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Wilke, der Kronprinz: Der SPD-Eintritt des Brandenburger Innenministers befeuert die Nachfolge-Debatte um Woidke
Mitten in der Brandenburger Regierungskrise verkündet der parteilose Innenminister René Wilke seinen SPD-Eintritt – und zeigt damit Ambitionen für die Woidke-Nachfolge. Eine Analyse.
Stand:
Er gilt als Woidkes Mann. Brandenburgs Innenminister René Wilke ist überraschend in die SPD eingetreten, mitten in der Krise der SPD-BSW-Regierungskoalition, die die Wagenknecht-Partei mit inneren Machtkämpfen ausgelöst hat. Die Entscheidung des früheren Oberbürgermeisters von Frankfurt (Oder), der viele Jahre in der Linkspartei war, befeuert die Debatte um die Nachfolge und einen etwaigen vorzeitigen Rückzug von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD).
Nachfolge-Debatte eröffnet
Nun ist Wilke offiziell der „Kronprinz“. Er zeigt mit dem SPD-Eintritt seine Ambitionen, ohne es klar aussprechen zu müssen. Dass er der Wunschnachfolger von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ist, gilt mittlerweile als gesetzt. Und zwar seit Woidkes bisherige engste Vertraute Katrin Lange gehen musste: Die frühere Innenministerin und Vizeparteivorsitzende stürzte über die Auseinandersetzungen um die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem durch den Verfassungsschutz – zu Woidkes Leidwesen.
Zwar muss man immer damit rechnen, dass er Lange zurückholt, doch aus dem Nachfolge-Tableau ist sie raus. So war es ein unerwarteter Coup, als Woidke, der damals selbst unter Druck war wie nie zuvor, den parteilosen Frankfurter Oberbürgermeister zum Nachfolger im Innen- und Kommunalressort machte. Das war erst vor ein paar Monaten, im Mai.
Woidkes Pläne
Dietmar Woidke, 64 Jahre, ist einer der dienstältesten Länderchefs in Deutschland. Er regiert Brandenburg seit mehr als einem Jahrzehnt, seit sein Vorgänger Matthias Platzeck nach einem Schlaganfall das Amt aufgeben musste. Brandenburg, seit 1990 SPD-regiert, hatte erst drei Ministerpräsidenten: Manfred Stolpe (1990 bis 2002), Matthias Platzeck (2002 bis 2013) und Dietmar Woidke (seit 2013).

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Alle eint das Selbstverständnis und eine Rolle als „Landesvater“, als starke Führungspersönlichkeiten, die der Landes-SPD lange Zeit die Wahlerfolge – und damit Landtagsmandate – garantierten. Dazu gehörte bisher auch, dass bei den Stabwechseln die starken Amtsinhaber das letzte Wort in der SPD hatten, nie offene Machtkämpfe ausbrachen, es keine Debatten gab.
So sorgte Stolpe dafür, dass Platzeck – damals Oberbürgermeister in Potsdam, noch nicht lange in der Partei und mit wenig rotem „Stallgeruch“ – 2002 sein Nachfolger in der Staatskanzlei wurde. Und Platzeck setzte 2013 durch, dass ihn Woidke beerbte, der damals Innenminister und unausgesprochen, aber bereits erkennbar, sein „Kandidat“ war.
Das Innenministerium war Woidkes erfolgreicher Profilierungsposten, auch das prägt. Zuletzt hatte Woidke nach einem Er-oder-die-AfD-Wahlkampf die Landtagswahl 2024 entgegen allen Umfragen und Prognosen doch noch knapp gewonnen. Er hat öffentlich erklärt, die Wahlperiode bis zu ihrem Ende 2029 durchzuziehen. Das ist zumindest sein bisheriger Plan – vielleicht auch mit dem Kalkül, Wilke Zeit zur Profilierung und zum Bekanntwerden zu verschaffen. Woidke ist nicht der Typ, den man aus dem Amt tragen muss. Seine Prämisse ist ein selbstbestimmter, starker Abgang, mit einem Bundesland, das deutlich besser dasteht als 2013. Aktuell tut das Brandenburg eindeutig.
