ZUR PERSON: „Wir leben nicht in der Ostrepublik Deutschland“
Jörg Schönbohm, der heute Ehrenvorsitzender der Brandenburger CDU wird, über seinen Abschied und „Stimmenfischerei“ von SPD-Regierungschef Platzeck
Stand:
Sie gelten, Pardon, als preußischer Workaholic, als harter Knochen. Nach zehn Jahren werden Sie ab Herbst nicht mehr dem Potsdamer Kabinett angehören. Von der Brandenburger CDU werden Sie, gewissermaßen ein vorgezogener Abschied, zum Ehrenvorsitzenden gekürt. Spüren Sie schon Trennungsschmerz?
Es war eine anstrengende und beglückende Zeit. Es ist lange klar, dass ich nach der Landtagswahl aufhöre. Ich gehe nicht sentimental, nicht mit Wehmut, ich bleibe ja in Brandenburg.
Es fällt auf, dass Sie milder, duldsamer geworden sind. Was hat Sie jenseits der schnelllebigen Tagespolitik zuletzt am meisten geärgert?
Ministerpräsident Matthias Platzeck, als er vor einer Instrumentalisierung der Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag des Mauerfalls durch die Union gewarnt hat. Aber, dass er Frau Merkel mit Obama am 9.11. am Brandenburger Tor sieht, zeigt, dass er die Bundestagswahl verloren gibt.
Hat Platzeck nicht Recht, dass die Mauer im Osten eingedrückt wurde?
Das bestreitet gar niemand. Die Frage ist, was daraus gemacht, wie mit dieser historischen Chance umgegangen wurde. Und die SPD war damals – wie Herr Platzeck auch - gegen die Einheit. Es war die herausragende politische Leistung von Helmut Kohl, das Vertrauen unserer Nachbarn zu gewinnen, um Deutschland als größtes Land im Herzen Europas wieder zu vereinigen. Mit seinen Angriffen tut Platzeck selbst das, was er der Union vorwirft: Er instrumentalisiert das Jubiläum der Deutschen für Wahlkampfzwecke.
Platzeck betont bei jeder Gelegenheit ostdeutsches Selbstbewusstsein, rührend aus den Aufbauleistungen seit 1990. Was stört Sie daran?
Da ist mir zu viel Streicheln der Ostseele, zu viel Stimmenfischerei auf Kosten der Westdeutschen dabei. Da fehlen selbst die platten Sprüche von Regine Hildebrandt nicht, dass die Westdeutschen 13 Jahre zum Abitur brauchen, weil ein Jahr Schauspielunterricht dabei ist. Das spaltet, das grenzt aus. Als SPD-Bundesvorsitzender, als Bundesratspräsident hat er die gemeinsamen Leistungen der Ost- und Westdeutschen gelobt und den Blick nach vorn angemahnt - und hier im Land fällt er in alte Ost-West-Argumentationsmuster zurück.
Braucht Krisen-Deutschland ostdeutsche Antworten, wie Platzeck fordert?
Ehrlich gesagt, ich weiß bisher nicht, was ostdeutsche Antworten sein sollen. Sicher sind die Flexibilität und Bereitschaft der Arbeitnehmer hier beeindruckend, sich neuen Aufgaben zu stellen. Wir brauchen gemeinsame Antworten, wir leben nicht in der Ostrepublik Deutschland. Erfolg hat unser Land nur als Ganzes.
Teilen Sie Platzecks Sorge, dass in zwanzig Jahren auch große Konzerne wie Daimler, Siemens, Volkswagen vom Markt verschwunden sein könnten?
Politik sollte nicht so über die Chancen von Unternehmen orakeln. Ich will mich an solchen Kassandrarufen nicht beteiligen.
Das Ende Ihrer Amtszeit wird von einer bundesweiten Debatte um frühere Stasi-Mitarbeiter in der Brandenburger Polizei, im öffentlichen Dienst Ostdeutschlands überschattet. Wie sollte man mit den Ex-Geheimdienstlern umgehen?
