Brandenburg: Wo Jungs lernen lernen
Heime wie das Schultz-Hencke-Haus in Brandenburg/Havel versuchen, schwierige Jugendliche zurück zur Schule zu bringen – wie teuer das ist, will keiner sagen
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Heime wie das Schultz-Hencke-Haus in Brandenburg/Havel versuchen, schwierige Jugendliche zurück zur Schule zu bringen – wie teuer das ist, will keiner sagen Brandenburg/Havel - Eigentlich wären sie alle wohl schon im Knast. Denken sie. Alle Jungen in dem kleinen Raum hatten früher ein gestörtes Verhältnis zu Schulunterricht – sie schlugen Lehrer, Mitschüler, manchmal kamen sie gar nicht, hingen mit Freunden auf der Straße, ein paar waren Punks, ein paar prügelten in der rechten Szene. Dazu hatten viele der Jugendlichen Ärger mit ihren Eltern. Nun ist es anders. „Ich möchte im nächsten Mai meine Prüfung machen, damit ich eine Ausbildung anfangen kann“, sagt der 16-jährige Raphael. Einigen seiner Mitschüler im Schultz-Hencke-Haus in Brandenburg an der Havel geht es genauso – und alle sind sich einig, dass sie ohne ihre lange Zeit in dieser alten Villa nun sicher keinen Schulabschluss anstreben würden. Das Schultz-Hencke-Haus ist eine jener Einrichtungen, in die junge Leute kommen, wenn weder Schule, Eltern noch Jugendamt Rat wissen. Nun erhalten sie den ganzen Tag über Betreuung und Unterricht. Und je nach Schwere der Fälle können sie entweder täglich oder nur an den Wochenenden nach Hause fahren. „Es fehlt am Anfang häufig komplett an dem Gefühl für einen Tagesablauf“, sagt der Leiter in Brandenburg, Karl-Heinz Helbing. Und deshalb sei es wichtig, dass manche Jungen nur einmal pro Woche ihre Heimat sehen – denn dort könnten sie schnell wieder ihre alten Cliquen treffen, die alten Gewohnheiten annehmen. Dreimal gibt es Schultz-Hencke-Häuser im Land – die Bewohner kommen hauptsächlich aus Berlin. „Schon vor Wende haben Westberliner Jugendämter die Schultz-Hencke-Einrichtungen genutzt, die eigentlich aus Schleswig-Holstein kommen“, sagt Detlef Daubitz, im Landesjugendamt für Hilfen zur Erziehung zuständig. Im Heim in Brandenburg/Havel seien sind besonders viele Jugendliche aus der Hauptstadt, die „gute Verkehrsanbindung“ sei schuld. Einer der Berliner ist Marcel, 14 Jahre, seit zwei Jahren hier. Bei ihm steht fest, dass er bald jeden Tag zwischen Berlin und Brandenburg/Havel pendeln kann. Dann wird er teilstationär betreut und der Wechsel zu Regelschule vorbereitet. „Dieser Erfolg“, so betont Leiter Helbing, sei durch das einzeln abgestimmte Betreuungsprogramm seines Hauses möglich geworden. Kleine Klassen gehören dazu, individuelle Stundenpläne. Noten gibt es nicht, nur eine Bewertung mit „rot“ für schlecht und „grün“ für gut. „Wenn jemand etwas nicht kann, kommt er zu mir und fragt“, sagt die Lehrerin von Markus, Evelyn Havemann. In „wöchentlichen“ Interviews müssen Jungen wie Marcel Aufgaben lösen – auch um die Fortschritte zu kontrollieren. Pro Monat erhalten sie zwischen zehn und 25 Euro Taschengeld. Und es gibt Freizeit. So geht es nachmittags Schwimmen, ins Kino oder Angeln – mit einer zweiten Betreuungsperson pro Gruppe. Viel mehr Erwachsene sehen die Schultz-Hencke-Jungen nicht. Helbing sagt: „Uns ist ein enges Vertrauensverhältnis zu den Jungen sehr wichtig.“ Und warum gibt es eigentlich keine Mädchen im Schultz–Hencke-Haus? Helbing begründet es mit dem Rollenverhalten: „Jungen fallen einfach früher auf bei Schwierigkeiten. Wenn Mädchen auffallen, sind sie von uns nicht mehr erreichbar.“ Um in das Heim kommen zu können, muss das für den zum Problem gewordenen Jungen zuständige Jugendamt einen Antrag stellen. Einen Tag lang wird er dann mit seinen Eltern eingeladen, ein langes Gespräch über die Planung der Hilfe gehört dazu. „Wir sind mit den Eltern auch während der Betreuung ständig in Kontakt – denn oft haben die Jungen auch Probleme zu Hause“, so Helbing. Was die intensive 24-Stunden-Betreuung kostet, dazu will niemand etwas sagen. Für seine Arbeit erhält das Heim vom jeweiligen Jugendamt eine feste Tagespauschale für jeden Jugendlichen – in unbekannter Höhe. „Es ist nicht hilfreich, da einen Betrag zu veröffentlichen, da die genaue Summe zwischen dem jeweiligen Amt und dem Heim ausgehandelt wird“, sagt Doris Scheele, Chefin des Landesjugendamts. Auch die durchschnittlichen Kosten möchte sie nicht nennen. Die Jungen vor Ort sind für die Hilfe vom Staat dankbar, egal wie hoch sie ist. Einer muss seit ein paar Tagen keine Tabletten für bessere Konzentration mehr nehmen. Ein anderer sagt: „Das hier war die letzte Chance, sonst wäre jetzt mein ganzes Leben verkracht und ich total untergegangen.“ Henri Kramer
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