Brandenburg: Notlösung: Wilde Ehe
Warum die Länderfusion Berlin-Brandenburg 1996 gescheitert ist und wie man einen zweiten Versuch wagen kann – ein Gespräch zwischen Wissenschaftlern und Lokalpolitikern
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Warum die Länderfusion Berlin-Brandenburg 1996 gescheitert ist und wie man einen zweiten Versuch wagen kann – ein Gespräch zwischen Wissenschaftlern und Lokalpolitikern Erkner – Ihnen scheint der Schock nach fast zehn Jahren noch immer in den Gliedern zu sitzen. Die sicher geglaubte Fusion von Berlin und Brandenburg, die Volksabstimmung 1996, das überraschende Aus. Die meisten der Lokalpolitiker aus dem Berliner Umland, der Tourismus- und Bürgerinitiativen-Vertreter und der Wissenschaftler in der Tischrunde im roten Backsteinbau des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner waren damals für die Länderehe und sind es auch heute noch. Sie sind am Mittwoch zum 20. Regionalgespräch des IRS zusammengekommen, um über gemachte Fehler und die Perspektiven der beiden Nachbarländer zu diskutieren. Vor dem Hintergrund, dass Brandenburg und Berlin zwar nicht nach dem Gesetz, aber so doch praktisch verbandelt sind. In einer Art wilden Ehe: Sie präsentieren sich gemeinsam auf Messen, vermarkten sich auf einer gemeinsamen Internetseite, haben eine gemeinsame Rundfunkanstalt, den RBB, ein gemeinsames Finanzobergericht in Cottbus, bald eine gemeinsame Polizeiausbildung. Das geht in die richtige Richtung, sagen die Wissenschaftler und Bürgermeister. Eine Politik der kleinen Schritte. Und gerade jetzt habe der Landrat Dieter Friese (Spree-Neiße) erklärt, dass mit der neuen Förderpolitik Brandenburgs die ländlichen Bewohner noch weniger Lust auf Fusion haben als vorher schon. „Die Länderehe war noch nie soweit entfernt wie heute“, befürchtete Joachim Schulze, der Ex-Bürgermeister von Erkner. Und das obwohl es schon jetzt 19 Staatsverträge und 80 Verwaltungsvereinbarungen von Berlin und Brandenburg gebe. Alles eine Sache des Gefühls, meint Uwe Wilke vom Verein Perspektive BerlinBrandenburg. Mit der geplanten Konzentration auf den Berliner Speckgürtel würden die Ängste der Brandenburger Landbevölkerung verstärkt, abgehängt, von den städtischen Regionen dominiert zu werden, die Identität zu verlieren. Das sei auch 1996 der Grund gewesen, warum bei der Volksabstimmung die Mehrheit ihr Kreuzchen gegen die Fusion machte. Dazu sei befürchtet worden, die Schulden Berlins übernehmen zu müssen. Das allerdings sei ein Fehlschluss gewesen, denn schon damals habe man finanzielle Lösungen gefunden, wie der ländliche Nachbar davor bewahrt werde, von dem städtischen Schuldenberg überrollt zu werden. Neben der Notlösung der Politik der kleinen Schritte plädierte Wilke für ein Regionalforum, bei dem verschiedene Branchen und Bereiche der beiden Länder regelmäßig zusammentreffen, sich austauschen, gemeinsame Projekte planen und umsetzen. Dabei ist eigentlich glasklar, dass die Fusion für Berlin und auch für Brandenburg sich zumindest finanziell auszahlen würde, erklärte Michael Arndt, Wissenschaftler des gastgebenden Instituts. Durch einheitliches Standortmarketing könnten wirtschaftliche Verflechtungen, sich ergänzende Standortqualitäten beider Länder besser zum Tragen kommen. Eine einheitliche Wirtschafts- und Strukturpolitik eröffne die Möglichkeiten auch die Peripherie mehr zu unterstützen, womit Brandenburg bisher überfordert gewesen sei. Mit der Zusammenführung von staatlichen Parallelangeboten, Verwaltungen, Hochschulen und Kulturträgern könnten Kräfte gebündelt und Qualität verbessert werden. Man mag kaum glauben, dass die zahlreichen Argumente damals nicht gereicht haben, die Bürger zu überzeugen. „Den Menschen war nicht klar, was sie persönlich von der Fusion haben, was außer dem finanziellen Nutzen dabei für sie heraus kommt“, argumentierte Heinrich Suhr von der Arbeitsgemeinschaft für Stadtplanung. Für eine Fusion braucht man eine optimistische, eine Aufbruchstimmung, meinte Wilke vom Verein Perspektive Berlin-Brandenburg. Die hätte damals nach der Wende, nach den Strukturreformen nicht geherrscht. Bei einem nächsten Versuch in ferner Zukunft, müsse sich die Bevölkerung das Reformprojekt „Ehe“ zutrauen. Und sich bei dem Gedanken wohl fühlen. Darauf müsse langsam hingearbeitet werden. Der Verein geht mittlerweile in Schulen, um für die Länderehe zu werben. Marion Hartig
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