Die Debatte wird viel zu einseitig geführt. Das Problem, auch die Zahlen, sind nicht neu. Man kann das alles schon im Bericht der Enquete-Kommission des Bundestages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur aus dem Jahr 1998 nachlesen. Heute, 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, ist an den Fakten nichts mehr zu rütteln: Die betroffenen früheren Stasi-Mitarbeiter haben sich damals offenbart. Sie sind im Wissen darum auf einem rechtsstaatlichen Weg eingestellt worden, haben sich inzwischen bewährt. Es ist unredlich, sie jetzt an den Pranger für Entscheidungen zu stellen, die damalige Politik zu verantworten hat. Und zwar in allen ostdeutschen Ländern, ja auch im Bund. Für die Beweggründe, für Maßstäbe, nach denen damals übernommen worden ist, können die Mitarbeiter nichts. Das haben die damals Verantwortlichen zu erklären.
In zweieinhalb Monaten wird in Brandenburg gewählt. Warum ist es anders als vor der Landtagswahl 2004 bislang so ruhig?
Die Situation ist nicht vergleichbar. Es gibt keine Armutsdebatte um Hartz IV, keinen Frust über die Bundesregierung, damals Rot-Grün, der auf das Land durchschlägt. Die Linke hat kein Aufreger-Thema. Und anders als damals, wo die CDU zum ersten Mal in der Geschichte Brandenburgs die Kommunalwahl gewonnen hatte, wo sie in den Umfragen an der SPD vorbeizog, müssen die Sozialdemokraten realistischerweise nicht um ihre Mehrheit fürchten. Das entspannt die SPD und dämpft die Linke.
Umso spannender ist der Poker um die Koalition nach der Landtagswahl. Die SPD hält sich offen, ob sie danach weiter mit der Union oder mit den Linken regiert. Hat die CDU ein Mittel dagegen?
Die Union läuft den Sozialdemokraten nicht hinterher. Wenn die SPD mit den Linken zusammengeht, kann sie sich warm anziehen: Rot-Rot steht dann eine CDU-Opposition gegenüber, die zehn Jahre Regierungserfahrung hat. Das ist etwas anderes als eine ausgebrannte Linke, von der man nichts hört.
Die Union demonstriert unter Johanna Wanka erstmals seit Ihrem Rücktritt als Parteichef innere Disziplin. Liegt das an der Frauenpower, der geklärten Machtfrage, der Angst vor der Opposition?
Ich denke, Hauptgrund sind die Erfahrungen der innerparteilichen Kämpfe, unter denen alle gelitten haben. Die kaiserlose, schreckliche Zeit ist vorbei, die Lager haben sich aufgelöst. Alle, die ein bisschen Verstand haben, wissen: Es geht nur gemeinsam. Brandenburgs CDU hat unter Johanna Wanka zu Disziplin zurückgefunden. Wenn die Vorsitzende entscheiden würde, dass die SPD unzumutbare Bedingungen für eine Koalition stellt, dann würde die Union aufrecht und geschlossen in die Opposition gehen.
Haben Sie Brandenburg „umgepflügt“, wie Sie 1999 nach Ihrem Wechsel aus Berlin ankündigten?
Na ja, Brandenburg ist ein Land mit viel Sand. Wenn man es umpflügt, sind die Furchen auch schnell wieder zugeweht. Aber im Ernst: Ich habe als Innenminister dringend nötige Veränderungen, ob Kommunalreform, Polizeireform, durchgesetzt. Wichtig ist mir, dass es die kleine DDR des Manfred Stolpe nicht mehr gibt, dass der Brandenburger Weg, auf den sich die Parteien ohne Streit einigten, der Vergangenheit angehört. Das hat der jungen Demokratie hier nicht gut getan.
Brandenburg hat eine andere Streitkultur?
Ich denke ja. Ich sage aber auch: Die Streitkultur im Lande ist immer noch verbesserungsfähig. Streit in der Sache wird sehr schnell persönlich genommen. Das ist nicht gut.
Sie kennen wie kein Anderer den politischen Betrieb in Berlin und in Brandenburg von Innen. Was ist in Brandenburg anders?
