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In Bad Freienwalde ist es zu einem Angriff von mit Schlagwerkzeugen bewaffneten Vermummten auf eine Kundgebung gegen Rechts gekommen.

© dpa/Christoph Soeder

Überfall auf Vielfaltsfest in Bad Freienwalde: Für das Stadtoberhaupt nur eine „Störung“

Der CDU-Bürgermeister von Bad Freienwalde relativiert die mutmaßlich rechtsextreme Gewalt in der Kurstadt. Anders als der von der AfD unterstützte Bürgermeisterkandidat, der deutliche Worte findet.

Stand:

Etwa ein dutzend Vermummte, die aus dem Nichts ein friedliches Familienfest mit Quarzhandschuhen und Schlagwerkzeugen angreifen. Mindestens zwei verletzte Besucher und ein Innenminister, der sich an sein eigenes Aufwachsen im Brandenburg der 90er Jahre erinnert fühlt. Über die mutmaßlich rechtsextrem motivierte, überfallartige Attacke auf das Bad Freienwalder Vielfaltsfests ist ausführlich berichtet worden. Nun sorgt die Reaktion von Stadtoberhaupt Ralf Lehmann (CDU) bei Betroffenen des Angriffs für Entsetzen.

Die Attacke spielte sich am Sonntagmittag kurz vor Beginn der Veranstaltung der lokalen Initiative „Bad Freienwalde ist bunt“ direkt vor den Türen des Rathauses auf dem lokalen Marktplatz ab. Doch anders als Brandenburgs Innenminister René Wilke (parteilos) war Bürgermeister Lehmann am Sonntag nicht am Tatort erschienen. Wilke hatte eine Veranstaltung in Frankfurt (Oder) kurzfristig abgesagt, um stattdessen in Bad Freienwalde mit Betroffenen und Polizisten zu sprechen.

Bürgermeister relativiert

Eine Tagesspiegel-Anfrage an das Rathaus mit der Bitte um Stellungnahme zu den Geschehnissen bleibt seit Montag unbeantwortet. Mehr Glück hatte der RBB, der vom Bürgermeister zum Interview empfangen wurde. In mehreren Aussagen relativiert der 62-jährige CDU-Politiker die Attacke vom Sonntag und widerspricht damit sowohl der Polizei, als auch Augenzeugen.

Das sind Sachen, wo ich sage: Wer will wen denn jetzt verurteilen und wofür?

Ralf Lehmann (CDU), Bürgermeister Bad Freienwalde

Nach jetzigem Kenntnisstand sei der Vorfall kein Angriff, sondern lediglich eine „Störung“, sagte Lehmann dem RBB: „Da sind welche gewesen und sie wollten stören. Und ein anderer wollte ihn festhalten, um herauszufinden: Wer ist es? Nun kann man sagen, der hätte ihn nicht hauen dürfen. Der andere hätte ihn aber auch nicht festhalten dürfen. Das sind Sachen, wo ich sage: Wer will wen denn jetzt verurteilen und wofür?“ Der RBB zitiert den Bürgermeister außerdem mit den Worten, „die Medien“ hätten die Geschehnisse „aufgebauscht“.

Die Szene, auf die der CDU-Politiker anspielt, ist auf dem Handyvideo eines RBB-Reporters festgehalten worden, der die Attacke am Sonntag filmen konnte. Zu sehen ist ein junger sportlicher Mann mit einer schwarz-weißen Sturmhaube, der einen Besucher des Festes mit einem Faustschlag verletzt. Ein gezielter Faustschlag ins Gesicht – nur eine „Störung“?

Für die Initiative „Wir packen’s an“ – ein Mitglied der Organisation wurde bei dem Angriff verletzt – ist dies ein weiterer, diesmal verbaler, Schlag ins Gesicht. „Ihre Einschätzung in der Presse irritiert und erschüttert uns sehr. Im Gegensatz zum Brandenburger Innenminister Herrn René Wilke, hielten Sie einen Besuch der Veranstaltung nicht für nötig. Uns ist auch nicht bekannt, dass sie mit jemandem gesprochen hätten, der oder die von diesem Angriff betroffen waren“, schreibt das Bündnis in einem offenen Brief, der sich an den Bürgermeister richtet.

