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Umstritten. In der Lausitz tobt um die Zukunft der Tagebaue und Braunkohlekraftwerke ein Kampf um Meinungsführerschaft und Deutungshoheit.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dapd

Brandenburg: Rückzugsgefechte

Laut einer Gewerkschaftsumfrage sind die meisten Lausitzer für neue Braunkohle-Tagebaue. Es hagelt breite Kritik

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Cottbus - In der Lausitz ist ein Kampf um Meinungs- und Deutungshoheit entbrannt. Entscheidungen über neue Tagebaue in Welzow-Süd und Jänschwalde stehen an. Deshalb hat die Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE, Bezirk Cottbus) am gestrigen Montag eine von ihr beim Meinungsforschungsinstitut Forsa in Auftrag gegebene Umfrage vorgestellt. Das Ergebnis ist wenig überraschend: Die Mehrheit der befragten Lausitzer befürwortet die Braunkohlverstromung und weitere Tagebaue. Zwei von drei Befragten stimmten der Aussage zu, dass „zur Sicherung der langfristigen zuverlässigen und kostengünstigen Versorgung mit Energie die Erweiterung des Braunkohletagebaus in der Lausitz notwendig“ ist. Auch 34 Prozent der Grünen-Anhänger und 73 Prozent der Anhänger der Linkspartei hätten zugestimmt.

Forsa hatte im Juni mehr als 2001 Lausitzer zur Energiewende und Energiepolitik befragt. Aus Sicht von jedem fünften Befragten ist die Erschließung neuer Tagebaue „nicht zu verantworten, weil die Schäden für Umwelt und Natur zu groß sind“. Die Frage, ob es richtig sei, nach den Kernkraftwerken auch noch die Kohlekraftwerke abzuschalten, beantworten fast neun von zehn Befragten mit Nein.

Die Umfrage mache deutlich, dass die Menschen in der Region die Vor- und Nachteile der Braunkohle sehen, erklärte IG-BCE-Bezirksleiter Ralf Hermwapelhorst. Zugleich macht er neue Frontlinien auf: „Gerade einmal 18 Prozent sind der Meinung, dass es den Kritikern der Braunkohle um die Zukunft der Region geht. 74 Prozent halten die Protestierer schlicht für Interessenvertreter in eigener Sache“, sagte Hermwapelhorst. Die Aussage, „die Kritiker, die in der Lausitz gegen die Braunkohle protestieren, kommen überwiegend aus der Region“, befürwortete die Hälfte der Befragten.

Die IG BCE führt seit einigen Wochen eine Kampagne für neue Tagebaue und sammelt wie die Kohlegegner für das Braunkohleplanverfahren zum neuen Tagebau Welzow Süd II Unterschriften – allerdings für die Pläne des Energiekonzerns Vattenfall. 1 900 Hektar sollen abgebaggert, 800 Menschen umgesiedelt werden. Ein Planentwurf war bei der Anhörung im Herbst 2012 wegen gravierender Mängel gestoppt worden, weil die Abbaggerung von Dörfern energiepolitisch nicht als notwendig begründet werden konnte. Derzeit läuft ein neues Beteiligungsverfahren. Gewerkschaftsfunktionär Hermwapelhorst sagte, bisher sei man immer nur von einer schweigenden Mehrheit für Braunkohle ausgegangen. Die Umfrage gebe nun Gewissheit, dass „wir mit unserem Engagement für die Braunkohle und für die Region“ richtig liegen und dass „wir mit diesem Einsatz klar für die große Mehrheit der Lausitzer sprechen“.

Auch Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) sprach in Cottbus von einer Perspektive für die Braunkohle in Deutschland. Voraussetzung sei, dass die Bevölkerung den Abbau des fossilen Energieträgers mittrage. Außerdem brachte er die CCS-Technologie wieder ins Spiel. Die Braunkohleverstromung müsse mit umweltverträglicher Technologie zur Abtrennung des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) einhergehen. „Braunkohle kann günstig produziert werden und hilft, den Strompreis niedrig zu halten“, sagte Altmaier. Deshalb könne sie zum Erfolg der Energiewende beitragen.

Umweltaktivisten, Initiativen vor Ort und die Grünen übten scharfe Kritik an der Umfrage. Die Allianz für Welzow bezeichnete sie als unseriös. „Die Industrielobby möchte durch manipulative Fragestellung gut Wetter zur Abbaggerung von Teilen der Gemeinde Welzow machen“, sagte Günter Jurischka. Fragen nach Enteignung und Abbaggerung von Dörfern seien nicht gestellt worden. „Die Braunkohleindustrie schießt derzeit aus allen Rohren, um Dörfer wie Proschim doch noch abbaggern zu können“, so Jurischka.

„Statt die Menschen mit Suggestivfragen am Telefon zu nerven, sollte die IG BCE sich der Realität stellen. Nicht mal Vattenfall selber glaubt an die Zukunft der Braunkohle“, sagte BUND-Landesgeschäftsführer Axel Kruschat. „Es wird Zeit, dass die IG BCE sich endlich um eine vernünftige wirtschaftliche Alternative für die Lausitz nach der Braunkohle kümmert, anstatt den Menschen einzureden, mit der Braunkohle wären ihre Arbeitsplätze sicher.“ Viele Menschen hätten noch einen Arbeitsplatz in der Braunkohle, immer mehr würden aber auch die Probleme erkennen, wie die Verockerung der Spree durch Eisenschlamm, Klimawandel und Luftverschmutzung. „In dieser Situation ist völlig logisch, dass die Menschen am Vorhandenen festhalten wollen, dass wird aber nicht möglich sein“, so Kruschat. Die IG BCE solle „sich Gedanken über eine Zeit nach der Braunkohle machen. Denn diese Zeit steht vor der Tür.“

Der Grünen-Bundestagskandidat Wolfgang Renner sagte, „hier wurde mit manipulativen Fragen versucht, Stimmung zu machen“. Es sei nicht gefragt worden, ob man für einen mittelfristigen Kohleausstieg sei.

Der Kohleexperte der Umweltorganisation Greenpeace, Gerald Neubauer, kritisierte, nur die Bewohner des Braunkohlereviers zur Zukunft der Braunkohle zu befragen sei extrem kurzsichtig. Umwelt- und Gesundheitsschäden durch Braunkohleverstromung gingen weit über die Region hinaus. Laut anderen Umfragen unterstütze eine große Mehrheit der Bundesbürger einen Kohleausstieg bis 2040. Die Braunkohle sei ein Auslaufmodell. „Statt sich in Rückzugsgefechte zu verschanzen, sollte die Gewerkschaft ihren Mitgliedern bei der Planung ihrer Zukunft helfen und den Strukturwandel unterstützen“, sagte Neubauer. Alexander Fröhlich (mit dpa)

Alexander Fröhlich (mit dpa)

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