ bisher sieben leistet, was nun bei knapperen Kassen immer schwieriger wird, hatte das Kabinett zudem gerade den Etat für 2012 um 27 Millionen Euro gekürzt. Eine Denkmalförderung, die den Namen wirklich verdient, gibt es in der Mark trotz tausender vom Verfall bedrohter Denkmale schon lange nicht mehr. Und in der Kultur, für sie Neuland, erbte sie einen ausgezehrten Theater- und Orchesterverbund, der an seine Grenzen stößt, längerfristig nicht ausfinanziert ist. Wenn es nur diese großen Brocken wären.

Vor allem aber erbte die Neue, wie sie seitdem tagtäglich bei ihren Terminen vor Ort eindrücklich erfuhr, eine schier unendliche Zahl landauf und landab vom Land mit Kleckerbeträgen geförderter Kulturprojekte, denen oft trotzdem das Wasser bis zum Halse steht, die immer noch mit der Gießkanne, in der Wirtschaftsförderung längst abgeschafft, gegossen werden, nun ja, genauer genommen: Getröpfelt. Nichts Halbes, nichts Ganzes, alles über zwanzig Jahre gewachsen, irgendwie, irgendwo, irgendwann, eben brandenburgisch. In der Kultur sei es für sie „viel Lernarbeit“, sagte Sabine Kunst dazu, unterwegs im Auto auf dem Weg nach Eberswalde. „Ich versuche immer noch, die Strukturen zu erfassen.“ Wie weit sie dabei ist? In ihrer Antwort blitzte viel auf, ihr Ehrgeiz, lakonisch-trockener Humor, eine entwaffende, von der Politik, deren Nackenschlägen und Taktierereien noch nicht verdorbene Offenheit, die Lust an analytischer Schärfe, an Perfektion. Nun ja, antwortete Kunst, bisher habe sie keine Strukturen erkennen können, jedenfalls „keine sichtbaren“. Wie auch, wenn es keine gibt.

Und jetzt? Noch werden sie da oben auf dem „Kreml“ im Landtag, egal in welcher Partei, nicht recht schlau aus dieser Frau, die man unterschätzen kann, klein, zierlich, das Haar oft strubbelig, der der Ruf der Durchsetzungsstärke vorauseilte, die im Parlament bisher aber nicht mit rhetorischen Feuerwerken auffiel, eher spröde rüber kam, was manchen ernüchterte. Sie wiederum war, sagt einer, der sie kennt, ebenso irritiert über „das geringe Niveau des Diskurses“ im hohen Haus. Noch hat sie sich mit eigenen Akzenten zurückgehalten, eine, die sich eher herantastet, auslotet. Der junge Linke-Abgeordnete Peer Jürgens formuliert es so: Mit ihrer „ruhigen Art“, mache sie einen „guten Eindruck“, aber „zum politischen Metier gehört, dass irgendwann eigene Initiativen und Vorschläge kommen“. Freilich, wenn man dieser Ministerin genau zuhört, dann wird Brandenburgs Politik genau darauf nicht mehr lange darauf warten müssen. Im Gegenteil, dann stehen Wissenschaft und Kultur sogar ziemlich dramatische Umbrüche bevor, vielleicht die dramatischsten seit eineinhalb Jahrzehnten. Eine Ahnung davon bekam man beim unprätentiösen Eberswalder Festakt unter freiem Himmel, bei dem „wir uns mal die Sonne auf den Pelz scheinen lassen“ können, wie Sabine Kunst fröhlich begann. Dann kam sie ohne Umschweife zur Sache, ging auf die Protestplakate gegen die 27-Millionen-Kürzung bei den Hochschulen ein, mit denen sie auf dem Campus empfangen wurde. „Die Landesressourcen werden sich in den nächsten Jahren entwickeln, wie es jeder schon lange nachlesen kann.“ Sie nehme persönlich für ihr Ressort die Herausforderung an. Bei den Hochschulen sei ein „struktureller“ Umbau nötig, für den eine Expertenkommission Empfehlungen vorbereiten soll. Nötig seien, das hatte sie schon vorher klargemacht, klarere Profile, der Abbau von Parallel- und Doppelangeboten, es gehe etwa darum, ob das Land Brandenburg in Potsdam und Frankfurt (Oder) wirklich zwei juristische Fakultäten braucht. In Eberswalde jedenfalls kündigte Kunst noch etwas umständlich zum ersten Mal öffentlich das Ende des Gießkannenprinzips in der Kulturförderung an. Bei „aller Wertschätzung, bei aller Bewunderung für die Vielfalt wird es darauf ankommen, die Linien der Landespolitik hier klarer zu ziehen“. Ihr Ansatz sei es, dezentrale „Netzwerke“, „Kooperationen“ zu knüpfen, um kulturelle Leuchttürme des Landes herum.

Es sind Sätze, die bislang überhört werden, weil es noch nicht konkret wird. Aber der Tag rückt näher, die Brisanz ist ihr wohl bewusst, sie ahnt schon den Aufschrei, dass die Abgeordneten alle auf der Matte stehen werden, wenn es um Projekte in ihren Wahlkreisen geht. Sie will nichts kurzfristig „übers Knie brechen“, um „keinen Flurschaden“ anzurichten. Vor Schlussfolgerungen, dieses wissenschaftliche Prinzip gilt für sie in der Politik erst Recht, muss die Analyse gründlich sein. Sie will gewappnet sein, gute Argumente haben. Die dafür nötige Zeit werde sie „kaufen“, „letzte Reserven mobilisieren“, um am Ende aber „zu strukturell begründeten Budgets“ zu kommen bei den Hochschulen und in der Kultur. „2012 wird es zum Schwur kommen müssen!“ Ausrufezeichen.

Der Countdown läuft also. Und Sabine Kunst zieht in diese Auseinandersetzung, die bei den Befindlichkeiten, Empfindlichkeiten und Beharrungskräften in diesem Lande einige Sprengkraft hat, mit offenem Visier, aber ohne jedes Parteihinterland. Sie will es durchziehen, sie hat den Rückhalt von Regierungschef Matthias Platzeck (SPD), der sie genau deshalb holte, der ihr nüchternes Herangehen schätzt, das ihm, dem studierten Kybernetiker, wohl auch persönlich sehr nahe ist. Aber sie hat nicht Platzecks politische Geschmeidigkeit. Mehr noch, sie will ausdrücklich immun bleiben gegen die Kurzatmigkeit des politischen Geschäftes, innere Distanz bewahren, das streng fachliche Prinzip der langen Linien durchhalten, wie sie „aus tiefstem Herzen“ bekräftigt: „Ich würde mich sonst selbst verraten.“ Worauf sie setzt? „Ich habe nichts als die Vernunft.“ Das ist viel in Brandenburgs Enge. Aber es ist auch, das weiß Sabine Kunst am allerbesten, ein verdammt hohes Risiko.

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