Brandenburg: Regierender im zweiten Anlauf
Nur eine Stimme Mehrheit: Nach Debakel im ersten Wahlgang fiel Ergebnis für Klaus Wowereit beim zweiten Durchgang knapp aus
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Berlin - Das war äußerst knapp. Als der Abgeordnetenhauspräsident Walter Momper (SPD) um 16.35 Uhr das Ergebnis des zweiten Wahlgangs vorlas, war bei den Koalitionsfraktionen zwar grenzenlose Erleichterung zu spüren, aber jede Begeisterung fehlte. 75 Ja-Stimmen für Klaus Wowereit, 74 waren gegen ihn. Ein Abgeordneter, der am ersten Wahlgang noch teilgenommen hatte, muss der weiteren Abstimmung ferngeblieben sein. Mit dem denkbar schlechtesten Ergebnis wurde der sozialdemokratische Regierende Bürgermeister im Amt bestätigt.
Als Klaus Wowereit zur Vereidigung schritt, war er sichtlich durcheinander, nahm dem Parlamentspräsidenten die Eidesformel aus der Hand und las sie stockend vor. Zweimal versprach sich Wowereit. Fluchtartig verließ er dann mit den künftigen Senatskollegen das Gebäude des Preußischen Landtags, um ins Rote Rathaus zu fahren. Dort wollte er die Ernennungsurkunden austeilen. Kein Kommentar. Aber ein SPD-Abgeordneter fasste die Situation mit knappen Sätzen treffend zusammen: „Da war ein Schienbeintreter am Werk und ein Heckenschütze. Das ist ein sehr unschöner Start für die neue Wahlperiode, wir haben eigentlich keine richtige Mehrheit.“
Mit dem Schienbeintreter meinte der Genosse offenbar jenen anonymen Abgeordneten, der sich einmal enthielt und beim zweiten Mal fernblieb. Der Stratege muss jener gewesen sein, der zunächst auch mit Enthaltung stimmte, aber dann gegen Wowereit votierte. Niemand in den Koalitionsfraktionen, außer den Heckenschützen selbst, hätte das für möglich gehalten. „Alles in Ordnung, alle an Bord“, hieß es noch gegen 12.30 Uhr, nachdem beide Fraktionen sich noch einmal zum Zählappell getroffen hatten.
Dann der erste Wahlgang. Mit Ja votierten 74 Abgeordnete, mit Nein 73 – aber es gab zwei Enthaltungen. Zuerst herrschte große Verwirrung, da der Abgeordnetenhaus-Präsident Momper die Mehrheit zur Wiederwahl Wowereits als gegeben ansah, und Wowereit fragte, ob er die Wahl annehme. Der bejahte dies zunächst, blieb dann aber stumm auf seinem Platz in der SPD-Fraktion sitzen.
Sogleich protestierte die Opposition, und der Parlamentsdirektor Hartmann von der Aue machte Momper auf dessen Fehler aufmerksam. Notwendig für die Wahl des Regierenden Bürgermeisters ist laut Verfassung nicht die einfache Mehrheit, sondern die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, einschließlich der Enthaltungen. Der SPD-Fraktionschef Michael Müller eilte ans Rednerpult und beantragte die Unterbrechung der Parlamentssitzung um eine Stunde. Beide Koalitionsfraktionen kamen zu getrennten Krisenberatungen zusammen.
Die zwei Enthaltungen kamen höchstwahrscheinlich aus dem Regierungslager, denn die Opposition verfügt über genau 73 Mandate und stimmte mit großer Sicherheit geschlossen gegen Wowereit. Als mögliche Abweichler wurden am Rande der Sitzung der ehemalige Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei/PDS) und der PDS-Kulturexperte Wolfgang Brauer genannt. Andere meinten: Es könnte auch jemand von der SPD gewesen sein. In der Debatte vor dem Wahlgang hatten die Fraktionschefs von CDU. Grünen und FDP den Sozialdemokraten vehement vorgeworfen, „ohne Not“ das Bündnis mit der Linkspartei/PDS fortsetzen zu wollen. In einer sehr beachteten Rede forderte der FDP-Fraktionsvorsitzende Martin Lindner den Regierenden Bürgermeister auf: „Sie müssen raus aus dieser Isolation.“ Mit „diesen Leuten“, er meinte die PDS, könne man nicht regieren, das schade der Stadt. Auch wenn es möglicherweise Wowereits Strategie sei, die Linkspartei in den nächsten fünf Jahren „durch Umarmen zu erdrücken“. Aber mit der PDS regiere die SPD „weit unter ihren Möglichkeiten“.
Auch der CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger nannte Rot-Rot „verheerend für Berlin“. Er wiederholte trotzdem die Bereitschaft der Union zu einer konstruktiven Zusammenarbeit. Der Koalition fehle allein „der politische Kompass“. Auch die Grünen-Fraktionschefin Franziska Eichstätt-Bohlig warf Wowereit vor, sich einen „völlig ungeeigneten Koalitionspartner“ ausgesucht zu haben.
Doch als die Wiederwahl Wowereits im ersten Anlauf daneben ging, war alle Rhetorik verflogen. Die Koalitionsfraktionen verschanzten sich, erst nach einer knappen Stunde kamen die ersten PDS-Abgeordneten zurück in den Plenarsaal. In kleinen Gruppen wird diskutiert, manche sitzen nur stumm da. Schließlich hat auch die SPD-Fraktion ihre Sitzung beendet. SPD-Chef Müller steht mit Wowereit und den Senatoren Ingeborg Junge-Reyer und Ehrhart Körting zusammen. Sie sagen nicht viel, aber die Gesichter sprechen Bände. Die Lage ist ernst. Zehn Meter weiter plaudern Pflüger und Lindner, der CDU-Fraktionsgeschäftsführer Frank Henkel sitzt auf seinem Platz und scherzt mit dem Nachbarn. Dann geht Müller hinüber zur PDS-Fraktionschefin Carola Bluhm, sie wechseln wenige Worte. Kurz nach 16 Uhr eröffnet Parlamentspräsident Walter Momper zum SPD-Fraktionschef eröffnet wieder die Sitzung. Vorsichtshalber zitiert er die Geschäftsordnung des Parlaments: „Kommt der erste Wahlgang nicht zustande, wird die Wahl wiederholt. In dieser Situation befinden wir uns jetzt.“ Die Wahlkabinen werden ein zweites Mal aufgestellt, die Namen der Abgeordneten verlesen. Während der Auszählung der Stimmen tigert SPD-Chef Müller auf und ab, Wowereit ist verschwunden. Dann gibt Momper das Ergebnis bekannt. Der Regierende Bürgermeister ist mit knapper Not und einer Stimme Mehrheit gewählt.
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