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Ersatzmahlzeit. An vielen Einrichtungen – Horte und Kindertagsstätten – wurde am Montag wieder selbst gekocht – oder die Kinder brachten sich ihr Essen gleich selbst mit.

© Klaus-Dietmar Gabbert / dapd

Brandenburg: Suche per Ausschlussverfahren

Die Behörden rätseln noch, was die Welle von Magen-Darm-Erkrankungen ausgelöst haben könnte

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Potsdam/Berlin - Die Magen-Darm-Erkrankungswelle ist nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) die größte von Lebensmitteln ausgelöste Krankheitswelle dieser Art in Deutschland. Brandenburg ist derzeit am stärksten von den Magen-Darm-Erkrankungen betroffen. 2896 Fälle wurden hier nach Angaben des Robert-Koch-Instituts registriert, gefolgt von Sachsen (2880), Berlin (2655), Thüringen (964) und Sachsen-Anhalt (50). „Seit Sonntag gibt es keine Neuerkrankungen mehr“, sagte eine Sprecherin des brandenburgischen Gesundheitsministeriums. Vielmehr handle es sich um Nachmeldungen bisher nicht registrierter Fälle. „In den meisten Fällen gab es leichte Krankheitsverläufe.“ Am stärksten betroffen sind in Brandenburg die Landkreise Potsdam-Mittelmark mit 985 Erkrankten, darunter 27 Erwachsene, sowie Oberhavel mit 733 Erkrankten. In Potsdam sind es weiterhin 163 Fälle. Betroffen sind zehn Landkreise und zwei kreisfreie Städte.

Die genaue Ursache für den Brechdurchfall ist weiter unklar. Sicher ist offenbar: Die Erkrankungen hängen mit dem Schulessen der Firma Sodexo zusammen. „Wir arbeiten unter Hochdruck daran, das aufzuklären“, sagte die Ministeriumssprecherin. In Brandenburg seien Proben von 26 Lebensmittelgruppen in den Laboren untersucht worden. „Wir arbeiten jetzt nach dem Ausschlussverfahren, der Norovirus wurde nicht gefunden.“ Damit könnte es sich um eine Lebensmittelvergiftung gehandelt haben, ausgelöst durch Toxine von Bakterien. Bei den Stuhlproben ist nach Ministeriumsangaben in zwei Fällen der Norovirus festgestellt worden. „Diese geringe Zahl ist aber als Nachweis nicht aussagekräftig.“ Die Untersuchung auf Bakterien und deren Toxine habe keine Nachweise erbracht.

Die Behörden in Berlin halten sich noch auffällig zurück mit Einschätzungen der Lage. „Das Landeslabor Berlin-Brandenburg hat zahlreiche Lebensmittel und weitere Proben untersucht. Die Ergebnisse dieserUntersuchungen lassen jedoch noch keine Rückschlüsse auf den Erreger zu“, sagte eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Verbraucherschutz am Montag. In den nächsten Tagen müssten daher weitere Proben untersucht werden. Es gelte abzuwarten, um nicht wie im Falle der EHEC-Erkrankungen zu früh Informationen herauszugeben, „die in eine falsche Richtung führen“, sagte die Sprecherin.

Die Sprecherin des brandenburgischen Gesundheitsministeriums beschrieb die Suche nach dem Auslöser der Durchfall-Welle als akribische Kleinstarbeit. Denn nicht an allen von einer Sodexo-Küche belieferten Schulen seien auch Magen-Darm-Erkrankungen aufgetreten. Die Behörden gehen davon aus, dass offenbar eine bestimmte Charge vermutlich eines Zulieferers die Erkrankung ausgelöst haben könnte. Sodexo habe selbst seine Küchen angewiesen, das in der vergangenen Woche produzierte Essen sicherzustellen. „Seit Montag wird dort ausschließlich nur noch neue Ware produziert.“ Das Personal des Großküchen-Standorts in Werder (Potsdam-Mittelmark) muss aktuell allerdings weiter Stuhlproben abgeben – nicht nur die Küchenkräfte sondern auch die Vertriebsmitarbeiter, wie Amtsärztin Johanna Aulich den PNN sagte.

Die rund 1800 Kitas und Horte im Land sollen ihre Essenslieferanten jetzt genau unter die Lupe nehmen. Das empfahlen Gesundheits- und Bildungsministerium am Montag und verwiesen auf die Zuständigkeit der Träger. Einen offiziellen Auslieferungsstopp haben die Behörden in Brandenburg nicht über Sodexo verhängt. Da die Ursache für die Erkrankungen noch nicht geklärt ist, gebe es keine Grundlage dafür. Dennoch kümmern sich viele Kindertagesstätten und Schulhorte in dieser Woche selbst um das Essen für die Kinder, die in den Ferien betreut werden müssen. In Berlin sind inzwischen Einrichtungen aus allen Bezirken betroffen.

In Berlin gehen die Behörden strenger vor. Mit dem Catering-Unternehmen Sodexo habe die Berliner Senatsbildungsverwaltung vereinbart, in dieser Woche keine Speisen auszuliefern, sagte ein Sprecher. Derzeit seien 30 Kitas und 70 Horte betroffen, die sich um „alternative Anbieter“ gekümmert hätten. Insgesamt sind in Berlin bis Montag 2655 Kranke registriert worden, die mit der Welle zusammenhängen könnten – vor allem Kinder, die in von Sodexo belieferten Kantinen gegessen hatten.

In Berlin suchen die Bezirksbehörden nun Lösungen. Der Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf, Stefan Komoß (SPD), hat an sieben Schulen in seinem Bezirk, die sonst von Sodexo beliefert werden, nun kurzfristig Bargeld ausgegeben: zwei Euro pro Tag und Kind für Beschaffung oder Zubereitung des Mittagessens. Und in der Richard-Wagner-Grundschule im Bezirk Lichtenberg haben Erzieher am Montag in einer Küchenzeile im Lehrerzimmer eine Gemüsenudelsuppe für die Kinder gekocht. Für diesen Dienstag hat das Schulamt warmes Essen eines anderen Caterers zugesagt. Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD), Stadträtin für Gesundheit in Pankow, sagte: Am Montag habe man noch improvisiert, ab Dienstag liefere ein kleiner Caterer das Essen.

In der Rosa-Parks-Grundschule in Kreuzberg lieferte am Montag die Firma Luna wie geplant Käsespätzle. „Man kann nicht von einem Caterer auf den anderen schließen“, sagt Schulleiter Holger Hänel. Dennoch, die Wahl ist eher gering: Die Ausschreibung läuft über den Bezirk, Schüler und Erzieher können bei einem Testessen aber mitentscheiden. Wegen der niedrigen Preise für das Schulmittagessen habe sich die Zahl der Anbieter jedoch drastisch reduziert. Für Lieferverträge seien die Schulämter zuständig, sagt Stadträtin Zürn-Kasztantowicz: Man könne Großlieferanten auch nicht einfach ausschließen, ohne das gesamte Ausschreibungsverfahren zu ändern.

Die Opposition dagegen fordert eine bessere Koordination. Die Bildungsexpertin der Linken im Abgeordnetenhaus, Regina Kittler, wies darauf hin, dass es in vielen Einrichtungen gar keine Küchen gebe, so dass die Möglichkeiten zur Zubereitung von Speisen in Eigenregie begrenzt seien. Vielmehr solle der Senat mit anderen Caterern über Zusatzlieferungen für alle Schulen verhandeln. Die Grünen meinen, das „Krisensystem gehört auf den Prüfstand, damit künftig schnell Ergebnisse bei der Ursachenforschung erzielt werden können“.

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