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Brandenburg: SPD-Linker schwächt Wowereit

Berlins Regierender Bürgermeister legte sich für seinen Vertrauten Michael Müller mächtig ins Zeug – doch neuer Landeschef der SPD wurde Jan Stöß

Von
  • Ulrich Zawatka-Gerlach
  • Sabine Beikler

Stand:

Berlin - Mit so einem deutlichen Ergebnis hat Michael Müller nicht gerechnet. In einer dramatischen Kampfabstimmung hat die Berliner SPD den langjährigen Parteichef am Sonnabend auf einem Landesparteitag abgewählt. Der Sprecher der Parteilinken, Jan Stöß, wurde mit 123 Stimmen zum neuen SPD-Landeschef bestimmt. Für den Stadtentwicklungssenator Müller votierten nur 101 der 225 Delegierten. Es gab eine Enthaltung. Damit ist der seit Monaten schwelende Führungsstreit in der stärksten Berliner Regierungspartei vorerst beendet. Stöß rief nach seiner Wahl die eigene Partei zur Geschlossenheit auf.

Stöß ging nach der Entscheidung auf die Bühne, gab Müller die Hand und sagte: „Auf gute Zusammenarbeit.“ Müller dagegen ging kurz danach bedröppelt von der Bühne, Aktentasche und Laptop in der Hand. Selbst die deutliche Position, die der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit für ihn bezogen hat, hat ihm nicht mehr geholfen. Die Genossen haben ihren Parteichef abgewählt – und er bekommt noch nicht einmal einen Blumenstrauß zum Abschied.

Wowereit hatte sich in der vorausgehenden Debatte vergeblich für den langjährigen Freund und politischen Vertrauten Müller stark gemacht. Dieser habe als SPD-Landeschef hervorragende Arbeit geleistet. Wowereit appellierte an die eigene Partei, sich nicht aufspalten zu lassen. „Wir tragen gemeinsam Verantwortung.“ Er kritisierte auch das neue Misstrauen in der Berliner SPD, „als wären sozialdemokratische Senatoren ein feindliches Lager“. Spöttisch kommentierte Wowereit, dass jetzt von der „Dämmerung des Regierungschefs“ geredet werde. „Viel Vergnügen dabei, es gab schon häufiger den Versuch, mich zu dämmern.“ Zum neuen SPD-Chef Stöß sagte Wowereit nur: „Ihr wisst ja, ich bin flexibel.“

Stöß kündigte in seiner Kandidatenrede an, dass er für die „Erneuerung der Berliner SPD“ stehe. Über die Tagesarbeit des Senats hinaus müsse die Partei „große Vordenkerin für die Stadt“ sein. Mit einem von der Landesregierung unabhängigen Profil. „Was wir auf Parteitagen beschließen, muss gelten.“ Viele Menschen in der Stadt, so Stöß, hätten die SPD abgeschrieben. Er wolle helfen, mangelnde Glaubwürdigkeit mit dem zentralen Thema „soziale Gerechtigkeit“ zurückzugewinnen. Stöß forderte auch, dass die SPD ihre Verbündeten nicht nur im parlamentarischen Raum suchen dürfe, sondern „bei den sozialen Initiativen, den Verbänden und Gewerkschaften“. Dafür sollten die Sozialdemokraten auch auf die Straße gehen und die Präsenz auf Veranstaltungen und Demonstrationen nicht Linken und Grünen überlassen. Außerdem müssten sich die Berliner Sozialdemokraten wieder stärker in die Bundespolitik einmischen. Den EU-Fiskalpakt lehnt Stöß kategorisch ab.

Zuvor hatte Müller davor gewarnt, die Gräben in der SPD noch weiter aufzureißen. Die Sozialdemokraten müssten aus diesem Parteitag einig hervorgehen, sagte er in seiner Rede. „Wir brauchen unsere Kraft für die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner.“ Wer dessen Stärke ignoriere, sei verrückt, die Zukunft der Berliner SPD als führende Kraft sei durchaus offen. Müller forderte eine enge Zusammenarbeit zwischen Partei, Senat und Fraktion im Abgeordnetenhaus. Opposition in der Regierung, das sei reiner Selbstmord. „Es ist schließlich kein Selbstläufer, dass wir den Regierenden Bürgermeister stellen“, sagte Müller. Eine Schutzmacht für die kleinen Leute könne die SPD aber nur als Regierungspartei sein.

Nach der Wahl gab Müller-Unterstützer Wowereit dem neuen Parteichef Stöß die Hand. Wowereit sagte, das Ergebnis werde „akzeptiert“. Sticheleien aber konnte er nicht lassen. „Entgegen Eigenprofilierungsankündigungen erwarte ich eine gute Zusammenarbeit“, sagte der Regierende. Und er stellte schnell klar, dass das Wahlergebnis „sich nicht gegen mich richtet“. Jan Stöß nahm diesen Satz bei seinem ersten Statement auf und betonte, dass er nicht unter einer Profilneurose leide. „Ich muss mich nicht in den Vordergrund drängen“, sagte der neue Parteichef. Er wolle das Profil der SPD stärken. Das wird nicht ohne Wowereit gehen – und nicht ohne Reibungen in der Partei.

Und die gab es prompt gestern noch auf dem Parteitag. Sein Team für den engeren SPD-Landesvorstand brachte der neue Parteichef nur mit Schwierigkeiten durch. Dennoch ist es dem neuen SPD-Landeschef Jan Stöß am Ende gelungen, bei den Vorstandswahlen am Sonnabend sein komplettes Wunschteam durchzusetzen. Nicht nur die Parteilinke, sondern auch rechte Strömungen wurden in die neue Parteiführung eingebunden. Ein ungewöhnliches Bündnis, gewiss nur auf Zeit. Stöß brauchte auf dem SPD-Landesparteitag diese bunte Zählgemeinschaft, um den bisherigen Parteivorsitzenden Michael Müller aus dem Amt zu drängen. Auf diese Weise kamen für Stöß knapp 55 Prozent der Delegiertenstimmen zusammen.

Stöß kann sich im 33-köpfigen Führungsgremium auf eine breite Mehrheit stützen. Auf seiner Internetseite lobte er den neuen Vorstand als „Frauen und Männer aus allen Kreisen, allen Strömungen, die umfassendes Wissen, Klugheit und Erfahrung“ mitbrächten.

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