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Von Alexander Fröhlich, Johannes Radke und Peter Tiede: Polizei: Die Eltern des Opfers waren gewarnt
Im Fall des offenbar rückfällig gewordenen Sexualstraftäters Uwe K. erheben die Ermittler schwere Vorwürfe
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Berlin - Kindern und Spielplätzen durfte sich Uwe K. nicht nähern, 20 Mal sprachen Polizisten ihn direkt an, 32 Tage wurde er intensiv observiert – trotzdem konnte der Sexualstraftäter offenbar erneut zuschlagen. Je mehr Details über den Fall des Kinderschänders bekannt werden, desto stärker geraten zwar auch Polizei und Justiz in die Kritik – aber immer mehr Fragen richten sich an die Eltern möglicher Opfer. Denn die Ermittler erheben schwere Vorwürfe unter anderem gegen die Eltern des elfjährigen Mädchens, das K. vergewaltigt haben soll. Wie jetzt bekannt wurde, hat die Polizei die Eltern des Opfers vor Uwe K. gewarnt – mehrfach. Sie hätten den eindringlichen Warnhinweis jedoch nicht befolgt.
Auch andere Familien in der Nachbarschaft seien mehrfach von der Polizei gewarnt worden. Trotzdem sei der Kontakt der Kinder zu Uwe K. von den Familien nicht unterbunden worden. Staatsanwaltschafts-Sprecher Martin Steltner: „Manche haben das ignoriert.“ Zudem habe Uwe K., der elf Jahre wegen sexuellen Missbrauchs im Gefängnis saß, sehr geschickt die Weisungen der Polizei umgangen. Erst über Umwege sei ein Missbrauchs-Fall von 2008 später bekanntgeworden – weil ein damals elfjähriges Mädchen einer Nachbarin davon erzählte.
Der Chef des Berliner Landeskriminalamtes (LKA), Peter-Michael Haeberer sagte am Freitag, dieser Fall sei „kein Polizeiskandal“. Auch er sagte, dass sich K. trotz aller Warnungen an das Umfeld das Vertrauen von Nachbarn erschlichen habe und sich in Wohnungen Kindern habe nähern können. „Dort enden aber unsere Möglichkeiten. Wir können uns nicht neben ihn ins Bett legen. Das, was wir tun konnten, haben wir auch getan.“ Eine permanente Überwachung des Mannes wäre illegal, so die Polizei, auch Eltern hätten eine Verantwortung. Am Montag will sich der Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses mit dem Fall befassen. Polizeipräsident Dieter Glietsch soll zu den Geschehnissen befragt werden.
Die Berliner Polizei befürchtet noch weitere Opfer in der Nachbarschaft. Das „schwierige soziale Milieu“ könnte dazu beigetragen haben, dass die Warnungen ignoriert wurden, hieß es.
Nachbarn von Uwe K. reagieren am Freitag geschockt, aber nicht überrascht. „Das ist der Kinderschänder. Der saß hier im Sommer immer mit zwei Frauen auf der Bank, hat mit den Kindern gespielt und sie beim Schaukeln angeschubst“, sagt Kevin. Der Junge ist elf Jahre alt und spielt oft auf dem Spielplatz zwischen den zwei zehngeschossigen Sozialbauten im Falkenhagener Feld am westlichen Rand von Berlin-Spandau. Von hier aus fällt der Blick auf grauen Beton und bunte Balkone. Viele Fenster sind verhangen. Ein sozialer Brennpunkt. Im Kindergarten auf der anderen Seite der Falkenseer Chaussee herrschte am Freitag bei den Erziehern großes Entsetzen. Von den Eltern dagegen wissen die wenigsten überhaupt, dass Uwe K. nur etwa 50 Meter Luftlinie weiter wohnte. Als eine Mutter, die ihren Sohn von der Kita abholt, davon erfährt, ist sie geschockt, zittert und muss sich erst einmal setzen. „Oh mein Gott, meine Tochter geht hier jeden Tag lang und fährt allein mit dem Bus zur Schule.“
Bis nach Falkensee im brandenburgischen Havelland ist es nicht weit. Dort hatte Uwe K. zwischen 1992 und 1995 neun Mädchen vergewaltigt und saß dafür elf Jahre in der Stadt Brandenburg im Gefängnis. 2007 wurde er wegen einer Gesetzeslücke zur Sicherungsverwahrung entlassen, obwohl er als weiterhin äußerst gefährlich eingestuft wurde. Der Bundestag schloss im März 2007 die Gesetzeslücke. Auswirkungen auf den Fall aus Brandenburg hatte das aber damals nicht, weil der Mann vor Inkrafttreten des Gesetzes bereits aus der Haft entlassen war. K. hatte in seiner Haftzeit in der JVA Brandenburg eine Therapie verweigert. Der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg, Erardo Rautenberg, hatte in einem Gastbeitrag für die PNN seinerzeit vor „der tickenden Zeitbombe“ Uwe K. gewarnt. „Die Erfahrung zeigt, dass eine Therapie nichts bringt, wenn der Straftäter sich weigert“, sagte ein Sprecher des Justizministeriums Brandenburg am Freitag.
Nach seiner Haftentlassung ließ sich K. wenige Kilometer von den alten Tatorten in Falkensee in Berlin-Spandau nieder – mit Blick auf den Spielplatz. In seiner Wohnung soll er wenige Monate später das elfjährige Mädchen vergewaltigt haben. Direkt nach seinem Umzug nach Spandau im Dezember 2007 suchte K. nach Polizeiangaben Kontakt zu einer Familie mit zwei minderjährigen Mädchen.
Laut Berlins LKA-Chef Haeberer sprach die Polizei vier Mal sehr ausführlich mit Uwe K., nachdem er nach Berlin-Spandau gezogen war und nahm mindestens 20 Mal aus unterschiedlichen Anlässen Kontakt zu ihm auf. Dreimal ordnete die Polizei auch eine längerfristige Überwachung an – für insgesamt 32 Tage. „Wir haben bei ihm ein Muster erkannt, die Bewohner gewarnt und ihn observiert“, sagte Haeberer. „Dennoch ist es natürlich höchst bedauerlich, dass es wieder Opfer gab.“
Schon im Februar 2008 soll es zur ersten versuchten Rückfalltat in einer Wohnung gekommen sein. Im Sommer hat K. dann vermutlich das Mädchen in seine Wohnung gelockt und vergewaltigt. Da das Kind sich erst mehr als ein Jahr nach der Tat einer Bekannten anvertraute, konnte K. erst am 3. Dezember letzten Jahres festgenommen werden. Gegen ihn läuft jetzt ein Verfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs in Tateinheit mit Vergewaltigung.
Intern hieß es bei der Berliner Polizei, man habe im Fall von Uwe K. schon mehr gemacht, als gesetzlich eigentlich möglich. „Bei K. sind wir bis in den Graubereich dessen vorgestoßen, was bei der Beobachtung eines Straftäters, der seine Strafe verbüßt hat, erlaubt ist“, so ein Ermittler. Daher sei man besonders verärgert über die Kritik an der Polizei, aber auch über einige Eltern.
Ziel der nun laufenden Ermittlungen, so LKA-Chef Haeberer, sei es, so viel belastendes Material zu sammeln, dass der Mann nicht wieder freikomme. „Jetzt gibt es die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung.“
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