Brandenburg: „Wir sind alle Berliner“
Tausende Tunesier in der Stadt trauern nach dem Anschlag durch einen Landsmann um die Opfer
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Berlin - Normalerweise feiern die Tunesier in diesen Tagen den Jahrestag ihrer „Revolution der Freiheit und Würde“, mit der am 14. Januar 2011 in Tunis der Weg zur Demokratie begann. Doch der 6. Jahrestag der Revolution ist durch den Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz durch den Tunesier Anis Amri überschattet.
Unter dem Motto „Solidarität mit Berlin“ hatten der Botschafter der tunesischen Republik und Vertreter der in Berlin tätigen tunesischen Vereine und Verbände zu einer gemeinsamen Feier in den mit deutschen und tunesischen Fahnen und Blumengebinden geschmückten Festsaal des Rathauses von Charlottenburg-Wilmersdorf geladen. Nach dem Abspielen der beiden Nationalhymnen erhob sich der ganze Saal zu einer Schweigeminute für die Opfer des Terroranschlags – „Wir sind alle einig gegen den Terrorismus“, stand auf Deutsch und Arabisch unter dem Bild des in den deutschen Farben angestrahlten Brandenburger Tores, das an die Wand projiziert wurde.
Botschafter Elyes Kasri erinnerte in seiner Rede an die Errungenschaften der demokratischen Transformation Tunesiens und betonte zugleich: „Wir trauern heute um den Verlust von vielen unschuldigen Menschen, die unglücklicherweise durch einen Landsmann ums Leben gekommen sind. Wir sprechen den Angehörigen unser Beileid aus und wünschen den Verletzten baldige Genesung. Die tunesische Regierung und die tunesische Zivilgesellschaft verurteilen diesen Akt des Terrorismus. Er steht im Widerspruch zur Tradition des tunesischen Volkes“, sagte Kasri.
Laut einer aktuellen Umfrage sei Deutschland mit 93 Prozent mit Abstand das beliebteste Land in Tunesien, nur fünf Prozent lehnten es ab, das sei in der Statistik der Ablehnung der letzte Platz. Er hoffe, dass die Tat eines Einzelnen nicht auf das Image Tunesiens abfärbe. Kasri erinnerte mit Stolz an den tunesischen Film, der 2015 auf der Berlinale den Goldenen Bären gewonnen habe, es ging um einen Tunesier, der sich gegen die Auswanderung entschieden habe.
Die BVV-Vorsteherin Annegret Hansen (SPD) verlas eine Grußbotschaft des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters, der sich dankbar zeigte für diese Geste Tunesiens, die Gedenkfeier in Charlottenburg abzuhalten, wo die Botschaft zu Hause ist und wo der Anschlag stattfand. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller sprach sich in einer verlesenen Grußbotschaft dagegen aus, jetzt ganze Länder unter Generalverdacht zu stellen.
Die Idee zu dieser Veranstaltung hatte Botschafter Kasri, der auch die Anregungen der tunesischen Zivilgesellschaft in Berlin – hier leben 8000 Tunesier – aufnahm, etwas zu tun. Zum ersten Mal habe man jenseits politischer Differenzen gemeinsam eine Veranstaltung geplant, um die deutsch-tunesische Freundschaft zu stärken. Vertreter tunesischer Vereine traten nacheinander ans Mikrofon, um ihre Solidarität mit den Opfern und den Angehörigen auszudrücken. „Tunesier sind seit über 50 Jahren gut in die deutsche Gesellschaft integriert, sie haben als Arbeiter, Studenten, Ingenieure und Ärzte zum Aufbau der deutschen Gesellschaft beigetragen“, sagte Mohamed Othmani vom Koordinationsrat der Tunesischen Vereine in Deutschland. Die zahlreichen deutschen und tunesischen Redner sprachen den Angehörigen ihr Mitgefühl aus und versicherten sich der gegenseitigen Solidarität, nur gemeinsam könne man dem Terror widerstehen. Botschafter a. D. Horst-Wolfram Kerll forderte wie viele andere auch, Tunesien nicht im Stich zu lassen. „Wir teilen Schmerz und Sorgen, wir sind alle Berliner“, sagte Botschafter Kasri am Ende der Veranstaltung. In Tunesien hat die tunesische Zivilgesellschaft geholfen, den Demokratisierungsprozess zu retten, dafür bekam sie den Friedensnobelpreis. In Berlin haben Tunesier Mitgefühl, Anteilnahme, Solidarität und Freundschaft gezeigt. R. Brockschmidt
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