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Von Jana Haase und Susanne Vieth-Entus: „Wiegen allein macht die Schweine nicht fetter“

Nach dem Vera-Brandbrief in Berlin: Auch Brandenburgs Lehrer kritisieren die Vergleichsarbeiten

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Berlin/Potsdam - Nicht nur in der Berliner Lehrerschaft sind die Vorbehalte gegenüber zentralen Vergleichsarbeiten (Vera) verbreitet – auch Brandenburgs Pädagogen zweifeln am Sinn der bundesweit durchgeführten Tests. So fehle in Brandenburg ein Gesamtkonzept dafür, wie man mit den Ergebnissen umgeht, kritisierte Günther Fuchs, der Vorsitzende des Landesverbandes der Lehrergewerkschaft GEW, am Dienstag gegenüber den PNN. Konkret forderte er Investitionen für Förderunterricht besonders schlechter oder guter Schüler. Ohne ein nachgeschaltetes „Unterstützungssystem“ nutzten die an sich begrüßenswerten Vera-Tests nichts, so Fuchs: „Allein davon, dass wir die Schweine öfter wiegen, werden sie nicht fetter.“

Inhaltliche Kritik an den Testaufgaben, wie sie Berliner Lehrer am Montag in einem Brandbrief öffentlich gemacht hatten (PNN berichteten), habe es in Brandenburg bisher nicht gegeben, sagte Stephan Breiding, der Sprecher des Bildungsministeriums, gestern auf Anfrage. Er führt das auch auf die vergleichsweise homogene Zusammensetzung der Schülerschaft in Brandenburg zurück. Der Ausländeranteil liege durchschnittlich bei 2,3 Prozent, in Berlin gibt es dagegen Schulen, an denen mehr als 70 Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund haben. Die Berliner Initiative „Schulen im sozialen Brennpunkt“ hatte die Tests als diskriminierend kritisiert. Die Vera-Aufgaben seien für Schüler „normal geförderter Mittelstandsfamilien“ konzipiert und für viele Berliner Drittklässler zu schwierig, hieß es.

Am Dienstag mehrten sich in der Bundeshauptstadt die Stimmen für einen Boykott der Tests - auch außerhalb der „Problemkieze“. Das ergab eine Umfrage dieser Zeitung in etlichen Bezirken und Schulen. Allerdings fanden sich auch Befürworter der Vergleichsarbeiten.

Insbesondere der große zeitliche Aufwand stimmt viele Schulleiter skeptisch: „Die Mehrarbeit ist enorm“, befindet etwa die Leiterin der Lichtenberger Hermann-Gmeiner-Grundschule, Uta Schröder, die den GEW-Schulleiterverband leitet. Andererseits sei es „gar nicht so verkehrt“, den Lehrern eine Rückmeldung zu geben: „Wenn wir nicht früh anfangen mit Vergleichsarbeiten, sind wir auch nicht in der Lage, ein Zentralabitur zu schreiben“, steht für die Rektorin fest. Generell hätten die Kollegen aus den West-Bezirken mehr Probleme mit Vergleichsarbeiten als Ost-Kollegen, die das Instrumentarium von früher her kennen würden. Die Möglichkeit eines Boykotts schließt Schröder nicht aus. Vera wird Ende April/Anfang Mai geschrieben.

Auch Inge Hirschmann vom Grundschulverband ist skeptisch. „Wir teilen die Kritik der Grundschulen im sozialen Brennpunkt“, betonte sie. Die Kinder würden durch die viel zu schweren Aufgaben „beschämt“. Kritik kam auch aus Europaschulen. Die bilingualen Klassen hätten „ein Problem“ mit Vera, hieß es aus der russisch-deutschen Lew-Tolstoj-Grundschule in Karlshorst.

Eine Bestandsaufnahme mache nur Sinn, „wenn anschließend eine realistische Chance besteht, dass sich die benachteiligten Kinder auch verbessern können“, urteilte am Dienstag der CDU-Abgeordnete Sascha Steuer. Dafür brauchten die Schulen jedoch mehr Lehrer. Hingegen meinte Mieke Senftleben (FDP): „Eine Lehrkraft, die Vergleichstests abschaffen will, gleicht einem Arzt, der auf Diagnosen verzichtet.“ Kein einziges Problem werde jedoch durch Verdrängen und Ignorieren behoben.

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