Brandenburg: Trittbrettfahrer in die falsche Richtung
Die Landtagsdebatte über die Folgen und Chancen des gerichtlich aufgehobenen Landesentwicklungsplans stand ganz im Zeichen des Wahlkampfs
Stand:
Potsdam - Brandenburgs rot-rote Regierung will ausschließen, dass Kommunen nachträglich zur Kasse gebeten werden, nachdem das Oberverwaltungsgericht (OVG) jetzt den Landesentwicklungsplan für die Hauptstadtregion gekippt hat. „Wir lassen die betroffenen Kommunen nicht allein“, versicherte Finanzminister Christian Görke (Linkspartei) am Mittwoch in einer Aktuellen Stunde des Landtages, in der es um Auswirkungen des Urteils auf Brandenburgs Entwicklung in den nächsten Jahren ging.
Beantragt hatte diese die CDU-Opposition. Wenige Wochen vor der Landtagswahl am 14. September lieferten sich Koalitions- und Oppositionsfraktionen einen heftigen Schlagabtausch, mit Ausnahme von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) – im Ring zumeist die Spitzenkandidaten. CDU, FDP und Grüne forderten, dass OVG-Urteil als Chance für einen Neuanfang in der Landesplanung und Landesentwicklung zu nutzen. CDU-Partei- und Fraktionschef Michael Schierack forderte ein Demografie-Ministerium für Brandenburg. Brandenburg könne so „Vorreiter“ bei der Bewältigung der demografischen Umbrüche werden.
Wie berichtet hatte das OVG den Landesentwicklungsplan für unwirksam erklärt, in dem 2009 im Zuge der neuen, nach dem Motto „Stärken stärken“ auf Konzentration ausgerichteten Förderpolitik die früheren Grundzentren abgeschafft worden waren. Seitdem gibt es in Brandenburg allein Mittelzentren und die vier kreisfreien Städte als Oberzentren, die finanziell besser ausgestattet werden.
Wie Infrastrukturminister Jörg Vogelsänger (SPD) sagte, will die Landesregierung weiter versuchen, das OVG-Urteil zu drehen. Er kündigte an, dass Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden soll, um so eine vom OVG nicht zugelassene Revision doch noch zu erzwingen. Bis dahin gebe es keinen gesetzlosen Zustand, versicherte Vogelsänger. Doch wird in der Regierung nicht ausgeschlossen, dass die Beschwerde keinen Erfolg hat, damit lediglich Zeit gewonnen wird und die Ebene der Grundzentren – Brandenburg ist das einzige Bundesland ohne – wieder eingeführt werden muss.
Für die früheren Grundzentren, rund 100 Gemeinden, hätte das aber keine Auswirkungen, betonte Görke. Anders sehe es bei Mittelzentren aus, die womöglich rückwirkend die Zusatzförderung seit damals zurückzahlen müssten, was die Landesregierung nun ausschließen will. „Keine Kommune darf schlechter gestellt werden“, sagte Görke. Das Kabinett habe ihn gebeten, eine gesetzliche Klarstellung zu prüfen. Es gehe um rund 8 Millionen Euro jährlich, insgesamt um rund 32 Millionen Euro, für die das Land dann selbst aufkommen würde.
Zu weiteren Auswirkungen des Urteils äußerten sich Regierungsvertreter nicht. Linke-Vizefraktionschef Stefan Ludwig sagte, man müsse erst die Urteilsbegründung abwarten. Er deutete an, dass die Ausweisung von Windkraftgebieten betroffen sein könnte, dort Verzögerungen drohen könnten. „Das wäre sehr hinderlich.“
Die Grünen-Abgeordnete Ursula Nonnemacher – Spitzenkandidatin der Partei – sprach sich dafür aus, in einem neuen Landesentwicklungsplan die Grundzentren wieder einzuführen, ein Verbot neuer Braunkohletagebaue und ein – entsprechend dem erfolgreichen Volksbegehren und dem Landtagsbeschluss – BER-Nachtflugverbot von 22 Uhr bis sechs Uhr zu verankern. Ein entsprechender Antrag wurde jedoch von den anderen Fraktionen abgelehnt.
Allerdings warb auch FDP-Fraktionschef Andreas Büttner dafür, die Chance zu nutzen, mit einer Reform der Landesplanung die ländlichen Regionen Brandenburgs stärker ins Blickfeld zu nehmen.
Die Debatte war durch den Wahlkampf geprägt. Schierack warf Rot-Rot ein „Weiter so“ vor, das nicht ausreiche, um die demografischen Probleme zu bewältigen. Er forderte etwa ein „intelligentes Mobilitätskonzept“, damit Berlin aus allen Mittelzentren in maximal 90 Minuten, aus allen Oberzentren in maximal 60 Minuten und aus dem Berliner Umland in höchstens 30 Minuten erreichbar sei. Vogelsänger konterte, indem er auf die Rekordzuwächse im öffentlichen Nahverkehr im Land verwies. Die SPD-Abgeordnete Martina Gregor Ness sagte, Brandenburg sei bereits ein Vorreiter beim demografischen Wandel, „ein Aktivposten“. Sie warf der CDU vor, „Trittbrettfahrer auf einem fahrenden Zug zu sein“. Wenn die CDU wenigstens ein Nachhaltigkeitsministerium fordern würde, „wäre das noch innovativ gewesen“.
Die Grüne Nonnemacher sagte zur CDU, es greife viel zu kurz, ausgerechnet für die Demografie, „der Querschnittsaufgabe schlechthin“, ein Ministerium zu bilden. „So kann man kein Land regieren.“ Ein Nachhaltigskeitsministerium à la SPD sei aber auch nicht besser.
Im Schlusswort konterte Schierack die Attacken, indem er der SPD aktuelle Mahnungen der scheidenden SPD-Abgeordneten und Alterspräsidentin Sieglinde Heppener, 79, vorhielt, wonach Brandenburg zu wenig für die wachsende Schicht der Senioren im Land tue. „Das hat mir aus dem Herzen gesprochen“, sagte Schierack. Und, so fügte er an die Adresse der SPD hinzu: „Was nützt es, Lokführer zu sein, wenn der Zug in die falsche Richtung fährt. Da will man nicht mal Trittbrettfahrer sein.“ Am Donnerstag und Freitag wird die Landtagssitzung fortgesetzt, die letzte vor der Brandenburg-Wahl am 14. September.
nbsp;Thorsten Metzner
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: