
© Michael Kappeler/ddp
Von Thorsten Metzner: „Spät, aber nicht zu spät“
Ulrike Poppe will Aufarbeitungsbeauftragte sein/Einigkeit zur Amtseinführung
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Potsdam - Kein Redner attackierte Rot-Rot, niemand ging direkt auf die Stasi–Erschütterungen ein. Nur das Protokoll verriet, wie neuralgisch das Ganze in Brandenburg noch ist: Eigentlich sollte Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) zur offiziellen Amtseinführung der früheren DDR-Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe als Landesbeauftragte zur „Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur“ sprechen. Da Platzeck wegen einer Erkrankung ausfiel, wäre der Vize-Regierungschef, der Linke Helmuth Markov sein Vertreter, wovon man - auch nach Rücksprache mit Poppe - vorsorglich absah. Nein, nur kein Öl ins Feuer, nichts, was als Provokation aufgefasst werden könnte, Gräben aufreißen würde! Nicht an diesem Tag, der nach 20 Jahren durchaus eine Zäsur im Umgang mit der SED-Diktatur im Land markierte.
So erlebten 150 geladene Gäste im Schloss Cecilienhof einen Festakt der nachdenklichen und der klaren Töne. Da gestand etwa Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) offen ein, dass die Verdrängungen des jüngeren Erbes in den letzten Jahren ein Fehler waren. „Wir haben gemerkt, dass es nicht gut ist, wenn Spannungen schwelen, wenn Geschichte nicht aufgearbeitet wird.“ Brandenburg sei, „wenn auch spät“, auf einem guten Weg, sagte Fritsch, der selbst in der DDR Bausoldat, der Repressalien ausgesetzt war und nun gleichwohl einen „differenzierten Blick“ forderte: „Schwarz-Weiß hilft nicht weiter.“ Da sprach Marianne Birthler, die Stasi-Bundesbeauftragte, von einem „Tag der Genugtuung für alle, denen die Schatten der Diktatur am Herzen liegen“. Es gehe eben nicht um die Vergangenheit, „sondern um Gegenwart und Zukunft“. Brandenburg habe „spät, aber nicht zu spät“ zu einer „klaren Haltung“ im Umgang mit der SED-Diktatur gefunden, betonte Birthler, die vor fast zwei Jahrzehnten im Streit um die Stasi-Kontakte des damaligen SPD-Regierungschefs Manfred Stolpe die Ampel-Regierung verlassen, die zuletzt das „Kartell des Schweigens“ attackiert hatte. Nun aber, so Birthler, gebe es in Brandenburg eine „neue Bereitschaft“ zur Auseinandersetzung, sichtbar auch an in jüngster Zeit zunehmenden Anträgen auf Einsicht in Stasi-Akten, die ein „sensibler Gradmesser“ seien, ob man Aufarbeitung ernst meine. Und die neue Enquete-Kommission des Landtages zu dieser Thematik könne sogar „bundesweit Maßstäbe“ setzen. Aber Birthler vergaß auch nicht, ausdrücklich Regierungschef Platzeck zu danken, der Anfang 2009 bei einem Treffen mit ihr eher spontan zugesagt hatte, dass Brandenburg doch noch einen Stasi-Beauftragten bekommt. Birthler: „Er hat Wort gehalten.“
Oder Rainer Wagner, Vorstandschef der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft. Er freute sich, in Brandenburg jetzt Töne zu hören, „die ich hier vorher noch nie gehört habe“. Er wünschte Ulrike Poppe „Mut, Weisheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit“ in ihrem schwierigen Amt. Sie werde, so prophezeite er, noch Anfeindungen, Intrigen erleben. Doch Wagner warnte auch vor einem „bloßen Einschlagen auf die Tschekisten eines Herrn Mielke“. Manch kleine Stasi-Leute und IMs hätten, das wisse er auch aus seiner Opfer-Akte, „weniger geschadet als Parteisekretäre, Kaderleiter, Schuldirektoren“. Und diesen Ansatz teilt Ulrike Poppe, auf der so viele Erwartungen ruhen, ausdrücklich. Sie sehe sich als „Aufarbeitungsbeauftragte“, nicht als Stasi-Beauftragte, betonte sie. Und die jetzt entstehende Debatte, könne beitragen, dass Wähler „Fragen stellen“, eine „Sensibilität in der Bevölkerung“ erzeugen. Es gehe nur über „engagiertes Wählerverhalten“.
Seit Anfang März ist Ulrike Poppe nun dabei, ihre kleine, beim Landtag angedockte 8-Mitarbeiter-Behörde aufzubauen. Schon jetzt sei die Resonanz riesig, reiße die Welle der Anfragen nicht ab, stehe das Telefon nicht still. „Der Bedarf ist da“, sagt Poppe. „Und es ist deutlich geworden, ich bin kein Feigenblatt, kein Alibi.“ Sie wolle sich vorrangig um SED-Opfer kümmern - besonders um Leidtragende aus Jugendwerkhöfen, von beruflichen, politisch motivierten Repressalien vor 1989, um Aufklärung natürlich. „Brandenburgische Schüler wissen wenig von der Diktatur, über DDR-Geschichte.“ Aber Jugendliche, so mahnte Poppe, die heute mit DDR-Emblem auf T-Shirts herumlaufen, sollten wenigstens wissen, dass man zu DDR-Zeiten von der Schule fliegen konnte, wenn man einen Oppositions-Sticker „Schwerter zu Pflugscharen“ trug. „Und sie sollten wissen, dass Freiheit ein fragiles Gut ist.“
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