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Brandenburg: Wittstock wird drittgrößte Stadt Deutschlands

Nach Eingemeindungen regiert der Bürgermeister ab Sonntag über ein Gebiet, das sich weiter ausdehnt als Köln

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Nach Eingemeindungen regiert der Bürgermeister ab Sonntag über ein Gebiet, das sich weiter ausdehnt als Köln Von Claus-Dieter Steyer Wittstock. Das beschauliche Wittstock an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern steht vor dem Sprung in eine neue Dimension: Nach den Kommunalwahlen am 26. Oktober wird das Städtchen zur drittgrößten Stadt Deutschlands. Größer als Köln, kleiner nur als Berlin und Hamburg – der Fläche nach. Denn Wittstock an der Dosse profitiert von der Brandenburger Gebietsreform: Gleich 18 Gemeinden aus der Umgebung werden der früheren Kreisstadt zugeschlagen. Die Zahl der Einwohner allerdings steigt dadurch nur minimal von 12 000 auf 18 000. Auf genau 442 Quadratkilometer dehnt sich Wittstock künftig aus. Größer sind nur Berlin mit 892 Quadratkilometern und Hamburg mit 755 Quadratkilometern. Mit weitem Abstand folgen hinter diesem Trio Köln (405), Dresden (328) und München (310 Quadratkilometer). Und schon taucht in der Statistik ein weiterer Brandenburger Flecken auf: die Stadt Neuruppin bringt es dank der in den vergangenen Jahren vorgenommenen Eingemeindungen auf 303 Quadratkilometer und ist damit siebtgrößte deutsche Stadt – vor beispielsweise Frankfurt am Main (248 Quadratkilometer). Der Grund für diese riesigen Ausdehnungen eigentlich kleiner Städte – Neuruppin zählt gerade 27 000 Einwohner – zeigt der Blick auf die Landkarte. Das nördliche Brandenburg ist äußerst dünn besiedelt. Manche Dörfer bestehen nur aus zehn Häusern, dazwischen liegen ausgedehnte Wälder, Heiden und Seen. Im Schnitt wohnen lediglich 42 Menschen auf einem Quadratkilometer, in Berlin müssen sich mehr als 3800 Menschen eine solche Fläche teilen. Doch während in der Großstadt diese Zahl zumindest stagniert oder in jüngster Zeit sogar leicht zunimmt, ist in den Brandenburger Randregionen das Gegenteil der Fall. Immer mehr junge Leute müssen wegen fehlender Aussicht auf eine Lehrstelle oder einen Job ihre Heimat für immer verlassen. Ein dramatischer Kreislauf setzt sich dadurch in Bewegung. Mangels Nachfrage schließen Kitas, Kindergärten, Schulen, Jugendklubs, Bibliotheken, Kirchen, Gaststätten, Läden und Arztpraxen. Deshalb ziehen auch Freunde und Verwandte den Auswanderern hinterher. Ganze Landstriche werden entvölkert, die Vergreisung greift um sich. Dafür lohnen sich natürlich auch kein großer Verwaltungsapparat mit einer Gemeindevertretung und Bürgermeister in jedem Mini-Dorf oder Kleinstadt mit weniger als 2000 Menschen. Deshalb wurde vor einigen Jahren trotz vieler Widerstände die Kommunalreform auf den Weg gebracht. Nur noch Großgemeinden ab 5000 Einwohnern gelten als effektiv. Gegner dieser von CDU-Innenminister Jörg Schönbohm so vehement durchgesetzten Zusammenschlüsse machen vor allem auf den Verlust der Identität und der Selbstbestimmung aufmerksam. Auch in Wittstocks Umgebung hält sich die Freude über die Eingemeindung in Grenzen. Gleich acht der 18 Gemeinden klagen gegen die vom Landtag angeordnete „Zwangsehe“. Wittstocks Bürgermeister Lutz Scheidemann (FDP), der sich über den Werbeeffekt für seine Stadt freut, sieht die Demokratie dagegen nicht in Gefahr. „In den künftigen Ortsteilen werden am 26. Oktober Beiräte gewählt, die dann in der größeren Stadtverordnetenversammlung über alle Fragen mit diskutieren und abstimmen können“, sagt Scheidemann. „Die einzelnen Bürger werden die Veränderung bis auf die neuen Ortseingangsschilder gar nicht spüren.“ Allerdings gibt es für den Widerstand gegen einen Zusammenschluss mit Wittstock in mehreren Orten noch einen handfesten Grund. Gerade die an den umstrittenen Bombenabwurfplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide grenzenden Dörfer wollen sich nicht von einem Befürworter des Bombodroms vertreten lassen. Während Schweinrich, Sewekow oder Fretzdorf die geplanten Übungen der Tiefflieger und der Bodentruppen strikt ablehnen und ihre Zukunft im Tourismus sehen, vertritt der Wittstocker Bürgermeister eine ganz andere Meinung. Er hofft auf die vom Verteidigungsministerium zugesagte Garnison mit 750 Soldaten und 150 zivile Jobs. Diese Stationierung würde die Stadt beleben, ihr zusätzliche Einnahmen verschaffen und 70 bis 80 Wohnungen vor dem Abriss bewahren. In sie könnten Offiziere und deren Familien ziehen, glaubt der Bürgermeister. Auf jeden Fall dürften sich dann auch diese Neu-Bürger über die gewaltigen Ausmaße ihrer neuen Heimatstadt wundern: Bis nach Zempow am nordwestlichen Zipfel sind es von Wittstock 22 Kilometer, bis nach Freyenstein im Westen immerhin noch 17 Kilometer.

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