POSITION: Schutz vor Fremdenfeindlichkeit – als Staatsziel
Wer das Krebsgeschwür des Rassismus bekämpfen will, muss genauer zielen Von Jes Albert Möller
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Bananen und Urwaldgeräusche auf dem Fußballplatz, ein Politiker, der in Anspielung an seine Herkunft weithin Fipsi genannt wird und in einem Interview ausschließlich zu seiner Herkunft befragt werden soll, Hetze gegen Flüchtlingsheime: Der Rassismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, nicht nur als Begleiterscheinung des Rechtsextremismus. Zunächst ist es zwar Aufgabe der Zivilgesellschaft, Rassismus zu bekämpfen. Aber auch die Politik muss überdenken, ob die Rechtsordnung ausreichend Schutz bietet, wenn einzelne Gruppen durch Fremdenfeindlichkeit stigmatisiert und bedroht werden. Und deshalb muss auch die Verfassung des Landes geprüft werden, ob sie die Grundrechte noch ausreichend sichert.
Eine Initiative im Potsdamer Landtag hat sich vorgenommen, die Verfassung des Landes Brandenburg um eine Antirassismusklausel zu ergänzen. Das Land soll der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegentreten, so die Initiatoren. Ob Bayern Vorbild war? Dort verbietet die Landesverfassung, Rassen- und Völkerhass zu „entfachen“. Oder Mecklenburg-Vorpommern? Dort ist es verfassungswidrig, rassistisches oder anderes extremistisches Gedankengut zu verbreiten. In Brandenburg soll aber darüber noch hinausgegangen werden. Antirassismus soll als Verfassungsgrundsatz in die Landesverfassung verankert werden. Als Verfassungsgrundsatz? Solch ein Grundsatz beschreibt das normative Fundament der Verfassungsordnung, das „Hausgut“ der Staatlichkeit. Verfassungsgrundsätze bringen unser Grundverständnis vom Staat zum Ausdruck. Republik, Demokratie, Sozialer Rechtsstaat, Bundesstaat: das sind nach Artikel 20 Grundgesetz Verfassungsgrundsätze des Bundes. Die Bundesrepublik wäre nicht mehr Bundesrepublik, wenn sie keine Länder mehr hätte, sie wäre nicht mehr Republik, wenn wir eine Königin bekämen. Und diese Fundamente unseres Gemeinwesens sollen in Brandenburg durch den Antirassismus erweitert werden. Das Ländchen zwischen Perleberg und Proschim nicht nur als demokratischer Rechtsstaat, sondern als das erste antirassistische Land der Bundesrepublik? Antirassismus in einer Reihe mit Demokratie, Gewaltenteilung und Sozialstaat?
Ganz wohl scheinen sich die Einbringer des Entwurfes selbst nicht gewesen zu sein. Ausweislich der Gesetzesbegründung handelt es sich bei der Antirassismusklausel „um einen Verfassungsgrundsatz, der Leitprinzipien für die Wahrnehmung von Aufgaben des Landes und die Grundordnung des Gemeinwesens festlegt. Damit verbinden sich mehrere Funktionen, die Elemente von Staatszielen, Staatsaufgaben und Schutzpflichten, verfassungsrechtlichen Ordnungsideen, Leitbilder und Ordnungsmaximen aufnehmen“. Liest man dies, wünscht man sich als Erstes eine Verfassungsänderung, wonach im Brandenburger Landtag in verständlichem deutsch zu schreiben ist.
Einige in Brandenburg zögern, das Land in einen Staat des Antirassismus zu verwandeln: Mit Kanonen schießt man nämlich schon deshalb nicht auf Kleinvögel, weil die Trefferquote ziemlich gering ist. Es stimmt: Fremdenfeindlichkeit ohne Gegenwehr wuchert beängstigend schnell. Wer aber das Krebsgeschwür des Rassismus bekämpfen will, muss genauer zielen. Verfassungsrechtliches Mittel hierfür ist ein Staatsziel. Mit ihm kann die Bekämpfung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankengutes allem staatlichen Handeln als verbindliche Hausaufgabe aufgegeben werden, jeden Tag neu. Vorbild könnte der Umweltschutz sein. Als er vor gut 20 Jahren in das Grundgesetz eingefügt wurde, blieb der Artikel 20 mit dem „Allerheiligsten“ der Verfassungsgrundsätze unangetastet. Damit nicht das Missverständnis entstehen konnte, dem Umweltschutz müsse sich nun von Grund auf alles unterordnen, wurde ein neuer Artikel 20a in das Grundgesetz eingefügt und Umweltschutz wurde nicht fundamentale Verfassungsnorm, sondern Staatsziel.
Der Schutz aller Menschen vor rassistischen Anfeindungen ruht seinerseits auf einem ungeschriebenen Fundament unserer Verfassung: dem Gewaltmonopol des Staates. Das Land – niemand sonst! – schützt den inneren Frieden für alle. Versagt der Staat hier, scheiterte er insgesamt. Eigentümlich, dass dieser Konsens in der Verfassung nirgends ausformuliert wird. Dass das Land allen Menschen Schutz gewährt, um das friedliche Zusammenleben zu ermöglichen, dies wäre eine verfassungsrechtliche Klarstellung von Gewicht. Und sie würde das Ziel unterstützen, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen. Denn Verachtung und Hass vor dem Fremden entstehen auch aus Verunsicherung, nicht aus der Zahl der Ausländer, die im Land leben. Schutz vor Fremdenfeindlichkeit als neues Staatsziel, und zusätzlich ein neuer Verfassungsgrundsatz, der aufgreift, dass es zentrale Aufgabe des Staates ist, für Recht und Frieden für alle zu sorgen: Mit einem solch breiten Ansatz sollte es gelingen, die Reihen der Demokraten zu schließen.
Der Autor ist Präsident des Landesverfassungsgerichts Brandenburg
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