Die Mentalität ist eine andere. Berlin ist eine Stadt, die das macht, was wir immer predigen, ist offener, debattierfreudiger. Die Politik in Brandenburg ist, dem Lande entsprechend, ländlich geprägt. Das ist normal, ich glaube dennoch, sie ist zu sehr in sich gekehrt. Ausnahme ist Potsdam. Aber sonst schmort Brandenburg oft im eigenen Saft. Wir brauchen mehr den Blick über den Tellerrand hinaus.
Sie haben erst mit Manfred Stolpe regiert. War das einfacher als unter Platzeck?
Es war anders. Es gab mit Manfred Stolpe einen Bund der Verlässlichkeit. Wir wussten um unsere, auch aus der unterschiedlichen Vita rührenden Differenzen, aber uns verband der Einsatz für Brandenburg. Entscheidend war, dass Absprachen hielten. Wir haben regelmäßig Gespräche geführt, häufig bei mir zu Hause einen virtuellen Sandkasten aufgebaut und durchgespielt, wie weit jeder gehen kann. Davon wussten nur wir beide.
Gab es diesen virtuellen Sandkasten auch bei Platzeck?
Nein, er hat einen anderen Regierungsstil, aber wir achten und vertrauen uns auch.
Was sind die dringendsten Aufgaben der nächsten Legislaturperiode?
Die Wirtschaft muss weiter stabilisiert, die Schule besser werden. Brandenburg muss kreative, differenzierte Lösungen entwickeln, wie mit dem demografischen Wandel, mit den ländlichen Räumen umgegangen wird. Auch die Verwaltungsstrukturen gehören auf den Prüfstand.
Also eine radikale Kreisreform?
Nein, ich denke, da geht es allenfalls um punktuelle Anpassungen. Die Bevölkerungsrückgänge in Frankfurt/Oder und Brandenburg/Havel werden die Frage auf die Tagesordnung rücken lassen, wie viele kreisfreie Städte es noch geben kann. Aber ich halte nichts davon, riesige Kreise wie die Uckermark und den Barnim zusammenzulegen. Wichtiger ist, dass zeitgemäßer austariert wird, für welche Aufgaben künftig die Kommunen, wofür die Kreise und das Land zuständig sein sollen - also eine Funktionalreform. Das ging in dieser Legislaturperiode nicht mehr, die Widerstände aus Ministerien waren zu groß.
Als Sie nach Brandenburg kamen, war das Image des Landes auch durch gewalttätige Rechtsextreme ruiniert. Das ist Vergangenheit. Nun tritt die aggressive NPD zur Landtagswahl an. Ist das wirklich eine gute Nachricht?
Ich freue mich, dass wir dieses Image gemeinsam beseitigen konnten. Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben gezeigt, dass Auseinandersetzungen mit der NPD schwierig sind. Wir müssen uns dieser Herausforderung stellen, ohne die NPD aufzuwerten. Es gibt trotz der Zersplitterung des rechtsextremen Spektrums keine Entwarnung.
Was ist künftig vom Privatier Jörg Schönbohm zu erwarten?
Ich werde mich um den von mir gegründeten Verein um Jugendaustausch zwischen Ostdeutschland und den USA kümmern. Wenn mich der Weg unseres Landes besorgt, werde ich mich einmischen, nicht als Parteipolitiker, sondern als engagierter Bürger. Man wird von Jörg Schönbohm hören.
Das Interview führte Thorsten Metzner
Jörg Schönbohm, geboren am 2. September 1937 im märkischen Neu-Golm, machte vor seinem Wechsel in die Politik eine steile Karriere in der Bundeswehr. Er war General, er löste nach dem Fall der Mauer die Nationale Volksarmee auf. Er war Heeresinspekteur und Staatssekretär auf der Hardthöhe, ehe er 1996 Innensenator von Berlin wurde. 1999 wechselte er nach Brandenburg und führte die Union erstmals in die Regierung. Als Innenminister setzte er die Gemeindereform und die Polizeireform gegen Widerstände durch. In der CDU, der er 1994 beitrat, gehört Schönbohm zum wertkonservativen Flügel. Den Vorsitz der Landespartei gab Schönbohm Anfang 2007 ab. Foto: Thilo Rückeis
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