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WOLLHANDKRABBEN: Sie kamen per Schiff, stören Fischer und narren Angler Geschäft mit Einwanderern

Von der Plage zum Exportartikel: Asiaten importieren chinesische Wollhandkrabben aus Brandenburg

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Wollhandkrabben waren in Europa nicht heimisch. Sie sind aus China mit dem Schiffsverkehr in Deutschland eingeschleppt worden und haben sich rasch in Weser, Elbe und Ems verbreitet. Ihr Rückenpanzer kann bis 7.5 cm lang werden. Ihr Hinterleib ist nach vorne umgeschlagen. Auf jeder Körperseite sind 4 Beine, die Scheren sind meist stark ausgeprägt und bei den männlichen Tieren mit einem dichten Pelz umgeben (daher der Name). Die erwachsenen Wollhandkrabben wandern im Alter von 5 Jahren ins Meer um sich fortzupflanzen, dabei können sie Strecken von bis zu 12 km pro Tag zurücklegen. Die Entwicklung der Eier und Larven kann nur im salzhaltigen Wasser erfolgen. Die Jungtiere wandern mit bis zu 3 km pro Tag in die Süßwasserflüsse auf. Wollhandkrabben sind meist nachtaktiv. Tagsüber suchen sie Schutz in Verstecken am Gewässergrund. Als Nahrungsgrundlage dienen Wasserpflanzen, Insekten, Muscheln und Schnecken. Außerdem stehen tote und kranke Fische auf ihrem Speiseplan. Besonders bei der Reusenfischerei greifen sie gefangene Fische an und fressen sie. Oftmals vergnügen sich die Wollhandkrabben mit den toten Köderfischen der Angler beim Zanderangeln. PNN

Potsdam/Strodehne - Eine halbe Stunde Sonnenschein auf dem Flughafen Shanghai und schon sie waren hin. Krabben können so etwas nicht ab. Sie sind empfindlich, ihr Transport problematisch. Fischer Wolfgang Schröder aus Strodehne bei Rathenow kann ein Lied davon singen. Er handelt seit Jahren mit den chinesischen Wollhandkrabben aus dem Havelland. Sechs große Ladungen der Krabben hat er schon in ihre alte Heimat geschickt.

Denn die Tiere stammen ursprünglich aus China. Doch Anfang des 20. Jahrhunderts reisten sie auf Handelsschiffen aus China nach Norddeutschland ein – vermutlich unbemerkt im Ballastwasser der Schiffe, erklärt Detlef Knuth, Biologe und Leiter des Naturkundemuseums in Potsdam. In den deutschen Häfen krabbelten sie ans Ufer oder sie ließen sich auf andere Weise mitschleppen. Inzwischen fühlen sich die Nachkommen der Süßwasserkrabben längst auch in den deutschen Flüssen wohl. Schröder holt die Tiere netzeweise aus Elbe und Havel.

Anfänglich sahen die deutschen Fischer in den grauen Wesen nur Störenfriede, die mit ihren riesigen Scheren Netze zerreißen und den Fischfang mit ihren acht spitzen Beinen zerstechen, erklärt Knuth. Und zu allem Überfluss kommen sie auch noch im Überfluss vor – die Räuber haben in Deutschland kaum natürliche Feinde.

In Asien dagegen sind sie als Delikatessen sehr begehrt, aber offenbar nicht mehr genügend vorhanden, um den Heißhunger der Bevölkerung auf Krabbenfleisch zu stillen.

Jedenfalls würden Chinesen in Shanghai 20 US-Dollar für eine Krabbe zahlen, sagt Schröder. Der Handel mit dem eigentlich ungeliebten Einwanderer nach Übersee – ein Supergeschäft für den Brandenburger. Und auch die Asiaten in Deutschland haben anscheinend öfter Appetit auf die Krabben aus der alten Heimat. Schröder verkauft die Tiere in ganz Deutschland – bis nach Bonn und Frankfurt am Main, vorwiegend an Gastronomen mit Fernost-Imbissen oder China-Restaurants. „Die Chinesen bevorzugen die großen Krabben, die Vietnamesen die kleinen“, hat er mittlerweile gelernt. Rund 20 Tonnen gehen jährlich über die Theke seines Fischereiladens auf dem eigenen Hof, schätzt Schröder. Doch die Kunden hierzulande zahlen nur rund einen Euro pro Krabbe.

Nach dem Krabbensterben auf dem chinesischen Flughafen, seien die Händler der Volksrepublik allerdings erst einmal vorsichtig geworden mit den Importen von der Havel: „Zu viel Verluste“, meint Schröder. Lange grämen muss sich der Flussfischer aber nicht: Erst im September haben sich japanische Delikatessenhändler bei ihm umgesehen. Die planen nun, in Strohdehne einen Krabben-Großhandel aufzuziehen. In Kisten mit Wasserwannen sollen die Tiere erst auf LKW und später in Berlin ins Flugzeug geladen werden. „Aber ich packe ihnen die Krabben hier auf den Hof nur ein – um den Transport müssen die sich selbst kümmern“, stellt der erfahrene Krabbenverkäufer Schröder gleich klar. Schließlich hat ihn die Erfahrung gelehrt, dass Krabben wahre Mimöschen sind.

Aufmerksam geworden auf das riesige Krabbenvorkommen in der Havel, sind die Japaner durch die aktuelle Ausstellung „In der Spur des Menschen – Biologische Invasionen in aller Welt“ im Naturkundemuseum Potsdam, sagt Museumsdirektor Knuth, der die Krabben für sein Aquarium ebenfalls bei einem brandenburgischen Fischer gekauft hat.

Die Schau, deren Informationstafeln auf Deutsch und auf Englisch beschrieben sind, habe auch viele internationale Besucher angelockt, so Knuth. Er könne die ganzen Schriftzeichen im Gästebuch gar nicht entziffern: „arabisch, koreanisch“ – Menschen aus aller Welt haben sich darin eingetragen. Eines Tages sei auch ein japanischer Journalist vorbeigekommen. Der habe sich vor allem für die Wollhandkrabben interessiert, die als Aushängeschild der Ausstellung nahezu auf jedem Werbebanner zusehen sind. In einem Bericht stellte er die Potsdamer Schau in einer japanischen Zeitung vor, erzählt Knuth. Wenig später klopften die Investoren aus Japan in Strohdehne an Schröders Hoftor. Denn auch von Tokio bis Osaka isst man die dort seltenen Tiere ausgesprochen gern. Außerdem, so Knuth, schreibe man ihnen eine aphrodisierende Wirkung zu. Und dafür sind die Japaner ebenfalls sehr zu haben. Bis zu 80 Euro wollen die Investoren aus Fernost für ein Kilo deutsch-chinesischer Krabben zahlen – etwa 20 Euro pro Stück. Noch stehe aber nichts Genaueres fest. Schröder wartet darauf, dass sich die künftigen Kunden wieder melden. Aber vielleicht hat er die auch bald gar nicht mehr nötig.

Denn die Schröders bringen nach und nach ihre Freunde und Bekannten auf den Wollhandkrabben-Geschmack. Wolfgang Schröder bereitet sie selbst zu – nach dem Rezept eines chinesischen Kunden: gewürzt und in Öl gegart bis sie rot ist.

Juliane Wedemeyer

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