Wilkes Profil
Der 41-jährige Rene Wilke gilt als politische Ausnahmeerscheinung, als Brückenbauer. Er ist ein nachdenklicher, empathischer Typ, der Menschen gewinnen und Kompromisse moderieren kann und gleichzeitig Durchsetzungsstärke zeigt. Das bewies er schon als Stadtoberhaupt im krisengebeutelten Frankfurt (Oder), wo er 2018 bis 2025 regierte. Er war, direkt gewählt, einziger Oberbürgermeister Brandenburgs mit Linke-Parteibuch.
Wilke hatte dort an der Viadrina-Uni und der Fernuni Hagen Kultur-, Politik- und Verwaltungswissenschaften und Psychologie studiert. Er steht für sozialen Ausgleich, für Law-and-Order, Realismus und Pragmatismus, auch in der Migrationspolitik. Im vergangenen Jahr trat Wilke bei den Linken aus, für die er 2014 bis 2018 im Landtag saß. Er begründete den Austritt mit seiner Entfremdung von der ideologielastigen Bundespartei.
Was ihn am meisten umtreibt, ist das seit Jahren – auch mit der sogenannten Brandmauer – nicht gestoppte Erstarken der AfD. Indirekt nannte er das auch als Motiv für seinen Eintritt in die SPD. „Wir erleben gerade, wie viele wanken und nicht wissen, wo sie hinwollen“, sagte Wilke selbst dazu. „Für mich ist das ein guter Zeitpunkt, um ein Bekenntnis für Stabilität zu setzen – und ein Zeichen dafür, dass wir hier im selben Team und Trikot spielen.“ Wilke ist über Parteigrenzen hinweg angesehen und bundesweit bekannt. Dass er das Zeug zum Ministerpräsidenten hätte, soll Platzeck einmal in kleiner Runde formuliert haben.
SPD im Niedergang
Brandenburg war lange rot regiert. Doch die SPD ist im Niedergang und steuert auf eine Niederlage bei der Landtagswahl 2029 zu. Bis auf die Landtagswahl 2024, wo Woidke die Partei noch einmal rettete und einen AfD-Wahlsieg verhinderte, hat die extreme Rechtspartei auf Landesebene in Brandenburg inzwischen die Kommunalwahl, die Europawahl und zuletzt die Bundestagswahl mit klaren Vorsprüngen gewonnen.
In den Umfragen führt die AfD seit zwei Jahren, in der jüngsten Insa-Umfrage im September lag die SPD bei 24 Prozent, die AfD bei 34 Prozent. Zuletzt hatten die Sozialdemokraten nach der Abwahl von Oberbürgermeister Mike Schubert die symbolträchtige Landeshauptstadt Potsdam verloren, die vorher 35 Jahre von SPD-Stadtoberhäuptern regiert worden war.
Die Potsdamer SPD-Minister Daniel Keller (Wirtschaft) und Manja Schüle (Wissenschaft), die zur Landtagswahl hier ihre Wahlkreise direkt gewannen, hatten eine Rathaus-Kandidatur abgelehnt. Keller und Schüle wurden bisher Ambitionen auf die Woidke-Nachfolge nachgesagt, allerdings sind beide im Land bisher kaum bekannt. Das Gleiche gilt für SPD-Fraktionschef Björn Lüttmann.
Aktuelle Krise der Woidke-Koalition
Wilkes Eintritt in die SPD wird mitten in den aktuellen Turbulenzen des Brandenburger Regierungsbündnisses bekannt. Zwar werden die Medienstaatsverträge zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks diesen Mittwoch mit den Stimmen von SPD, der Unterstützung der oppositionellen CDU und der angekündigten Zustimmung von BSW-Finanzminister und Vize-Ministerpräsident Robert Crumbach vom Landtag beschlossen werden. Vielleicht wird dann erst einmal Ruhe einkehren.
Doch zwischen Protagonisten des BSW herrschen unüberwindbare Konflikte. Eine Prognose, wie lange dieses Bündnis angesichts der permanenten Zerlegung und des spürbar radikaleren Kurses der Wagenknecht-Partei noch hält, wagt niemand. Woidke muss aufpassen, dass Wilke nicht über einen Bruch der Regierung gefährdet wird. Mit dem SPD-Parteibuch ist Wilke ein Machtfaktor in der Partei. In der letzten Umfrage vom September hatte Wilke, erst wenige Wochen Innenminister, bereits den höchsten Zustimmungswert aller Woidke-Nachfolge-Kandidaten. Und er ist der Angstgegner der AfD. Das macht alles möglich.
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