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Von A. Fröhlich, J. Legner, T. Metzner und P. Tiede: Stasi-Affäre bringt Platzeck in Bedrängnis
Vizepräsidentin des Landtags lässt ihr Amt ruhen. Leugnet aber weiter. In der SPD wächst die Unruhe
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Potsdam - Mehr als 18 Jahre haben sie ihr geglaubt, dass sie sich nicht so richtig mit der dem DDR-Geheimdienst MfS eingelassen hat. Seit Freitag ist das anders. Seitdem neue Akten in der Öffentlichkeit sind, mag selbst die eigene Linkspartei Gerlinde Stobrawa, Vize-Präsidentin des brandenburgischen Landtages, dritthöchste Vertreterin des Landes, nicht mehr so recht glauben, dass sie kein verpflichteter Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi war. Jedenfalls nimmt sie ihr Landesparteichef Thomas Nord an diesem Freitagvormittag mit nach Berlin. Nord, einst selbst IM, geleitet sie in eine Redaktion. Zum Aktenstudium. Gerlinde Stobrawa, bis zu diesem Freitag Inhaberin einer fast knackslosen Ostwest-Funktionärs- und Politikervita, steckt die Nase in die Reste ihres wohl verdrängten Lebens: In die Reste der Akte von IM „Marisa“, die sie laut Stasi-Unterlagen einst selbst war. In die Reste, die „Marisas“-Führungsoffiziere, die Herren Beyse und Stolzmann nicht mehr schreddern oder zerreißen konnten. Auszüge aus einer Opferakte.
Wenig später wird Nord für Stobrawa, die immer noch leugnet, IM gewesen zu sein, erklären, dass die 60jährige mit sofortiger Wirkung ihr Amt als Landtags-Vize ruhen lässt, da es „Schaden zu nehmen droht.“ Außerdem, so Nord, biete Stobrawa ihren Rücktritt an, falls dies mehrheitlich Wille der Fraktionen sein sollte, mit denen sie nächste Woche erst Gespräche führen willen.
Allerdings fordern die Oppositionsparteien von CDU, Grüne und FDP längst ihrer Rücktritt. Gesprächsbedarf hat dort niemand mehr. „Der Ball liegt bei Ministerpräsident Matthias Platzeck, bei der SPD“, sagte CDU-Fraktionschefin Johanna Wanka. Die Union habe Stobrawa bei der Vize-Wahl „nicht das Vertrauen ausgesprochen.“ Die SPD müsse wissen, ob „sie sich getäuscht fühlt oder Stobrawa wissentlich ins Amt gehievt hat.“
Doch auch beim Koalitionspartner scheint der Gesprächsbedarf weitgehend erschöpft zu sein: Man gehe fest davon aus, dass Stobrawa so schnell wie möglich zurücktritt, heißt es am Freitagmittag aus der SPD-Fraktion. Stobrawa wird einfach nicht mehr geglaubt.
Die Stasi-Vergangenheit Stobrawas war 1991, bei der ersten Überprüfung im Landtag, lediglich durch die beiden Karteikarten belegt, die regelmäßig für einen inoffiziellen Mitarbeiter (IM) angelegt wurden. Stobrawa war dabei einer der zehn als „Grenzfälle“ eingeschätzten märkischen Volksvertreter, bei denen zunächst keine weiteren Unterlagen aufzufinden waren. Zwei Abgeordnete der Bündnisgrünen hatten allerdings zuvor bereits ihr Mandat niedergelegt, weil sie ähnlich wie Stobrawa belastet waren.
Die zwei Kirchenvertreter, die damals die Aktenlage beurteilten, empfahlen aufgrund der aus ihrer Sicht nicht ausreichenden Beweise keine Mandatsniederlegung. Unter den Verdächtigen war auch der CDU-Abgeordnete Klaus Häßler. Zu seiner IM-Tätigkeit tauchten dann 1995 bis dahin unbekannte Akten auf und er wurde zunächst aus der Fraktion, zwei Jahre später aus der Partei ausgeschlossen. Die 1991 von den Kirchenvertretern getroffene Bewertung erwies sich insbesondere im Fall Häßler als blauäugig und vorschnell. Stobrawa ist die einzige aus dem Dutzend früherer Stasi-Mitarbeiter, die heute noch im Landtag sitzt. Ihre Darstellung, wonach sie zwar mit Stasi-Offizieren redete, aber nicht als Spitzel geführt wurde, ist durch die inzwischen aufgetauchten Dokumente und das in den letzten Jahren weiter angereicherte Wissen über die Arbeitsweise des Ministeriums nach Ansicht von Experten weitgehend widerlegt. Die IM-Akte von Stobrawa wiederum wird in einem der vielen tausend Säcke mit zerrissenen Akten vermutet, die in der Stasi-Unterlagen-Behörde lagern.
Zwar hatte Stobrawa bereits 1992 eingeräumt, dass sie als IM geführt wurde – allerdings will sie davon nichts erfahren haben. Laut Nord bleibt sie auch nach dem Studium der neuen Akten am Freitag bei ihrer Unschuldsvariante: Sie gibt an, ihre Werbung – die sie 1993 noch dementierte – sofort ihrem damaligen Vorgesetzten im Rat des Bezirkes Frankfurt (Oder) offenbart zu haben. Das Amt ruhen lässt Stobrawa nun nicht, weil sie zugibt, IM „Marisa“ gewesen zu sein, sondern weil, so ihr Parteichef Nord, „Zweifel an“ Stobrawas Darstellung „aufkommen. Und sie ist nicht in der Lage, diese Zweifel nachhaltig auszuräumen.“
Brandenburgs Regierungschef Platzeck findet nach eigenen Worten „die Reaktion von Frau Stobrawa angemessen“. Den PNN sagte er noch am Freitag, ob die SPD einen Rückzug Stobrawas nötig hält, werde man erst nach ihrer Anhörung in der Fraktion entscheiden. Platzeck sagte, Stobrawas Umgang mit den Vorwürfen unterscheide sich positiv von dem des Linke-Abgeordneten Gerd-Rüdiger Hoffmann, der vor einer Woche einer früheren, fast 40 Jahre zurückliegenden, IM-Tätigkeit überführt worden war. er sehe sich durch die beiden neuen IM-Fälle bei seinem Koalitionspartner darin bestätigt, keine Abstriche an versprochenen kritischen Aufarbeitung der SED–Diktatur zuzulassen: „Wir wollten, dass die Dinge auf den Tisch kommen, dass sie klar und transparent geklärt werden. Und das geschieht jetzt“.
Der frühere Infrastrukturminister und SPD-Landtagsabgeordnete Reinhold Dellmann hat da Stobrawas Rücktritt längst gefordert. Am Vormittag schon hatte er gegenüber den PNN daran erinnert, dass die SPD vor Bildung der rot-roten Koalition frühere inoffizielle Stasi-Mitarbeiter in Regierungs- und Staatsämtern ausschloss. „Für eine Vize-Landtagspräsidentin muss der gleiche Maßstab wie für Minister gelten. Sie vertritt das Land nach Außen“, sagte Dellmann den PNN.
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