Enquete-Gutachten: Unis verdrängen SED-Diktatur nicht
Laut eines Experten-Gutachtens für die Enquete-Kommission des Landtages zur jüngeren Vergangenheit gibt es in keinem Land so viele Vorlesungen und Seminare zu DDR-Themen wie in Brandenburg.
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Potsdam - An den Universitäten in Brandenburg wird die SED-Diktatur nicht verdrängt. Das zumindest ist das überraschend positive Fazit eines neuen den PNN vorliegenden Experten-Gutachtens für die Enquete-Kommission des Landtages zur jüngeren Vergangenheit im Land. Bisherige Enquete-Expertisen etwa zur Stasi-Überprüfungspraxis oder den Schulen hatten dagegen regelmäßig Defizite und Versäumnisse in der „kleinen DDR“ festgestellt. Aber dass märkische Schüler danach nachweislich zu wenig über die DDR wissen, liegt nach der 90-Seiten-Analyse des Berliner Historikers Jens Hüttmann jedenfalls nicht an der Ausbildung der Lehrer, die in Brandenburg an der Universität Potsdam konzentriert ist. „Jedoch zielen Vermutungen, es habe im Land Brandenburg im Hinblick auf die Curricula oder die Lehrerbildung keinen Willen und entsprechende Aktivitäten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gegeben, offenbar ins Leere“, heißt es dazu in dem Gutachten, das am heutigen Freitag in der Kommission erstmals beraten wird.
Hüttmann hat dafür die Lehrangebote zu DDR-Themen an der Universität Potsdam und der Viadrina in Frankfurt (Oder) erhoben. Danach gibt es bundesweit an keiner Hochschule so viele Vorlesungen und Seminare zur DDR-Diktatur wie an der Universität Potsdam, die „im bundesweiten Vergleich einen Spitzenplatz einnimmt“. Nehme man die auch auf Osteuropa ausgerichtete Viadrina hinzu, in der die DDR als Teil des Ostblocks gelehrt wird, „nimmt Brandenburg bundesweit den Spitzenplatz ein“, so das Gutachten.
Dass sich das an Brandenburgs Schulen bislang kaum auswirkt, verwundert Experten wiederum nicht. Der Lehrkörper ist überaltert. Brandenburg hatte nach 1990 fast zwei Jahrzehnte nur wenige neue junge Lehrer eingestellt, was sich erst jetzt mit der Pensionierungswelle und der angekündigten Einstellung von 2000 Pädagogen bis 2014 verändert. Und das Enquete-Gutachten trifft keine Aussage, ob die Studenten von den Angeboten auch profitieren. Es regt sogar eine repräsentative „Untersuchung des Studierendenwissens zur Geschichte von Demokratie und Diktatur in Deutschland nach 1945“ an. Es könnte auch folgende Frage klären: „Hat die Vielzahl von Lehrangeboten zur Folge, dass die Studierenden der Brandenburger Universitäten auch mehr über das Thema wissen?“ Zudem gibt es innerhalb der Lehre an der Uni Potsdam auffällige Unterschiede. Im Gegensatz zu anderen Fakultäten seien in Wirtschafts- und Rechtswissenschaften und der Philosophie kaum Veranstaltungen feststellbar, heißt es. Dies sei „erstaunlich“, wenn man an die mediale Präsenz von Themen wie DDR-Misswirtschaft oder die Debatte um die DDR als „Unrechtsstaat“ denke, so Hüttmann.
Sein Gutachten gilt als eher unstrittig. Auf der Tagesordnung steht aber auch das des Berliner FU-Wissenschaftlers Steffen Alisch vom Forschungsverbund SED-Staat zum DDR-Geschichtsbild märkischer Parteien und Organisationen, das Defizite rügt, aber wegen provokativer Zuspitzungen umstritten ist. Es ist bisher von der Kommission nicht abgenommen. Es sorgte vor einigen Wochen für heftige Auseinandersetzungen. Alisch erhob Zensur-Vorwürfe gegen Rot-Rot, nachdem der SPD-Abgeordnete Thomas Günther das Gutachten „durchgestochen“ und massive öffentlich Kritik an der Qualität übte, was von der Enquete gerügt wurde. Ein weiterer Experte war wegen des Umgangs mit Gutachtern wie Alisch abgesprungen. Die Kommission wird nun darüber befinden, ob Alisch sein Gutachten nachbessern soll.
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