Brandenburg: „SPD braucht sich nicht zu verstecken“
Im Streit um das Enquete-Gutachten wundert sich Helmut Müller-Enbergs, selbst Mitglied der Kommission, über die Aufregung der Genossen
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Potsdam – In der aufgeheizten Debatte zu Stasi- und DDR-Eliten in Brandenburg meldet sich jetzt erstmals einer der prominenten Wissenschaftler aus der Enquete-Kommission des Landtages selbst zu Wort. Gegenüber den PNN mahnte der Stasi–Experte Helmut Müller-Enbergs am Mittwoch zu Besonnenheit und einer Rückkehr zur Sachlichkeit: „Die Schützengräben schaden dem Anliegen“. Er erinnerte an den breiten Gründungskonsens im Landtag für die Kommission, die einen großen Fortschritt für das Land verspreche, weg vom „Schweigekartell“ hin zur offenen Aufarbeitung.
Mit Unverständnis reagierte er auf die jüngsten wiederholten Frontalangriffe des brandenburgischen SPD-Fraktionschefs Ralf Holzschuher gegen das neue Enquete-Gutachten zur Stasi-Überprüfungspraxis von Regierung und Landtag. Die seien um so irritierender, als sich die Genossen nach dem Gutachten „nicht zu verstecken“ bräuchten: Als einzige Fraktion im Landtag hatte die SPD danach keine früheren Systemträger in den Reihen und mit Abstand den höchsten Anteil an SED-Opfern. Die SPD nimmt allerdings vor allem Anstoß an der eher knappen Passage zu Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe. Müller-Enbergs sagte dazu, er „habe Mühe, darin einen Aufreger zu erkennen.“ Denn es werde allein die bisherige Position der Stasi-Unterlagenbehörde wiederholt, wonach Stolpe als Konsistorialpräsident der evangelischen Kirche aus Sicht der Staatssicherheit ein wichtiger Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi war, was dieser immer bestritten hat. Müller-Enbergs verwies darauf, dass die Gutachter bei ihrer Bewertung der ersten und letzten Stasi-Landtagsüberprüfung im Jahr 1991 den Abschlussbericht der aus zwei kirchlichen Würdenträgern bestehenden Überprüfungskommission allein an den vom Parlament selbst für Stasi-Fälle gegebenen Kriterien gemessen haben. Und diese waren damals, so hieß es im damaligen Bericht der Würdenträger vom November 1991, eine „Verpflichtungserklärung“, „Angaben über Deckname, Führungsoffizier, Auftrag“, „erhaltene Geldleistungen oder Auszeichnungen“, „Vorliegen von Berichten oder weitergegebenen Informationen“. Müller-Enbergs erinnerte daran, dass ferner im Parlament lediglich ein einziges Mal ein weiteres Kriterium formuliert worden sei, nämlich in einer aus seiner Sicht beeindruckenden Rede des damaligen, inzwischen verstorbenen PDS-Vordenkers Michael Schumann, der 1991 in einer Aktuellen Stunde zur Stasi-Überprüfung erklärt hatte: „Wenn jemand Informationen über Personen, die ihm im Vertrauen mitgeteilt wurden, an die Staatssicherheit geliefert hat, hat er zweifellos einen Vertrauensbruch gegenüber Mitbürgern begangen“, was „prinzipiell die Empfehlung zur Niederlegung des Mandates“ rechtfertige. Er persönlich werde dieser folgen, selbst wenn er sie nicht für gerechtfertigt halte. Dazu kam es nicht. Schumann war einer der damaligen „Grenzfälle“, weil er 18 Jahre vor dem Zusammenbruch der DDR während seiner Armeezeit ein Jahr GMS (Gesellschaftlicher Mitarbeiter Sicherheit) der Staatssicherheit war, ehe er sich selbst dekonspirierte und so der Spitzeltätigkeit entzog. Im Gegensatz zur Kommission von 1991 kommt das aktuelle Gutachten zum Ergebnis, dass es damals eine Empfehlung zur Mandatsniederlegung hätte geben müssen. „Insoweit bestätigt“, so Müller-Enbergs, „Schumann postum eindrucksvoll das nüchtern und sachlich begründete Fazit des Gutachtens.“
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