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Brandenburg: Prekär, aber glücklich

Mehr als 26 000 Italiener leben in Berlin. Eine neue Studie der Universität Potsdam zeigt, was sie machen

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Berlin - Italien in Berlin, das war schon immer etwas Besonderes. Während italienische Migranten in Westdeutschland den Arbeitskräftebedarf der Industrie deckten, wanderten sie ins westliche Berlin vor allem in Gastronomie und Handel ein. Und oft aus denselben Gründen, die junge Westdeutsche in die geteilte Stadt zogen: größere Freiheit, die Faszination der Insel. Dem Motiv junger Bundesbürger, dem Wehrdienst zu entgehen, entsprach bei manchen der italienischen Migranten die Notwendigkeit, sich der „bleiernen Zeit“ der Jahre nach ’68 zu entziehen.

Einige Muster sind geblieben, haben die Sozialwissenschaftler Edith Pichler und Oliver Schmidt von der Universität Potsdam herausgefunden, als sie jetzt Italiens Berliner befragten, um Trends herauszufinden – für eine repräsentative Umfrage reichten die 148 Fragebögen nicht aus, die die Wissenschaftler im Auftrag von Comites auswerteten, der Vertretung der Auslandsitaliener. Der „Mythos Berlin“ (Pichler) lebt und er zieht, anders als in früheren Jahrzehnten, mehr Italiener an denn je: Wohnten Mitte der 1980er-Jahre noch etwa 8000 von ihnen in Berlin, sind es inzwischen weit gut dreimal so viele, wenn man auch die Berliner mit italienischem Migrationshintergrund einrechnet – alles in allem mehr als 26 000 Menschen. Berlin ist ihr bevorzugtes Ziel in Deutschland.

„Lebensqualität“ gaben die meisten als Grund für ihre Übersiedlung an, mit weitem Abstand zu Familie, Arbeit und Studium. Am liebsten leben sie in Friedrichshain-Kreuzberg. Ihre Beschäftigungsmuster ähneln den früheren. Wie die, die vor ihnen kamen, verdienen sich auch Berlins neue Italiener ihren Lebensunterhalt vor allem im Dienstleistungssektor, in Gastronomie und Handel, aber auch als Journalisten, Grafikdesigner oder im Kulturbetrieb. Bau und Industrie, schreiben Pichler und Schmidt, seien praktisch „nicht relevant“, was mit der Struktur der Berliner Wirtschaft zu tun habe, aber auch einer insgesamt veränderten europäischen Migration, die andere Zuzügler fördere. Für diese „neue europäische Mobilität“ hat gerade das Wirtschaftsforschungsinstitut DIW Zahlen geliefert: Demnach lebten 2012 7,4 Millionen EU-Bürger außerhalb ihres Heimatlandes, rund 30 Prozent mehr als noch fünf Jahre zuvor. Man solle diese Migranten, schreiben Pichler und Schmidt, denn auch besser „nicht mehr als wandernde Ausländer“ betrachten, „sondern mehr als mobile EU-Bürger“.

Immerhin 80 Prozent gaben an, sie würden umziehen, wenn sich anderswo bessere Arbeitsmöglichkeiten böten. Das dürfte für gut gestellte Wissenschaftlerinnen, Architekten, Ingenieurinnen wohl ebenso zutreffen wie für die, die die Autoren als „kreative Prekäre“ bezeichnen: Die Mehrheit der Befragten arbeite und habe sogar Hochschulabschluss, aber: „Trotz besserer Ausbildung und höherem kulturellem Kapital“, schreiben Pichler und Schmidt, „verweisen nicht selten die Beschäftigungsverhältnisse der jungen italienischen Berliner/-innen auf prekäre Lebensbedingungen.“ Dafür spreche etwa, dass immer mehr von ihnen in Branchen mit hohem Niedriglohnanteil arbeiteten. Auch der große Anteil Selbstständiger verschleiere womöglich bei einigen ein Leben im Prekariat.Andrea Dernbach

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