Brandenburgs Innenminister René Wilke im Gespräch mit Betroffenen des Angriffs in Bad Freienwalde am Sonntag.

© dpa/Christoph Soeder

„Wo waren Sie, als es um ein Fest der Vielfalt auf Ihrem Marktplatz in Bad Freienwalde ging? Als Person Ralf Lehmann oder als CDU MOL? Warum haben Sie nicht den Versuch unternommen, die Geschädigten zu kontaktieren, ihre Berichte anzuhören und nach ihrem Befinden zu fragen? Warum unterstützen Sie nicht den ehrenamtlichen Einsatz für eine vielfältige, lebenswerte Stadt?“, fragen die Autoren des Briefes den Stadtchef Ralf Lehmann, der bei den Bürgermeisterwahlen im September nicht mehr antreten wird.

Lehmanns Nachfolgerin soll nach dem Willen seiner Partei Ulrike Heidemann werden. Die CDU-Kommunalpolitikerin äußerte sich im Kontrast zum aktuellen Bürgermeister noch am Sonntagnachmittag via Facebook zur Attacke. „Der Schreck stand den Menschen noch im Gesicht, als ich am Markt ankam. Den Organisatoren und Teilnehmern von ‚Bad Freienwalde ist bunt‘ ist hoch anzurechnen, dass sie in Bad Freienwalde einen öffentlichen Diskussionsraum für Vielfalt und Toleranz schaffen“, schrieb sie in einem Beitrag.

Andere Politiker distanzieren sich deutlich

Neben Heidemann bewirbt sich auch der parteilose Kandidat Frank Vettel für das Bürgermeisteramt im September und wird dabei von der AfD unterstützt. Auch Vettel findet auf Tagesspiegel-Anfrage im Vergleich zu Rathauschef Lehmann deutliche Worte zur Attacke und distanziert sich klar. „Der Angriff hat mich sehr schockiert. Ich kann weder die Gewalt noch die Intoleranz verstehen, die hier an den Tag gelegt wurden“, schreibt Vettel.

Der Vorfall müsse „dringend und mit aller Konsequenz“ strafrechtlich verfolgt werden. Gleichzeitig fordert der von der AfD-unterstützte Kandidat, dass auch Ursachen und mögliche Folgen für Betroffene und Zivilgesellschaft aufgearbeitet werden müssten. Es brauche nun für die Betroffenen „Schutz - und Unterstützung aus der Zivilgesellschaft“. Dafür werde er sich einsetzen, erklärt Vettel. Persönlich habe er bisher noch keinen Kontakt zu den Angegriffenen, „aber natürlich nehme ich Anteil, und es bewegt mich sehr, was hier angerichtet wurde“, erklärt der Bürgermeisterkandidat.

Bürgermeister-Kandidat direkt nach Überfall vor Ort

Der Dritte im Bunde, der für die Bürgermeisterwahl im September seinen Hut in den Ring wirft, ist der parteilose Kandidat Marco Terei. Der 50-jährige Bad Freienwalder traf kurz nach dem Angriff auf dem Marktplatz ein, um das Fest zu besuchen, schreibt er dem Tagesspiegel. Bei einem der Verletzten handelt es sich um Tereis Nachbar, mit dem er sich sofort über die Attacke austauschte.

Er sei „geschockt“, dass eine friedliche Veranstaltung mit Familien, Kindern und älteren Personen offenbar geplant angegriffen worden sei, sagt Terei. „Allerdings und das ist das Bemerkenswerte, wurde die Veranstaltung mit einem tollen Programm und weiteren Gästen mit guter Zustimmung vollendet“, berichtet der parteilose Kandidat.

Er hoffe, dass die Menschen, die das „früher eher still verurteilt haben, jetzt lauter werden“, als Bürgermeister werde er „klar Seite bekennen, ein Statement im Namen der Verwaltung verfassen und Unterstützung den Betroffenen und Veranstalter anbieten“.

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