
© Nestor Bachmann dpa/lbn
Mülldeponien in Brandenburg: Vogelsängers Meldung – für den Müll
Brandenburgs Umweltminister hat die Abfallmenge in illegalen Deponien klein gerechnet: Die Zahlen aus dem Umweltministerium sind alt und unvollständig.
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Potsdam - Das Umweltministerium rechnet Brandenburgs ganz spezielles Müllproblem klein. Überall im Land modern illegale Deponien vor sich hin. Zusammen 1,6 Millionen Tonnen Abfall sollen es „grob geschätzt“ sein. In Wahrheit ist es mindestens doppelt so viel. Die Zahlen, die das Ministerium vergangene Woche veröffentlichte, sind unvollständig und längst überholt.
108 illegale Müllkippen hat das Umweltministerium in Brandenburg gezählt. Das war im Jahr 2010. Schon damals war diese Zahl nicht korrekt. Doch sie wird immer wieder angeführt, wenn es um dieses schmutzige Kapitel der hiesigen Abfallwirtschaft geht. So auch in der jüngsten Pressemitteilung, in der Umweltminister Jörg Vogelsänger (SPD) es zur „Chefsache“ erklärt, „einen zweistelligen Millionenbetrag für die weitere Beräumung von Abfalllagern“ zu beantragen. Nötig wäre aber ein dreistelliger Millionenbetrag, um das Land von den vielen Schandflecken zu befreien. Das Umweltministerium rechnet selbst mit 160 Millionen Euro.
Das Umweltministerium hat sich verzählt
Von den 108 schwarzen Kippen, die das Ministerium im Jahr 2010 erfasst haben will, sollen elf geräumt worden sein. Das geht ebenfalls aus der Pressemittelung hervor. Auch ein Lager in Bad Freienwalde gilt als abgehakt. Dort betreibt die Firma BSR Naturstein eine mittlerweile genehmigte Abfallanlage. Damit verblieben weniger als 100 illegale Lager. Doch das Ministerium hat sich verzählt.
Noch immer türmen sich in Brandenburg mehr als 100 Dreckberge auf. Das hat das gemeinnützige Recherche-Zentrum Correctiv vor einem Monat aufgedeckt. Es sind nach den Recherchen und nach Durchsicht diverser Unterlagen aus den Landkreisen, des Landesbergamts und des Landesumweltamtes aber nicht 1,6 sondern mehr als drei Millionen Tonnen illegaler Abfall. Damit kostet die Entsorgung des illegal verkippten Mülls auch nicht 160 Millionen Euro, wie das Ministerium behauptet, sondern nach der von Vogelsänger selbst angegebenen Berechnungsmethode 320 Millionen Euro. Das Ministerium hat pauschal einen Aufwand von 100 Euro pro Tonne bei der Entsorgung angesetzt.
Wer ist für die Umweltsünden verantwortlich?
Dass die Zahlen des Ministeriums so stark von den Rechercheergebnissen abweichen, hat mit den Umweltbehörden des Landes und der Landkreise zu tun. Die Behörden streiten, wer für die Umweltsünden verantwortlich ist. Bei diesem Streit, der seit über 15 Jahren andauert, bleiben die nüchternen Fakten mitunter auf der Strecke.
Um die Zuständigkeiten zuweisen zu können, ließ das Landesumweltamt einst alle illegalen Abfalllager auflisten. So kam es zu der Zahl 108. Diese Liste, die als Anlage der sogenannten Boden- und Abfallzuständigkeitsverordnung öffentlich einsehbar ist, weist viele Lücken auf. Die mit fast 400 000 Tonnen Müll größte illegale Deponie des Landes, die die Firma GEAB in der Stadt Bernau angehäuft hat, kommt darin beispielsweise nicht vor. Auch in seiner Pressemitteilung geht das Ministerium mit keinem Wort darauf ein. Es ist, als existiere dieser Dreckberg für das Umweltministerium nicht. Dabei gehört er mit rund 38 Millionen Euro Entsorgungskosten zu den teuersten Hinterlassenschaften der Müll-Mafia in Brandenburg. „Die GEAB war zu der Zeit, als die Liste erstellt wurde, noch geschäftlich tätig“, begründet ein Ministeriumssprecher erst auf PNN-Nachfrage ihr Fehlen.
Das Ministerium hat noch mehr verschwiegen. Auch die illegale Verklappung von Müll in ausgebeuteten Sand- und Kiesgruben lässt es außen vor. Müllschieber haben seit 2006 rund eine Million Tonnen in den Tagebauen des Landes verscharrt. Doch diese Fälle tauchen weder in der Liste von 2010 noch in der Wahrnehmung der heutigen Landesregierung auf.
Für Umweltminister Vogelsänger ein Nachwende-Problem
Für Umweltminister Jörg Vogelsänger ist die illegale Müllentsorgung offenbar ein Problem längst vergangener Zeiten: „Wir haben es hier fast nur mit Altlasten aus der Nachwendezeit zu tun“, wird Vogelsänger in der jüngsten Pressemitteilung zitiert. Der Minister verengt seine Sicht auf die veraltete Liste und ignoriert dabei die aktuelle Faktenlage.
Der 38-Millionen-Müllberg von Bernau etwa durfte bis zum Jahr 2005 wachsen. Erst dann legte ihn das Landesumweltamt still. Zur unerlaubten Entsorgung in hiesigen Tagebauen kam es erst, als die Bundesregierung das Deponieverbot für Hausmüll erlassen hatte. Das war mehr als 15 Jahre nach der Wiedervereinigung. Auch der wohl spektakulärste Fall spielte sich weit nach der Wende ab. Der Müll-Pate Bernd R. verklappte zwischen 2005 und 2008 in alten Deponien, die er sanieren sollte, riesige Mengen Abfall. Er schmierte die Sachbearbeiterin der zuständigen Behörde, die die Sanierung überwachte – und scheffelte Millionen.
Der jüngste bislang bekannte Fall reicht ins Jahr 2011 zurück. Da ging die Eberswalder Firma GHW, die mehr Müll ablagerte als ihr genehmigt wurde, in den Bankrott. Zurück blieben rund 6000 Tonnen Plastikmüll, die – wie viele andere illegale Abfallberge und Drecklöcher – in der Rechnung des Umweltministeriums keine Rolle spielen.
Jeder Punkt ein Abfalllager. Wie viele Tonnen Müll sich in verschiedenen Orten in Brandenburg befinden - und was die Sanierung der illegalen Deponie kosten würde, zeigt diese Karte >>
Michael Billig
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