Brandenburg: Vernichtungsmaschine für junge Seelen
Ehemalige Häftlinge und Wärter des DDR-Militärgefängnises in Schwedt haben einen Verein gegründet
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Schwedt/Perleberg - Kantig, grau, still und hässlich – was auf den ersten Blick lediglich wie verwaiste DDR-Plattenbauten aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Ort des Schreckens. „In diesen Häusern wurden junge Seelen vernichtet“, sagt Dr. Marie Anne Subklew von der Landesbehörde zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur. Für Brandenburg und die gesamte Republik sei es deshalb wichtig, die Bausubstanz und die Erinnerung an das ehemalige Militärgefängnis in Schwedt (Uckermark) zu erhalten. Gleich zwei Schritte dichter seien die Brandenburger diesem Ziel jetzt gekommen.
Zum ersten haben ehemalige Häftlinge gemeinsam mit Wärtern einen Verein gegründet, der ehrenamtlich für Aufklärung sorgen soll. Zum zweiten ist der zweite Teil der Dokumentationsreihe ab heute in Arbeit, wie Subklew hinzufügt. Der erste Teil, „Spür die Angst“, der in Schwedt im November vorgestellt wurde, enthält persönliche Berichte von acht Augenzeugen, „die charakterlich sehr unterschiedlich sind“, sagt Politologin Marie Anne Subklew. Sie wisse natürlich, dass jeder Insasse die Zeit in dem Umerziehungsknast anders empfunden habe. „Für die einen war es dort auszuhalten, die anderen wurden für immer zerstört. Uns ist bei den Büchern wichtig, keine Perspektive auszulassen, damit ein organisches Bild entstehen kann“, sagt sie. Schwedt sei beinahe allen NVA-Soldaten bekannt gewesen, denn mit dem Gefängnis wurde von 1968 bis 1990 gedroht. Im Gegensatz zu anderen Einrichtungen dieser Art in der DDR war hier nicht Informationsbeschaffung oder pure Zerstörung von Gegenwillen das Hauptziel. Die Häftlinge verblieben nach ihrem Aufenthalt in der Nationalen Volksarmee (NVA) und wurden nicht unehrenhaft entlassen oder verschwanden gänzlich. Als Nebeneffekt bekamen die Machthaber hier einen außergewöhnlich gut funktionierenden Herstellungsbetrieb, in dem zum Beispiel der LAK (Leicht absetzbarer Fahrzeugkoffer) hergestellt worden ist. Laut Fünfjahresplänen wurde in der Disziplinareinheit II mit 86 Arbeitskräften gerechnet. Für die Häftlinge selbst waren die streng durchgeplanten Hafttage ohne private Rückzugsmöglichkeiten zerstörerisch. Paul Brauhnert, Mitherausgeber des Buches „Spür die Angst“, formuliert einen Vergleich, um den Drill zu beschreiben. „Jemand sagt zu Ihnen, Sie sollen springen. Sie kennen doch diesen Spruch: Wenn ich sage, du sollst springen, dann springst du!“, wie er in dem Buch ausführt. Und dann passiere das Unfassbare, man springt. „Sie springen, weil man es Ihnen sagt. Nein, Sie springen, weil man es Ihnen befohlen hat“, sagt Brauhnert. Um den anschließenden Aufprall habe sich die Diktatur nicht gekümmert, „und man hat sie fallen gelassen, die Soldaten und Unteroffiziere der NVA, die ihre Disziplinarstrafe in der berüchtigten DE 2 des Schwedter Militärgefängnisses antraten. Eine Gefangenschaft ohne Urteil. Ein Verschluss, dem die meisten von ihnen nie wieder entkamen“, schreibt Brauhnert.
Der erste Teil der dokumentarischen Reihe über das NVA-Gefängnis wird heute im DDR-Museum in Perleberg (Feldstraße 98) um 19 Uhr vorgestellt. Matthias Lanin
www.militaergefaengnis-schwedt.de
Matthias Lanin
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