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Brandenburg: Platzeckempört überBetrugsvorwurf

Hartz IV: Land sieht keine Beweise für Betrug. Krankenkassen prüfen mehrere Verdachtsfälle

Potsdam/Berlin - Brandenburgs Regierung hat empört auf Vorwürfe von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) reagiert. Die Behauptung des Ministers, dass sich Kommunen auf Kosten des Bundes bei Sozialhilfefällen entlasten, sei verfrüht, erklärte Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Zwar könne man nicht ausschließen, dass die Kommunen vereinzelt nicht arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger als Arbeitslose eingestuft hätten. Doch müsse das erst genau geprüft werden. Sozialministerin Dagmar Ziegler (SPD) sagte, sie sei „überrascht und verärgert“.

Clement hatte angekündigt, dass die Bundesregierung den Kommunen 2,5 Milliarden Euro weniger für die Hartz IV-Reformen überweisen wolle, weil diese zahlreiche Sozialhilfeempfänger unberechtigterweise als arbeitsfähig eingestuft hätten – damit würde die Arbeitsagentur für sie zahlen. Ziegler sagte: „Es mag solche Einzelfälle geben. Trotzdem sind generelle Schuldzuweisungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht seriös.“ Vereinbart worden sei, dass Mitte des Jahres das Funktionieren von Hartz IV überprüft werde und dann gegebenenfalls Konsequenzen gezogen würden.

Sowohl die Staatskanzlei wie das Sozialministerium bezweifeln, dass Brandenburgs Kommunen „bewusst massenhaft manipuliert haben“, um Kosten auf den Bund abzuwälzen. Es wird darauf hingewiesen, dass Clement keine konkreten Zahlen vorlegen könne. „Er kann den Betrug nicht beweisen.“ Ziegler erklärte, dass bis Dezember 2004 rasch über die Anträge entschieden werden musste. „Die Erwerbsfähigkeit wird noch genau geprüft werden.“ Deshalb sei die Aufregung verfrüht. Auch der Brandenburger Städte- und Gemeindebund wies die Vorwürfe zurück: Aus wenigen Missbrauchsfällen könne man nicht auf Betrug im großen Stil schließen, so Sprecher Karl-Ludwig Böttcher.

Es sind vor allem die Allgemeinen Ortskrankenkassen, die auf unplausible Fälle gestoßen sind. In Berlin soll es nach Angaben des Berliner AOK-Chefs Rolf Müller über 100 Fälle sein, in denen Nicht-Erwerbsfähige als arbeitsfähig gemeldet wurden. Darunter sei zum Beispiel ein querschnittsgelähmter, schwer alkoholkranker Heimbewohner und eine entmündigte Person mit der höchsten Pflegestufe III. Die Brandenburger AOK habe bisher über 50 solcher Beispiele entdeckt, sagt Sprecher Jörg Trinogga. „Wir prüfen noch, ob es sich um Irrtümer der Kommunen handelt oder ob uns diese bewusst untergeschoben werden sollten.“

Der Brandenburger Ersatzkassenverband, zu dem die Barmer, die Techniker und die Angestelltenkrankenkasse gehören, bestätigte ebenfalls, dass Kommunen erwerbsunfähige Sozialhilfeempfänger arbeitsfähig gemeldet haben. Ob dies wenige Einzelfälle seien oder bewusste Methode, werde aber noch geprüft.

Die Techniker-Krankenkasse stieß bei ihrer Prüfung in Berlin und Brandenburg auf einige „unplausible“ Fälle. Darunter seien Personen, die schon über 65 Jahre alt sind und schon deshalb nicht mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen können, sagt Kassen-Sprecherin Heike Weinert. Auch die Barmer – mit 650 000 Versicherten in Berlin und Brandenburg die größte Ersatzkasse – hat solche Beispiele gesammelt. Zahlen aber könne man noch nicht nennen. „Die Zweifelsfälle, die ja schon seit Januar aufgetaucht sind, werden noch hin und her geprüft“, sagt Sprecherin Viola Matzke.

Im Gegensatz zu Berlin gibt es für Brandenburg noch keine Übersicht über die Gesamtzahl der Erwerbsfähigen, die zum 1. Januar von der Sozialhilfe in das Arbeitslosengeld II wechselten. In der Hauptstadt waren es 245 000.

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