Brandenburg: Opfer: U-Bahn-Schläger gehört hinter Gitter
Prozess um Angriff in der Friedrichstraße beginnt. Markus P. nimmt dem Täter die Reue nicht ab
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Berlin - Die qualvollen Minuten, die sein Leben verändert haben, sind wie ausgelöscht. Er habe keine Erinnerung daran, sagt Markus P., 30 Jahre alt. Im Wohnzimmer seiner Eltern in Berlin-Wilmersdorf erzählt er: Erinnern kann er sich erst wieder daran, dass er in einer Klinik aufwacht, mit zugeschwollenem Gesicht und Schädelhirntrauma. In seinem Krankenzimmer läuft der Fernseher. In den Nachrichten werden Sequenzen eines Überwachungsvideos vom U-Bahnhof Friedrichstraße gezeigt: Ein Mann schlägt einen anderen nieder und tritt dann wie von Sinnen auf den Kopf des am Boden liegenden Opfers. „Der steht nicht wieder auf“, sagt Markus P. zu den Zimmernachbarn. „Der da liegt, bist du“, erwidert jemand aus dem Nachbarbett. Erst da habe er erfahren, sagt P., was in jener Karfreitagnacht geschehen war.
Die Tat in den frühen Morgenstunden des 23. April dieses Jahres schockierte die Öffentlichkeit: Äußerst brutal soll der 18-jährige Schüler Torben P. auf Markus P. eingetreten haben. An diesem Dienstag wird ihm wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung der Prozess gemacht. Sein ebenfalls 18-jähriger Freund Nico A. ist wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Laut Staatsanwaltschaft ist Markus P. von Torben P. mit einer Hartplastikflasche zu Boden geschlagen worden, anschließend habe das Opfer vier heftige Tritte gegen den Kopf bekommen. Der 21-jährige Georg Baur, ein Maler aus Augsburg, wartete auf seine U-Bahn und geht mutig dazwischen. Er wird vor Gericht als Zeuge gehört.
Torben P. drohen theoretisch zehn Jahre Haft, sollte er nach Jugendstrafrecht verurteilt werden, nach Erwachsenenstrafrecht bis zu 15 Jahre. Die Staatsanwaltschaft hatte das Überwachungsvideo zu Fahndungszwecken veröffentlicht – allerdings nur den kurzen Ausschnitt, den auch Markus P. in der Klinik sieht. Torben P. stellt sich kurz darauf der Polizei, sein Vater ist Jurist. Der Schüler, der bis dahin nicht polizeilich aufgefallen ist, gesteht. Er muss nicht in Untersuchungshaft.
Der Fall verschärft die Debatte über junge Gewalttäter und eine vermeintlich zu lasche Justiz. Das Opfer Markus P. wendet sich Ende April in einem offenen Brief an Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) und fordert Untersuchungshaft für Torben P. Die Senatorin lehnt eine Einmischung mit Hinweis auf die richterliche Unabhängigkeit ab. Im Mai stellt der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) neue Sicherheitsmaßnahmen vor, mit denen Polizei und Verkehrsbetriebe gewalttätigen Übergriffen entgegentreten sollen. Die Polizei setzt seitdem 60 zusätzliche Beamte in Bussen und Bahnen ein, die Verkehrsbetriebe starteten eine Kampagne für mehr Zivilcourage. Und Torben P. darf wegen „Wahrung des Schulfriedens“ bis auf weiteres nicht in sein Gymnasium, er erhält Einzelunterricht.
Wenn er an den Prozess denke, sagt Markus P., fühle er Unbehagen. Die Videobilder der Tat waren bundesweit zu sehen. Auf der Straße erkannten ihn Passanten als „das Opfer“ von der Friedrichstraße, sagt er. Andererseits freue er sich, dass mit dem Prozess alles ein Ende finde.
Vor der Tat gewinnt P., der inzwischen wieder als Installateur arbeitet, ein Dart-Turnier. „Leider“, sagt er. Denn nur deshalb sei er mit Freunden feiern gegangen: Er ist schon recht angetrunken, als die Gruppe in einen Club will. Ihn stört der hohe Eintrittspreis, er geht zum U-Bahnhof Friedrichstraße, um nach Hause zu fahren. Am Bahnsteig legt er sich betrunken auf eine Bank. Was dann geschieht, kennt er nur aus dem Video.
Erst Monate nach der Tat werden weitere Bilder der Überwachungskamera veröffentlicht. Sie zeigen, wie Markus P. während eines Streits mit dem Angeklagten zuerst von der Bahnsteigbank aufspringt. Der Verteidiger eines der Angeklagten gibt Markus P. nun eine Mitschuld. Er könnte durch sein „aggressives Auftreten“ dazu beigetragen haben, dass der Streit körperlich wurde.
Markus P. schüttelt den Kopf. „Ich kann das nicht verstehen.“ Egal, worum es gegangen sei, es rechtfertige nicht, „dass mich jemand in menschenverachtender Absicht fast totprügelt“. Er ist sich sicher, dass es dem Tatverdächtigen egal gewesen sei, was mit ihm passiere: „Ich lag doch schon am Boden. Bewusstlos.“ Deshalb hoffe er, dass Torben P. für versuchten Totschlag verurteilt wird: „Er soll ins Gefängnis und nicht mit Bewährung davon kommen.“ Seine Anwältin habe ihn vorgewarnt: Die Verteidigung werde versuchen, die Tat als gefährliche Körperverletzung bewerten zu lassen.
Auf die 7000 Euro Schmerzensgeld – das Wort setzt er in imaginäre Anführungszeichen –, die ihm angeboten worden seien, will Markus P. verzichten. Auch auf den handschriftlichen Entschuldigungsbrief, den ihm Torben P. geschickt hat, gibt er nicht viel: „Ich habe Zweifel, dass ehrliche Reue eine Rolle spielte.“
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