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„Wir wollen sehr gut ausgebildete Ärzte“: Lausitz setzt auf Uni-Klinikum statt Braunkohle
In Cottbus soll eine Universitätsmedizin entstehen, finanziert mit Mitteln aus dem Strukturwandelgesetz. Die Projektbeauftragte Ulrike Gutheil über den Stand.
Stand:
Frau Gutheil, wann wird es in Cottbus eine Universitätsmedizin geben?
Eine Universitätsmedizin wird es wahrscheinlich Mitte 2024 geben, wenn wir die Fakultät gegründet haben. Vorher brauchen wir ein positives Votum durch den Wissenschaftsrat. Das Universitätsklinikum soll dann 2026 dazukommen. Anschließend wird es einen stufenweisen Aufbau der Fakultät bis Mitte der 2030er Jahre geben.
Wo stehen Sie jetzt gerade?
Wir sind jetzt auf Stufe 2 angekommen: Das, was uns die Expertenkommission unter Leitung von Prof. Karl Max Einhäupl aufgeschrieben hat, bringen wir nun in eine verfeinerte Form. Wir machen es antragsfähig. Es gibt Arbeitsgruppen, zum Beispiel für Studium und Lehre, für die Forschung, für die (digitale) Vernetzung der Gesundheitsakteure und so weiter. Alles, was jetzt einer Klärung bedarf, um den nächsten Meilenstein, das Einreichen unseres Konzepts, Ende des ersten Quartals 2023 hinzubekommen.
Wie soll sich die Uni-Medizin in Cottbus künftig finanzieren?
Wenn wir die großzügige Finanzierung des Bundes nicht hätten, könnten wir die Universitätsmedizin im Land Brandenburg derzeit überhaupt nicht auf den Weg bringen. Es ist ja eine Herausforderung, in diesen Zeiten die 39. Universitätsmedizin in Deutschland zu gründen. Da machen wir uns auch selber nichts vor.
Dabei geht es uns nicht darum, eine ganz normale Universitätsmedizin noch einmal zu gründen: Jetzt müssen wir klug überlegen, wie wir durch die Transformation einer ganzen Region nicht nur eine Universitätsmedizin gründen, sondern eine Modellregion aufbauen. Dies beinhaltet ganz neue Forschungsansätze und den Versuch, etwas Besonderes zu machen, ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen. Und daran anknüpfend: Wir wollen auf viele Defizite, die es im Augenblick in der Bundesrepublik im medizinischen Bereich gibt, Antworten und Lösungen finden.

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Zunächst aber noch einmal die Finanzierung. Woher kommt das Geld?
Das Geld kommt aus dem Strukturstärkungsgesetz für die Braunkohleregionen. Das steht so im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, was sehr erfreulich ist. Ich verhandele zurzeit mit dem Bund über das Geld, was für uns reserviert ist: Also über die Rechtsgrundlage dafür, dass wir die 1,9 Milliarden Euro vom Bund nach Brandenburg bekommen.
Die 1,9 Milliarden Euro sind die Gelder, die für den Aufbau nötig sind?
Das sind die Gelder, die wir laut unserer Expertenkommission bis 2038 benötigen, um den Aufbau der Universitätsmedizin inklusive aller notwendigen Strukturen sowie der Modellregion Gesundheit Lausitz zu Stande zu bringen.
Jetzt müssen wir klug überlegen, wie wir durch die Transformation einer ganzen Region nicht nur eine Universitätsmedizin gründen, sondern eine Modellregion aufbauen.
Ulrike Gutheil
Was ist mit der Finanzierung des weiteren Betriebs?
Darüber müssen wir uns im Land sehr schnell klar sein. Denn für den Bund gibt es rote Linien: Die Ausgaben für die Lehre, die Ausgaben für den baulichen Unterhalt der Hochschule, die Ausgaben für Personalkosten etwa von Professuren wird der Bund nicht finanzieren. Auch nicht langfristig. Was wir mit dem Bund besprechen, sind Möglichkeiten, wie wir in Cottbus wirklich herausragende Forschung machen und langfristig finanzieren können. Denn das wollen wir: Herausragende internationale Spitzenforschung in der Lausitz.
Was kommt denn finanziell auf den Landeshaushalt zu?
Wir rechnen damit, dass das Land für den laufenden Betrieb der Universitätsmedizin in Cottbus künftig etwa 150 Millionen Euro im Jahr ausgeben muss. Das ist im Moment aber nur eine Schätzung.
Ist das realistisch?
Vor ein paar Jahren hätte ich ohne Zögern gesagt: Das Land entwickelt sich wirtschaftlich sehr gut. Es ist Teil einer Metropolenregion. Das kann man packen. Heute sehen wir, wie schnell alle Sicherheiten danieder liegen können. Ich bin aber trotzdem gnadenlos optimistisch, dass wir das hinbekommen und stemmen.
Wie soll sich denn die Cottbuser Uni-Medizin inhaltlich von den anderen Fakultäten unterscheiden?
Unsere Expertenkommission hat uns ja eine Empfehlung für die Schwerpunktsetzung auf den Weg gegeben. Es geht um Digitalisierung und Gesundheitssystemforschung, die es in dieser Verknüpfung in Deutschland noch nirgends gibt. Bislang arbeiten nur US-Amerikaner und teilweise auch Dänen und Engländer auf diesem Gebiet. Wir sind davon überzeugt, dass die Lausitz ein interessanter Standort ist, wo wir uns der Forschung und evidenzbasierten Konzepten, etwa für die Fragen von alternden Gesellschaften, widmen können.
In der Ausbildung müssen Sie trotzdem alle klassischen, medizinischen Fächer abbilden.
