zum Hauptinhalt
Extremistische Rechte. Brandenburgs Sicherheitsbehörden prüfen alte Fälle auf mögliche Ermittlungspannen und rechtsextremistische Hintergründe. Das Innenministerium will derzeit nichts mehr ausschließen.

© David Ebene/dpa

Neonazi-Anschläge: Sorge vor Polizeipannen im Kampf gegen Rechts

Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) hält Neonazi-Zellen mit Anschlagsplänen auch in Brandenburg für möglich. Bislang lägen dem Land derartige Hinweise aber nicht vor.

Stand:

Berlin/Potsdam - In Brandenburgs Sicherheitsbehörden wächst die Sorge vor bislang nicht entdeckten Ermittlungspannen bei rechtsextremen Gewalttaten und Anschlägen, aber auch möglichen Verbindungen hiesiger Rechtsextremisten zur Zwickauer Neonazi-Gruppe. Ausgeschlossen wird an oberster Stelle derzeit nichts mehr.

„Alle möglichen Straftaten werden auf ihre Relevanz geprüft“, sagte eine Sprecherin des Landespolizeipräsidiums den PNN. Auch Innenminister Dietmar Woidke (SPD) wollte nicht ausschließen, dass die Aufklärung der Verbrechen der Neonazi-Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) noch Überraschungen mit sich bringen kann. Bislang sei das Ausmaß nicht klar, auch nicht wie viele Unterstützer es gab. „Ich schließe nicht aus, dass es auch in Brandenburg so etwas gab“, sagte Woidke. Bislang lägen dem Land derartige Hinweise aber nicht vor.

Zu den Fällen, die nun neu aufgerollt werden, gehört auch eine Serie von Bränden, die sich im Mai 2009 in Potsdam ereignet hatten. Die Polizei hatte damals einen Zusammenhang zwischen den Bränden und einen politischen Hintergrund „eindeutig“ ausgeschlossen – weil es keine „sonst üblichen Bekennerschreiben und Hinweise im Internet“ gegeben habe, wie Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) damals in einem Brief an das Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ) feststellte. MMZ-Direktor Julius Schoeps hatte erhebliche Zweifel daran geäußert. MMZ-Mitarbeiter Gideon Botsch forderte deshalb gestern gegenüber den PNN: „Vor dem Hintergrund der jüngsten Erkenntnis über rechtsextremistische Straftaten, die regelmäßig ohne Bekennerschreiben stattgefunden haben, und polizeilichen Ermittlungspannen, halten wir es für nötig die Brandanschläge erneut zu untersuchen.“

Für Botsch ist der Zusammenhang offenkundig. Damals war auf dem rechtsextremen Internet-Portal Altermedia in Verschwörungsmanie spekuliert worden, dass der bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommene Potsdamer DVU-Stadtrat Günther Schwemmer nach seiner Protestaktion gegen Asylbewerberheim nicht zufällig gestorben sei, sondern durch den israelische Geheimdienst. Stunden später brannte es in Potsdam an drei Stellen. Ein leer stehendes Asylbewerberheim ging in Flammen auf. Ein zweiter Brandsatz zündete am Kabarett Obelisk, wo am Vorabend MMZ-Direktor Schoeps einen Vortrag über Antisemitismus gehalten hatte. Zudem brannte das Lokal „Goldmund“ aus, unter dessen Adresse auch ein jüdisches Kulturzentrum residierte. Bereits 2001 hatte die „Nationale Bewegung“ im Raum Potsdam eine Serie von Brandanschlägen auf türkische Imbisse, aber auch auf die Trauerhalle auf Potsdams jüdischen Friedhof verübt. Ermittlungen der Bundesanwaltschaft blieben ohne Erfolg.

Indes prüft Brandenburger Verfassungsschutz mögliche Hinweise auf länderübergreifende rechtsextreme Aktivitäten im Zusammenhang mit den Anschlägen des Thüringer Neonazi-Trios, das acht türkischen und einen griechischen Kleinunternehmer sowie eine Polizistin ermordet haben soll. Im Visier der Behörden ist besonders die Neonazi-Szene im Landessüden, die eng mit den Strukturen in Sachsen und Thüringen vernetzt ist. Von der Lausitz aus hat sich das Netzwerk „Spreelichter“ als Plattform für die sogenannten „Freien Kräfte“ und Kameradschaften etabliert. Hinweise auf konkrete Verbindungen gibt es bereits. Etwa bei einem sächsischen Neonazi, der in Verdacht steht, der Terrorgruppe bei der Herstellung der DVD zu den Morden geholfen zu haben, und dessen Zwillingsbruder, ein Rechtsextremist aus Potsdam, der eine führende Rolle in der Szene spielt. Er ist Chef der Potsdamer „Jungen Nationaldemokraten“ (JN), dem NPD-Nachwuchs, gehört aber zu den Wortführern einer Bewegung, die auf Abstand zur NPD geht und unter dem Dach der JN lokale Kameradschaftsstrukturen und Freie Kräfte versammelt. Auch er ist bei den „Spreelichtern“ aktiv.

Am Freitag wurde bekannt, dass mutmaßliche Neonazis am vergangenen Sonntag in Potsdam-Babelsberg linke Jugendliche angegriffen und geschlagen haben sollen. Es besteht der Verdacht, dass der Angriff im Zusammenhang mit der Schändung des Gedenksteins von Herbert Ritter steht, ein Kommunist, der als das erste Todesopfer des NS-Terrors in Babelsberg gilt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })