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Spurensuche. Ani Palyan 2015 in Jerewan vor der Statue des armenischen Dichters Howhannes Schiras.

©  privat

Berliner Studentin zu Armenien-Diskussion im Bundestag: Wie die Völkermord-Resolution mich betrifft

Was die heutige Bundestagsentscheidung über die Massaker an den Armeniern für sie und ihre Familie bedeutet, erzählt Ani Palyan, eine deutsch-armenische Studentin.

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Im Wohnzimmer meiner Eltern steht im Regal ein kleines gerahmtes Gemälde vom Berg Ararat, auf dem die Arche Noah gestrandet sein soll. Obwohl er geografisch auf dem Gebiet der Türkei liegt, ist er auf dem armenischen Wappen zu finden, weil er für unser Volk ein wichtiges religiöses Symbol ist.

Unser Volk – die Armenier. Wir sind nicht viele, leben überall auf der Welt. Ich zum Beispiel wurde 1996 in Hamburg geboren. Jetzt studiere ich in Berlin an der Humboldt-Universität, und wenn heute im Bundestag über die Armenien-Resolution abgestimmt wird, ist das für mich und meine Familie ein Thema.

Ich war zehn Jahre alt, als ich es mit der politischen Dimension des Armenierseins zu tun bekam. Als am 19. Januar 2007 Hrant Dink, ein armenischer Journalist mit türkischer Staatsangehörigkeit, in Istanbul erschossen wurde, gab es eine Demonstration, zu der meine Mutter mich mitnahm. So viele Leute waren da! „Warum?“, habe ich gefragt. „Das ist eine lange Geschichte“, hat sie gesagt – und mir die später erzählt.

Nun war Hrant Dink tot

Von den Großeltern meines Vaters hat sie erzählt, die noch Kinder waren, als es 1915 losging mit dem Morden der Türken an unserem Volk. 1,5 Millionen Menschen wurden gefoltert und getötet. Darunter auch meine Urgroßeltern. Die Kinder blieben allein zurück, bis Kirchenleute sie nach Georgien in Sicherheit brachten. Später sei über das Massaker nie mehr richtig gesprochen worden, von Völkermord sollte auf türkischer Seite schon gar keine Rede sein, aber Hrant Dink sah das anders. Und nun war er tot.

Dass das Rot in der armenischen Flagge für das Blut unserer toten Vorfahren steht, hatte ich schon vorher gelernt, in der armenischen Schule. Unzählige Gedichte und Lieder dazu haben wir einstudiert, aber das war eher folkloristisch gewesen. So wie ich meine Großeltern „Tatik“ (Oma) und „Papik“ (Opa) genannt habe. Und an die Namen meiner Lieblingsfreunde ein „-jan“ (sprich: dschan) anhänge, ein Kose-Suffix sozusagen.

"Außer uns interessiert das keinen"

Von den grausamen Details meines Armenierseins hörte ich erst 2007. Und ich habe mir gemerkt, wie meine Mutter damals zu mir sagte: „Vergiss das nicht, denn außer uns interessiert das keinen.“ Als später auf dem Gymnasium im Geschichtsunterricht die NS-Herrschaft drankam, wurde mir klar, was meine Mutter gemeint hatte. Was haben wir alles über den Holocaust gelernt. Wir haben Gedenkstätten besucht, Dokumentarfilme angeschaut, wir haben über das Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ gesprochen. Aber Armenien war nie dran.

Das hat mich in ziemliche Zerrissenheit gestürzt. Schließlich bin ich in Deutschland aufgewachsen, gehöre hierhin, lebe ein deutsches Leben. Dennoch betrachte ich den Holocaust nicht als einen Teil meiner Geschichte, sondern fühle mit dem Völkermord an den Armeniern, der hier so gut wie keine Rolle spielt.

Was für ein Empfang für eine deutsche Armenierin!

Was bedeutet es, armenischer Herkunft zu sein? Ich habe tolle türkische Freunde, auch welche, mit denen ich über das Thema Völkermord gar nicht erst reden würde, weil das vielleicht das Ende unserer Freundschaft wäre. Meine Eltern haben sich da nie eingemischt. Aber wie konnte ich das mit mir vereinbaren? War das nicht schon fast Verrat? Und Armenien selbst? War es mein Sehnsuchtsland? Nicht mal das war klar. Ich habe oft mit meiner Schwester darüber gesprochen. Sie war überzeugt: Armenien, nein danke, lieber Amerika! Mich hat das aufgeregt. Ich fand sie geschichtsvergessen – und fuhr selbst doch auch nicht. Ich fürchtete, dass mein westlicher Lebensstil in dem christlich-konservativen Land Kopfschütteln auslösen würde.

2015 flog ich dann doch. Ausgerechnet im 100. Jahr des Völkermords. Und so empfing mich am Flughafen von Jerewan ein Plakat, das einen stilisierten Paschahut und ein Hitlerbärtchen zeigte und auf Englisch nach der Vergleichbarkeit von deren Taten fragte. Was für ein Empfang für eine deutsche Armenierin!

Als ich an einem Tag Zizernakaberd, das gigantische Völkermord-Mahnmal, besuchte und die großen Hallen betrat, wurde ich von mir unerklärlichen Emotionen überwältigt. Es läuft dort die ganze Zeit traurige Musik mit unserem Nationalinstrument Duduk, das klingt wie ein heulendes Baby. Das war schon schlimm genug. Und dann habe ich noch entdeckt, dass in der sogenannten Gedächtnisallee viele Nationen eine Tanne gepflanzt haben – Deutschland aber nicht. Plötzlich verstand ich den Frust der Armenier in Deutschland, die seit Jahrzehnten für die Anerkennung des Leids ihrer, unserer Vorfahren kämpften. Es geht nicht um Rache an den Türken, sondern darum, dass wir von dem Land, in dem wir seit Generationen leben und das wir als einen Teil unserer Identität ansehen, nicht im Stich gelassen werden wollen. Ani Palyan

Ani Palyan

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