Potsdams Wähler: Verschobene Machtverhältnisse
Potsdams politische Landschaft rückt immer mehr in die Mitte. Die Landtagswahl hat gezeigt, dass sich SPD und Linke nicht mehr auf die rote Tradition der Landeshauptstadt verlassen können.
- Henri Kramer
- Peer Straube
Stand:
SPD und Linke im Sinkflug, CDU und Grüne hingegen im Aufwind – Potsdams seit Jahren wie in Stein gemeißeltes Parteienbild beginnt langsam aber sicher zu bröckeln. Der Sieg der Sozialdemokraten bei der Landtagswahl vor den abermals zweitplatzierten Linken kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das konservative und grüne Lager in Potsdam stärker wird. Das Wachstum der Stadt und die vielen gutsituierten Zuzügler sorgen für Verschiebungen in der Parteienlandschaft. Auch wenn es sich um eine Landtagswahl und nicht um eine Kommunalwahl handelte – das Ergebnis wird auch im Rathaus Auswirkungen haben. Ein Überblick.
SPD
Trotz des Wahlsiegs wollte bei den Potsdamer Sozialdemokraten am Montag kein rechter Jubel aufkommen. „Man merkt, dass Potsdam strukturell konservativer wird“, sagte Oberbürgermeister Jann Jakobs. 28,6 Prozent reichten seiner Partei für den Sieg, das waren 6,2 Prozentpunkte weniger als vor fünf Jahren. Noch nie seit der Wende haben die Sozialdemokraten in Potsdam bei einer Landtagswahl so wenige Stimmen geholt wie diesmal. Nur 20 574 Wahlberechtigte haben ihr Kreuz bei der SPD gemacht. „Die Veränderung der Bevölkerungsstruktur“, bilanziert Jakobs ernüchtert, „schlägt sich auch im Wahlergebnis nieder.“ Auch Potsdams SPD-Chef Mike Schubert, der den Kampf um das Direktmandat im nördlichen Wahlkreis 19 knapp gegen die CDU-Kandidatin Saskia Ludwig verloren hat, ist gewarnt. In den nächsten Wochen werde seine Partei über das Wahlergebnis eingehend beraten, sagte Schubert den PNN. Die SPD müsse es schaffen, das beste Konzept für alle Potsdamer von Groß Glienicke bis zur Waldstadt zu haben. Das, so Schubert, müsse sich dann sowohl im Programm als auch im Personal niederschlagen. In vier Jahren wird in Potsdam ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Den Rathauschef stellt die Partei – ebenso wie den Ministerpräsidenten – seit 1990 ununterbrochen. Ein Nachfolger für Jakobs hat sich bislang noch nicht in Stellung gebracht. Das Kronprinzenproblem drängt.
LINKE
Auch der Stern der Linken in Potsdam ist im Sinken begriffen. 23,7 Prozent der Zweitstimmen erhielt die Partei, es ist ihr zweitschlechtestes Ergebnis seit 1990. 5,1 Prozent büßte die Linke gegenüber der letzten Landtagswahl ein. Dass die Verluste in Potsdam damit nicht ganz so dramatisch ausgefallen sind wie im Rest des Landes, hat sie wohl Hans-Jürgen Scharfenberg zu verdanken. Denn bei den Erststimmen liegt die Partei mit 27,0 Prozent nur ganz knapp hinter der SPD, die 28,7 Prozent gewann. Allein die Hälfte dieser 19 357 Erststimmen der Linken entfiel auf Scharfenberg. Anita Tack, immerhin Umweltministerin im Land, und Potsdams Linkechef Sascha Krämer holten zusammen lediglich genauso viel. In fünf Jahren will Scharfenberg nicht mehr zur Landtagwahl antreten. Er sei dann 65 Jahre alt und habe genug Anerkennung erworben, sagte Scharfenberg selbstbewusst. Dann aber sei es Zeit für einen Generationswechsel. Er sei sicher, dass ein guter Nachfolger gefunden werde. Bislang ist der allerdings nicht in Sicht: Parteichef Sascha Krämer polarisiert zu sehr, als dass er die Rolle ausfüllen könnte. Mit Scharfenberg verliert die Linke in Potsdam nach Rolf Kutzmutz ihr letztes großes Zugpferd. Das hat auch Krämer erkannt: Scharfenberg habe die Partei „nach oben gezogen“, räumte er ein. „Wir stehen vor der Herausforderung, Leute für die Zukunft aufzubauen“, resümierte Krämer. Die Partei brauche künftig „mehr Gesichter“, man müsse mehr auf „Sachthemen statt ideologische Kämpfe“ setzen. Ob das am Ende reicht, ist fraglich. Denn Fakt ist: Die alteingessenen Linke-Wähler sterben nicht nur nach und nach weg – ihr Einfluss sinkt auch rein statistisch, weil Zuzügler nach Potsdam eher andere Parteien wählen.
