Brandenburg: Plastikteller für KZ-Überlebende
Gedenkstätte Ravensbrück entschuldigt sich für Vorfall bei Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag der Befreiung
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Potsdam/Ravensbrück - Diana Golze war „unangenehm berührt“. Brandenburgs Sozialministerin von den Linken saß vor etwas mehr als einer Woche mit Daniela Schadt, der Lebensgefährtin von Bundespräsident Joachim Gauck, an einem von drei festlich gedeckten Tischen, darauf Porzellanteller, gefüllte Weingläser, Karaffen, Kellner bedienten sie. Für sich wäre das nichts Ungewöhnliches – doch die Szenerie war bizarr. Während bei der Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Ravensbrück vor etwas mehr als einer Woche Golze und Schadt an einem festlich gedeckten Tisch tafelten, saßen frühere Insassen des Konzentrationslagers drumherum an tristen Holztischen – und mussten mit Einwegbesteck aus Plastikgeschirr essen und trinken.
Publik machte das alles eine Gruppe von mehr als 30 ehrenamtlichen Betreuern, die sich um die früheren KZ-Insassen kümmerten. Sie kritisieren, dass nach ihrem Eindruck „nicht die Überlebenden und ihr Wohl im Zentrum der Veranstaltung standen, sondern repräsentative Interessen“. Sie hätten eine „deutliche Diskrepanz“ ausgemacht „ zwischen dem, was offiziell in Reden gesagt und nach außen präsentiert wurde, und der Art, wie den Überlebenden begegnet und wie mit ihnen umgegangen wurde“.
Insgesamt 90 Überlebende waren nach Ravensbrück gekommen, die meisten über 90 Jahre und älter. Sie sollten sich noch einmal am Ort des Grauens erinnern und von ihren schrecklichen Erlebnissen im Konzentrationslager erzählen können. Die Nazis hatten dort 130 000 Frauen und Kinder sowie 20 000 Männer aus mehr als 30 Nationen gefangen gehalten, gequält und ermordet. 28 000 Häftlinge starben durch Hunger, Krankheit, Zwangsarbeit und Misshandlungen.
Die Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag sollte etwas ganz besonderes werden. Schon im Vorfeld hatte der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten erklärt, die Feiern seien möglicherweise die letzte Chance, den früheren Häftlingen zuzuhören, denn sie seien hochbetagt. „Diese 90-jährigen Menschen kommen zurück, um ihrer Befreiung zu gedenken“, hatte Morsch gesagt. Ihnen liege jedoch vor allem am Herzen, der Trauer über die, die nicht überlebt haben, Ausdruck zu verleihen.
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) sagte dann auch bei ihrer Rede in Ravensbrück: „Es ist gut für uns alle, dass Sie, die Überlebenden, heute hierhergekommen sind nach Ravensbrück, dass Sie diese Reise auf sich genommen haben, die Strapazen.“ Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) war da und dankte den Überlebenden, sie „mahnen uns“.
Doch was die Überlebenden, deren Angehörige und Betreuer nach den Gedenkreden in dem Zelt erlebt haben, passt so gar nicht zu den würdevollen Reden. Auch Hannah Rainer, 21 Jahre, Jura-Studentin in Berlin, kümmerte sich an diesem Sonntag, 19. April, um die Überlebenden. „Ich konnte es nicht fassen, als wir das gesehen haben“, sagt die Studentin. „Das war entwürdigend und unangemessen.“ Die Überlebenden hätten lange auf ihr Essen warten müssen, für sie gab es Essensmarken, die Helfer musste an langen Schlangen stehen, um das Essen zu holen. Am Abend gab es dann aber noch ein spätes Festessen in Rheinsberg für die Überlebenden, ausgerichtet von Landtag und Landesregierung.
Dennoch entschuldigte Insa Eschebach, Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, sich am Montag in einer schriftlichen Erklärung bei den Überlebenden, dass „ein Schatten auf ,ihren‘ 70. Jahrestag der Befreiung gefallen ist“. Stiftungsdirektor Günter Morsch hatte den PNN am Sonntag erklärt: „Das war kein gutes Zeichen.“ In der am Montag verbreiteten Erklärung hieß es zudem: „Fragen des Protokolls wurden in einer Besprechung festgelegt, an der rund 20 Vertreter der beteiligten Institutionen, darunter das Bundespräsidialamt, die Landesregierung und die polnische Botschaft, teilgenommen haben. Leider fanden die Bedenken der Gedenkstätte Ravensbrück gegen eine Ungleichbehandlung der Gäste in dieser Runde kein Gehör.“
Zudem betonte der Sprecher, es habe sich lediglich um einen Imbiss für die mehr als tausend Besucher der Gedenkfeier gehandelt. Auf dem Programm für die Veranstaltungen an vier Tagen „ standen selbstverständlich die Überlebenden im Mittelpunkt“. Zudem sind eine Reihe von Äußerung von Überlebenden aufgelistet, die die Organisationen der Gedenkfeiern loben und Unverständnis für die Kritik der Betreuer äußern.
Hannah Rainer und auch andere Betreuer, die namentlich nicht genannt werden wollen, einige selbst Juden, aber sagen, Überlebende, nicht alle, hätten sie in der Kritik bestärkt. Die Szenerie mit den herausgeputzten Tafeln sei nur ein Sinnbild für die Gedenkfeier gewesen. Vermutlich hätten sich viele Überlebende auch gar nicht so sehr an den Umständen gestört und waren dankbar für die Hilfe und das Programm. Hannah Rainer und die anderen Helfer aber vermissten eines: Respekt und Würde.
Das sah übrigens auch Brandenburgs Sozialministerin Golze so. Am liebsten wäre sie aufgestanden von dem festlich gedenkten Tisch, sie fühlte sich hin- und hergerissen. Weil aber auch drei frühere Frauen aus dem Konzentrationslager mit am Tisch saßen, Vertreter von Häftlingsorganisationen, blieb sie sitzen, aus Respekt. Alexander Fröhlich
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