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Ungarn tischt auf. Das Gastland der 75. Grünen Woche hat nicht nur Gebäckspezialitäten mitgebracht. Und wie bei allen osteuropäischen Ausstellern wird auch hier in volkstümlicher Tracht serviert.

© ddp/Michael Gottschalk

Von Bernd Matthies: So schmeckt die Welt

Wenn italienische Wursthändler, Hollands Tomatenzüchter und Bio-Bauern zwischen Volkstrachten und dunklen Ministeranzügen anstoßen – und dazu die Linkspartei gegen niedrige Milchpreise demonstriert, dann kann das nur eins bedeuten: Die Grüne Woche ist eröffnet

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Berlin - Der erste Tag der Grünen Woche ist traditionell der Tag der Agrarpolitiker – doch so politisch war er noch nie. Kaum hatten sich am Freitag die Türen geöffnet, dominierten die dunklen Anzüge, die Erklärungen und Fototermine. Die Messe, die sich vor der Wende als Schaufenster der Märkte des Westens etabliert hatte, wandelt sich zum europäischen Entscheidertreffen mit angeschlossener regionaler Agrarausstellung.

Am Freitagvormittag waren immer nur ein paar Schritte nötig, um dem nächsten Minister zu begegnen. Auf dem Empfang des Bauernverbandes verbreitete Ilse Aigner im dezenten Dirndl Aufbruchstimmung, während Bauernverbandspräsident Gerd Sonnleitner die Muskeln spielen ließ: „Uns gehören 70 bis 80 Prozent von Deutschland“. In der Halle Mecklenburg-Vorpommerns stichelte Minister Till Backhaus gegen eine Politik, die Geld immer nur „für bayerische Bergbauern“ ausgebe, für Rheinland-Pfalz trank der Amtsinhaber mit der verdutzten regionalen Kartoffelkönigin ein Glas Milch, und das großmächtige, wieder gleich in zwei Hallen präsente Russland blieb unter sich: ein Wichtiger mit Leibwächtern führte ein umlagertes Pressegespräch in Landessprache.

Als die normalen Besucher nachdrängten, zeigte die Messe ihr vertrautes, alltägliches Gesicht. Deutschland bis in den letzten Winkel, je näher an Berlin, desto aufwendiger. Die ostdeutschen Länder dominieren rein flächenmäßig zusammen mit dem etwas abseits untergebrachten Russland – unwahrscheinlich, dass zwischen Ostsee und Erzgebirge irgendeine Wurst geräuchert oder irgendein Schnaps gebrannt wird und hier nicht zur Verkostung bereitsteht.

Als wichtigste Nachbarländer bestechen Holland und die Schweiz durch ihren noblen Auftritt und eine geradezu rührende Messetreue. Ungarn stellt sich als diesjähriges Partnerland umfassend dar, während Italien sich wie üblich durch radebrechende Wurst- und Schinkenverkäufer vertreten lässt und Frankreich durch diverse Weinimporteure. Auch das in einer ganzen Halle niedergelassene Nachbarland Österreich nervt mit allzu redseligen Weindealern, die nichts mit den herausragenden Top-Winzern des Landes zu tun haben.

Dennoch werden allerhand exotische Gelüste befriedigt, und sei es nur der Appetit auf eine Känguru-Knacker, die mit den warmen Worten „Wow, is det ne Wurst!“ angepriesen werden. Die osteuropäischen Länder verschaffen sich wieder einen Aufmerksamkeitsvorteil durch lärmende, üppig ausstaffierte Volkstanzgruppen, denen der Westen nichts annähernd Durchschlagendes entgegen setzen kann.

Gestalterische Qualität dagegen ist selten. Vor allem die Niederlande präsentieren sich auf relativ geringer Grundfläche in attraktiver Aufmachung als High-Tech- Blumen- und Gemüseland – die rituelle Windmühle dreht sich noch, aber darunter werden Tomaten angeboten, die schmecken, als wären sie soeben in einem provenzalischen Garten gepflückt worden.

Ob das alles den strengen Anforderungen der Bio-Bekenner genügt, mögen sie selbst entscheiden. Der Trend zu Bio zumindest setzt sich im Messeauftritt fort, die Halle ist nicht nur mit allerhand einschlägigen Produkten gut gefüllt, sondern bietet sich als Forum für den Auftritt von Vorkämpfern wie „Slow Food“ (siehe Service-Kasten). Am Rand der Halle hat sich zudem die Linkspartei in Stellung gebracht, um beispielsweise gegen die niedrigen Milchpreise zu wettern.

Spätestens beim Anblick des eifrigen Bio-Kochs auf der großen Bühne fällt der eklatante Köchemangel in allen anderen Hallen auf. Offenbar haben sich die prominenten Vertreter der Zunft längst zur IFA umorientiert, auf der bedeutend mehr Herde herumstehen. Überhaupt gibt es für den landläufigen Gast wieder so gut wie nichts umsonst zu essen; gratis ist es hingegen, sich an der Blütenpracht der Blumenhalle satt zu sehen, die mit Goethe-Zitaten und allerhand Anklängen an die Farbenlehre des Dichters buntes Bildungsgut vorführt. Ob er allerdings die kitschigen blauen Rosen eines Blickes gewürdigt hätte?

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