CDU
Eine Partei, die vom Wachstum der Stadt – wenn auch in langsamem Tempo – profitiert, ist zweifellos die CDU. Mit 17,7 Prozent der Zweitstimmen erreichte die Union ihr drittbestes Potsdamer Ergebnis bei einer Landtagswahl seit 1990. Gegenüber 2009 legte sie um 3,8 Prozent zu. Und das, obwohl die rechtspopulistische AfD in Potsdam aus dem Stand 9,4 Prozent der Stimmen holte – eine Partei, von der viele Experten sagen, sie fische auch Stimmen aus dem konservativen Lager. CDU-Kreischefin Katherina Reiche freut sich über das gute Abschneiden ihrer Partei, in Euphorie verfällt sie nicht. „Das Vertrauen des Wählers muss bei jeder Wahl neu errungen werden“, gab sie sich am Montag vorsichtig. Kein Wunder: Zu oft schon glaubten sich die Christdemokraten im traditionell bislang roten Potsdam im Aufwind – um dann vom Wähler wieder einen Dämpfer verpasst zu bekommen. Diesmal, hofft Reiche, ist die Lage anders. Denn Potsdam, sagt sie, sei eine sich verändernde Stadt. Die Union werde davon profitieren. In den kommenden Jahren werde die CDU in Potsdam verstärkt auf die Themen Bildung, Infrastruktur und Lebensqualität setzen und dafür entsprechende Konzepte entwickeln, kündigte Reiche an.
GRÜNE
Die wenigsten Sorgen um die Zukunft müssen sich in Potsdam wohl die Grünen machen. Nach Jahren des Darbens geht es für die Partei scheinbar unaufhaltsam nach oben. Mit 13,6 Prozent toppten die Grünen ihr Landtagswahlergebnis von 2009 abermals – am Sonntag gab es ein Plus von 2,4 Prozentpunkten. Die Partei, das wird schon an der Verteilung der Stimmen deutlich, profitiert am meisten vom Wachstum der Stadt durch den anhaltenden Zuzug. In Babelsberg und den noblen Vorstädten erreichte die Partei Ergebnisse von zum Teil mehr als 23 Prozent. Es sind die Gutverdiener mit ökologischem Bewusstsein, die ihr Kreuz bei den Grünen machen. Sie wählen in erster Linie die Partei. So darf man auch getrost folgern, dass die Grünen ihre Zuwächse nicht wegen, sondern trotz ihres eher blassen Kreischefs Uwe Fröhlich erreicht haben. Auch die parteiinternen Querelen – man denke etwa an den Streit um den Stadtverordneten Andreas Menzel oder die Kontroversen zwischen der Stadtverordnetenfraktion und dem Grünen-Baubeigeordneten Matthias Klipp – haben den Grünen in Potsdam bei keiner der vergangenen Wahlen geschadet. Für die Zukunft stellt sich die Partei trotzdem neu auf: Bei der Mitgliederversammlung am kommenden Donnerstag treten Fröhlich und die zweite Parteivorsitzende Birgit Eifler nicht mehr an. Der designierte neue Kreisparteichef Nils Naber, der selbst bereits kommunalpolitische Erfahrung hat, dürfte kein allzu schweres Spiel haben. Der Boden in Potsdam wird zunehmend grüner.
FDP
Es ist derzeit nirgendwo leicht, ein Liberaler zu sein. Die FDP steckt bundesweit im Dauertief, auch in Potsdam sieht es darum nicht besser aus. Mit 1,6 Prozent hat die Partei sogar beinahe ihren Negativrekord von 1999 egalisiert. Die Aufbruchzeiten der Landtagswahl 2009 und der Kommunalwahl 2008, als neue, frische Gesichter für die Partei standen und ihr zudem inhaltliches Profil gaben, sind längst dahin. Kreischef Johannes von der Osten-Sacken, der einzige FDP-Stadtverordnete, hatte vergeblich auf ein besseres Ergebnis gehofft. Eigentlich müsste unter den Zuzüglern nach Potsdam auch klassisches FDP-Wählerklientel sein. Um es zu mobilisieren, muss sich aber erst die Bundes-FDP wieder aufrappeln. Andernfalls fällt die Partei der Vergessenheit anheim.
AFD
Das vielleicht überraschendste Ergebnis sind die 9,4 Prozent, die die rechtspopulistische Alternative für Deutschland, kurz AfD, aus dem Stand in Potsdam zu holen vermochte. Allerdings sollte sich die Partei nicht allzu sicher fühlen. Es sind die klassischen Protestwähler, die ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben. Denn gut möglich, dass es ihr ergehen wird wie vielen ihrer Vorgänger, die nach kurzen Höhenflügen längst wieder den Gang in die Bedeutungslosigkeit angetreten haben – etwa die Piratenpartei, die jetzt in Potsdam abgeschlagen bei 2,8 Prozent landete. Und zumindest in der Stadtverordnetenversammlung, in die die AfD im Mai mit drei Abgeordneten eingezogen ist, ist man durch übermäßige Arbeitswut bislang nicht aufgefallen – die Fraktion stellte keine Anfragen und nur einen Antrag gegen kleinere Fachausschüsse. Die Fraktion müsse sich erst sortieren und werde „nicht einfach Anträge stellen, um Anträge zu stellen“, sagte Fraktionschef Lothar Wellmann den PNN. Das solle aber nicht heißen, betonte Wellmann, „dass wir keine Ideen hätten“. Erschwerend sei hinzugekommen, dass man erst vor zwei Wochen ein Büro im Stadthaus beziehen konnte.
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