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Brandenburg: Schicksalszug

Vor 68 Jahren strandete ein Transport mit rund 2000 jüdischen Häftlingen im brandenburgischen Tröbitz. Zum Gedenktag kamen Angehörige der Insassen

Von Katharina Wiechers

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Tröbitz - Gezeichnet von jahrelangen Strapazen im Konzentrationslager Bergen-Belsen, von Hunger, Krankheit und einem zehntägigen Transport unter katastrophalen Umständen quer durch Deutschland - so strandeten rund 2000 jüdische Häftlinge am 23. April 1945 in Tröbitz. Der Zufall wollte es, dass ihr Transport in das KZ Theresienstadt auf einem Gleis nahe des kleinen sübrandenburgischen Dorfes stand, als die Rote Armee ihn befreite. Die Soldaten richteten ein Notlazarett ein und verteilten die übrigen Häftlinge auf die Privathäuser der Tröbitzer. „Auf einmal lag mein Vater in einem frisch gemachten Bett und konnte es gar nicht glauben“, sagt Lore Robinson. Die 89-Jährige ist aus Großbritannien nach Brandenburg gekommen, um noch einmal den Jahrestag der Befreiung des als Verlorener Zug bekannten Transportes mitzuerleben, der am Dienstag in Tröbitz begangen wurde. Der Ort, an dem Lore Robinsons Mutter begraben liegt.

Eigentlich war die Flucht von Lores jüdischstämmigen Kölner Familie nach Amerika so gut wie vollbracht: Die Habseligkeiten waren im Hafen von Rotterdam, die Fahrscheine in der Tasche und die damals 15-jährige Lore in Sicherheit in England. Dorthin war sie 1939 mit einem der letzten Kindertransporte vorgeschickt worden, um sie vor den Nationalsozialisten zu schützen. Sie sollte ihren Eltern wenig später in die USA folgen, um dort ein neues Leben anzufangen. Doch an dem Tag, bevor die Queen Mary ablegen sollte, fiel Hitler in den Niederlanden ein. Lores Eltern wurden verhaftet und in das KZ Bergen-Belsen gebracht. Kurz vor Kriegsende wurden sie in einen Zug verfrachtet, der sie mit anderen Häftlingen nach Theresienstadt bringen sollte. Der Transport irrte tagelang durch den immer enger werdenden Korridor des noch nicht von den Alliierten besetzten Deutschlands und kam schließlich vor einer zerstörten Brücke über die Elster zum Stehen. Wie viele andere starb Lores Mutter kurz nach der Befreiung, weil sie sich an dem im Zug grassierenden Typhus angesteckt hatte. Der Vater überlebte noch sechs Monate und konnte seiner Tochter so von den Erlebnissen berichten. „Die Tröbitzer waren anständige Leute, hat er immer gesagt“, erzählt Lore Robinson. Sie blieb in England und gründete eine Familie - nach Tröbitz wurde die Seniorin von ihren beiden Enkeln und ihre Schwiegertochter begleitet.

Auch Saskia Goldschmidt ist angereist, um bei den Kranzniederlegungen an den Gedenksteinen in Tröbitz und am Bahngleis in Langennaundorf dabei zu sein. Auch der Vater der heute 58-jährigen Niederländerin war Insasse des „Verlorenen Zugs“. Er überlebte wie durch ein Wunder. „Als der Zug befreit wurde, konnte mein Vater ihn nicht verlassen, er war zu geschwächt von dem ewigen Hunger“, erzählt sie. „Er war sich sicher, dass er stirbt, aber seine damalige Frau hat ihn gepflegt und er überlebte.“ Doch auch als der Mann wieder aufstehen konnte, nahmen die beiden nicht das von den Russen zugewiesene Privathaus in Anspruch. „Das wollten sie nicht. Nach allem, was sie erlebt hatten, wollten sie Distanz zu den Deutschen halten“, sagt Goldschmidt.

Die Holländerin ist nicht das erste Mal in Tröbitz. Für ein Buch über das Schicksal ihres Vaters ist sie schon mehrmals in dem Ort gewesen und ist beeindruckt, wie dort die Erinnerung wachgehalten wird - trotz der komplizierten Gefühlslage vieler Überlebender im Dorf. Schließlich kamen 1945 auch 26 Gemeindemitglieder ums Leben, weil sie sich bei Häftlingen mit Typhus ansteckten.

Über die Art des Gedenkens herrscht bis heute Uneinigkeit. Der Tröbitzer Bürgermeister Holger Gantke (CDU) fordert vom Land seit Jahren die Finanzierung einer Ausstellung (PNN berichteten). Zugesagt wurde ihm nun ein Bruchteil der geforderten Summe, gleichzeitig laufen Planungen für eine Open-Air-Ausstellung mit Informations-Stelen. Gantke fühlt sich vom Land im Stich gelassen, während ihm manche hinter vorgehaltener Hand Untätigkeit vorwerfen - auch während des Gedenktages spielt der Konflikt hinter den Kulissen eine große Rolle. Zumindest eine Genugtuung haben die Tröbitzer erfahren: Zum ersten Mal waren hohe Beamte aus Potsdam angereist und legten einen Kranz nieder - im Namen von Brandenburgs Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD). Katharina Wiechers

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