Unsere Arbeitsgemeinschaft „Studium und Lehre“ hat bereits ein Curriculum nach der neuen Approbationsordnung für Ärzte (also dem Referentenentwurf) entwickelt. Wir wollen ja keine “Mediziner light” ausbilden, nur weil wir einen schönen Schwerpunkt in der Forschung haben. Wir wollen wirklich sehr gut ausgebildete Ärzte in Brandenburg haben. Das wird das Feld für die rund 60 Professuren sein, die wir bislang in der Universitätsmedizin vorgesehen haben. Und da ist klar, dass wir nach und nach diese Kolleginnen und Kollegen für Cottbus gewinnen müssen, damit wir das Studium ab 2024 aufwachsen lassen können.
Wann planen Sie denn die ersten Berufungen?
Im Grunde müssen wir damit jetzt beginnen. Aber zuerst müssen wir klären: Wie können wir potenzielle Bewerberinnen und Bewerber für unser Konzept und den Standort begeistern? Dass sie mitmachen wollen und merken, dass es etwas ganz Innovatives ist? Man kann nicht einfach eine Anzeige in die Zeitung setzen und darauf warten, dass alle kommen. Wir brauchen einen guten Mix aus erfahreneren und jüngeren Wissenschaftlerinnen und Forschern. Und natürlich wird uns auch der Wissenschaftsrat fragen, wie wir 2024 loslegen wollen. Kurzum: Es ist ein sehr sportlicher Zeitplan.

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Wie machen Sie das denn, dass Professoren nach Cottbus und nicht nach Marburg, Tübingen oder Heidelberg gehen wollen?
Hier befindet man sich nicht in der „Mühle“ der klassischen Universitätskliniken – und das kann einen hier begeistern. In Cottbus kann man sich noch Freiheiten für seine Forschung erschließen. Und ich glaube, das jetzt vorliegende Curriculum ist ein großer und guter Wurf. Es enthält alles, was wir uns wünschen – also auch die Frage der Kommunikation in der Medizin und das Thema Digitalisierung.
Es gibt in Brandenburg schon die Medizinische Hochschule in Neuruppin. Wie ist da das Verhältnis?
Das Verhältnis ist gut. Wir freuen uns ja alle über die gute Entwicklung der MHB. Ich habe deren Start nur von außen beobachtet, aber ich finde, die machen es wirklich prima. Natürlich muss auch die MHB 2024 noch durch den Wissenschaftsrat. Aber auch da muss ich sagen: Bislang war die Forschung nicht der stärkste Teil der MHB, aber mittlerweile hat sich auch das gut entwickelt. Die Medizinische Hochschule liegt nun nicht in der Lausitz – aber schon durch ihren Schwerpunkt in der Versorgungsforschung wird sie ganz sicher ein wichtiger Kooperationspartner für die Cottbuser Unimedizin. Wir wären ja dumm, wenn wir die Akteurinnen und Akteure im Land nicht in unser Konzept einbinden.
Und wir brauchen eine Willkommenskultur für die Region und die Stadt Cottbus, die noch besser ist als alles, was dort bislang schon war.
Ulrike Gutheil
Was muss denn die Region Lausitz schaffen, um für internationale Forscher attraktiv zu werden?
Sie muss ein Klima schaffen für Menschen, die als Forscherinnen und Forscher, mit ihren Familien, kommen und gern auch bleiben wollen. Es muss ein Aufbruch sichtbar sein. Das Imageproblem der Region, das wir Jahrzehnte lang beobachtet haben, muss abgeworfen werden. Und wir brauchen eine Willkommenskultur für die Region und die Stadt Cottbus, die noch besser ist als alles, was dort bislang schon war.
Sie meinen, Cottbus muss sein Image als rechte Hochburg loswerden?
Ja, natürlich. Die Stadt muss dieses Problem ansprechen – denn der Standort hat damit ein Problem. Ich bin aber fest im Glauben, dass wir es schaffen, mit demokratisch gesinnten Leuten auch dieses Image wieder loszuwerden.
Welche Rolle spielen denn die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte der Region beim Aufbau der Hochschulmedizin?
Sie spielen eine ganz bedeutende Rolle: Viele von ihnen wollen ja ebenfalls die Region voranbringen. Natürlich haben viele Praxen in der Lausitz ein Nachwuchsproblem. Dort gibt es eben nicht, wie im Westen, gewachsene, tradierte Strukturen von Arztpraxen. Und natürlich sind beim Stichwort Digitalisierung nicht alle dort, wo sie sein sollten. Wir brauchen die Arztpraxen aber für unseren Forschungsschwerpunkt. Deswegen müssen wir eine Win-Win-Situation für die Versorgungsleistungen vor Ort, also die Arztpraxen und die kleinen Kliniken, schaffen.
Wie kann denn so eine Win-Win-Situation ganz praktisch aussehen? Um im Bild zu bleiben: Was wäre der Jackpot, den eine Praxis gewinnen könnte?
Der Jackpot wäre, glaube ich, dass sie Studenten und Studentinnen von der Fakultät bekommen. Dass es mit der Praxis weitergeht, dass die Ärzte der Region nicht nur an junge Leute, sondern auch an Informationen und Daten kommen, mit deren Hilfe sie ihre Patienten besser behandeln können. Dass sie sich digital vernetzen und komplexere Krankheitsbilder mit Kolleginnen und Kollegen besprechen können. Dass wir auch kleinere Krankenhäuser in die Lage versetzen, die schwerkranken Patienten nicht mehr durch die Gegend fahren zu müssen, sondern sie mit Telemedizin vor Ort behandeln zu können. Das alles wird massive finanzielle Auswirkungen auf die Krankenhaus- und Praxisstandorte haben. Und es wird den Menschen in der Lausitz enorme Vorteile bieten.
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