Brandenburg: Stolz auf fremde Stimmen
Die AfD hatte selbst nicht mit einem so großen Erfolg gerechnet. Im Landtag will sie weiter auf das Ressentiment-Thema Flüchtlinge und Asyl setzen
Stand:
Potsdam - Am Tag nach dem Einzug der AfD ließ Spitzenkandidat und Parteichef Alexander Gauland keinen Zweifel daran, wie sich seine Partei im Landtag präsentieren wird: Sie will eindeutig auch auf das hoch umstrittene und emotionale Thema Flüchtlinge und Asyl setzen. Auf einer Pressekonferenz mit den Vertretern aller in den Landtag gewählten Parteien forderte Gauland am Montag, dass Asylbewerber aus EU-Staaten wie Rumänien und Bulgarien schnell abgeschoben werden – obwohl es nur wenige davon in Brandenburg gibt. „Das weiß ich nicht“, antwortete Gauland. Man müsse zwischen „wirklich Verfolgten“ und Wirtschaftflüchtlingen unterscheiden. Ansonsten werde man auf Themen wie den BER und Innere Sicherheit setzen, „wir werden angriffslustig sein“.
Sein Auftritt ließ ahnen, wie künftige Parlamentsdebatten aussehen werden. Der Abgeordnete Christoph Schulze, für die Freien Wähler im Landtag, der erste ohne Parteienticket direkt gewählte Landtagsabgeordnete in Deutschland, widersprach Gauland: Es gehe um Menschen in Not, um Bürgerkriegsflüchtlinge, sagte Schulze. „Ich finde es schlimm, dass Sie deren Leiden holzschnittartig zum politischen Thema machen.“ Er fügte hinzu: „Ich habe Zweifel, ob es den humanitären Grundkonsens, der in diesem Hause immer bestand, noch gibt.“ Schulze empfahl dem langjährigen CDU-Mitglied und früheren MAZ-Herausgeber, sich auf die Werte der christlichen Kultur zu besinnen, die Bibel in die Hand zu nehmen. „Dort steht: Man soll Flüchtlinge nicht bedrängen, das ist ein Gebot Gottes.“
Auf einer Pressekonferenz der Bundes-AfD zuvor in Berlin ging es vor allem um die Frage, warum die Partei für viele frühere Wähler der Linkspartei offenbar so attraktiv erscheint. Eigentlich hatte die AfD selbst nicht damit gerechnet, dass die von vielen ehemaligen CDU-Mitgliedern gegründete eurokritische und rechtspopulistische Partei im „roten“ Brandenburg erfolgreicher abschneiden würde als im konservativ geprägten Sachsen. Nun sagte Gauland: „Wir sind in Brandenburg besonders stolz, dass wir viele Wähler von den Linken bekommen haben, die wir im Grunde genommen klein gemacht haben. Das nutzt auch Herrn Woidke, das will ich gerne zugeben." Vielleicht hilft eine Geschichte aus dem Wahlkampf, die er als Beleg erzählte. Da habe er sich mit Mitgliedern der Gewerkschaft der Polizei getroffen. Die seien alle auch Mitglieder der Linkspartei gewesen, ehemalige Volkspolizisten – „geschlossen“. „Die Atmosphäre war hervorragend, wir haben uns in vielem gut verstanden“, berichtete er. Denn der Vorwurf habe gelautet: „Da geschieht ja nichts, die machen nichts, unsere Partei hat uns in der Regierung verlassen.“ Gauland wörtlich: „Nun kann ich darauf verweisen, dass ich auch Linksextremist bin.“
Und im Landtag verwies er genüsslich darauf, dass die meisten Wähler von den Linken zur AfD gewechselt seien. „Es ist schwer, eine Partei in die rechtspopulistische Ecke zu stellen, die die meisten Stimmen von den Linken bekommt.“
Und auch im Großen ist etwas anders, am Tag nach den beiden Wahlen in Brandenburg und Thüringen, die das Gefüge der bundespolitischen Politik verändern. Die AfD hat einen stark ostdeutschen Einschlag bekommen. Dort war sie schon immer stärker als in den meisten westlichen Bundesländern. Mit mehr als 30 Abgeordneten in drei Landtagen aber bekommt sie nun auch professionelle Apparate. Sie kann Innenpolitik machen, und nicht bloß im fernen Brüssel in Parlamentausschüssen sitzen. Wahrscheinlich war deshalb in Berlin auch Hans-Olaf Henkel dabei. „Als Vertreter Hamburgs“, wie Lucke sagte. Oder des Westens, wie Lucke nicht sagte. Henkel ist in Berlin-Mitte gemeldet. In Hamburg wird im nächsten Februar gewählt. Henkel soll den dortigen Landeschef vertreten, einen Professor, der gerade auf Forschungsreise in den USA sei. Hamburg werde ein „dankbares Pflaster“ für die AfD sein, sagt Henkel, „spezielle Themen“ werde es dort geben, er nennt die Elbphilharmonie und die Olympia-Bewerbung.
In Brandenburg hatte die AfD aus dem Stand zwölf Prozent geholt. Nach Analysen von Meinungsforschern ist sie nahezu gleichmäßig aus allen Alters- und Berufsgruppen heraus gewählt worden. Nur bei Rentnern schnitt sie deutlich schlechter als im Durchschnitt ab. Auffallend ist, dass die AfD vor allem im Osten Brandenburgs, und hier besonders in der Nähe der Grenze zu Polen, besonders stark abgeschnitten hat (siehe Grafik). Ihr bestes Ergebnis erzielte sie im Wahlkreis Oder-Spree II mit 21,3 Prozent. Bei der Wahl schnitt die AfD übrigens nach Angaben des Landeswahlleiters genau dort gut ab, wo auch die CDU überdurchschnittlich erfolgreich war und wo die Wahlbeteiligung besser war. Regionen mit einem hohem Anteil von Hartz-IV-Empfängern sind insgesamt keine AfD-Hochburgen, eher Gegenden mit hohem Bevölkerungsanteil von 30- bis 65-Jährigen und mehr Wohneigentum als sonst. Eine Ausnahme ist Frankfurt/Oder, ihre Hochburg. In Potsdam ist sie am schwächsten.
Kaum gewählt, gibt es erste Probleme. Der neue AfD-Landtagsabgeordnete Steffen Königer aus Werder (Havel) hat Ärger – wegen eines „Selfies“: Er hatte bei seiner Abstimmung in der Wahlkabine seinen Stimmzettel fotografiert, als er für sich selbst stimmte. Er verbreitete das Foto auf seiner Seite im sozialen Netzwerk Facebook. Laut Wahlgesetz ist das ein klarer Verstoß gegen das Wahlgeheimnis. Aus dem Büro des Landeswahlleiters hieß es, es sei nicht eindeutig ersichtlich, dass das Foto tatsächlich in der Wahlkabine gemacht wurde. Grundsätzlich sei Fotografieren in der Wahlkabine und das Veröffentlichen der Aufnahmen nicht zulässig. Möglicherweise liege eine Verletzung des Wahlgeheimnisses nach Paragraf 107c des Strafgesetzbuches vor. Dies müsste aber gerichtlich geprüft werden. „Dafür sind wir nicht die richtige Stelle“, sagte eine Sprecherin. Denn der Vorgang habe keinen Einfluss auf das Wahlergebnis. Wörtlich heißt es im Strafgesetzbuch zur Verletzung des Wahlgeheimnisses: „Wer einer dem Schutz des Wahlgeheimnisses dienenden Vorschrift in der Absicht zuwiderhandelt, sich oder einem anderen Kenntnis davon zu verschaffen, wie jemand gewählt hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (mit axf, hkx, mat)
Die Wähler der AfD: Seite 2
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: