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Brandenburg: Zurückhaltung in Kernfragen

Die Angst vor polnischem Atomreaktor an der Grenze wächst – die Landesregierung bleibt diplomatisch

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Potsdam – In Brandenburg wächst die Sorge vor dem Bau eines Atomkraftwerkes unweit von Schwedt, nachdem sich Polens neuer Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski in seiner ersten Regierungserklärung offen für die Nutzung der Kernenergie ausgesprochen hat. Gegenüber dieser Zeitung mahnte Vizeregierungschef und Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) gestern zur Zurückhaltung. „Polen ist ein souveräner Staat. Öffentliche Vorwürfe und Auseinandersetzungen wären falsch“, so Schönbohm, der in Vertretung für Matthias Platzeck derzeit amtierender Ministerpräsident ist. „Wir sollten versuchen, Polen in stiller Diplomatie klar zu machen, was diese Pläne für gutnachbarschaftliche Beziehungen bedeuten würden.“ Nötig seien Besonnenheit und Sachlichkeit, zumal die Atom-Pläne Polen sich erst in einem Frühstadium befänden. Schönbohm erinnerte daran, dass Deutschland mit seinem Atomausstieg im internationalen Maßstab eher zu den Ausnahmen gehöre, wie sich auf dem jüngsten G8-Gipfel gezeigt habe. Im gleichen Tenor äußerte sich auch Brandenburgs Umweltminister Dietmar Woidke (SPD). „Die Polen sind ein stolzes Volk. Wir sollten vermeiden, uns als Vormund, als Oberlehrer und Besserwisser aufzuspielen, indem wir auf politischer Ebene jetzt ein Trommelfeuer zu entfachen“, so Woidke.

Trotzdem nehme die Landesregierung die Signale aus Polen und die Sorgen in der Uckermark vor einem Atomkraftwerk in der Nachbarschaft ernst, betonte der Minister. Nach polnischen Medienberichten ist für ein Atomkraftwerk der Standort Gryfino etwa 25 Kilometer nordöstlich von Schwedt in Richtung Stettin gelegen, in der engeren Wahl. Dort befindet sich bereits ein Kohlekraftwerk. Allerdings hat Polen bereits klar gestellt, dass es vor 2020 keine Kernkraftwerke geben wird, da das Land mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie Neuland betreten würde. Woidke bekräftigte das „klare Nein“ der Brandenburger Landesregierung zur friedlichen Nutzung der Atomkraft. Sollte Polen tatsächlich ein Kernkraftwerk in Grenznähe errichten, sei Brandenburg nach geltendem EU-Recht „zwangsläufig“ im Planverfahren zu beteiligen. „Wir würden unsere Ablehnung dort vorbringen“. Er setze aber darauf, die polnische Seite mit sachlichen Argumenten zu überzeugen – etwa, dass auch die Uranvorräte weltweit nur noch fünfzig Jahre reichen würden. Es sei verständlich, dass Polen wie Brandenburg seiner Energieversorgung angesichts steigender Erdöl- und Erdgaspreise unabhängiger machen will. „Wir wollen zeigen, dass es Alternativen zur Kernenergie gibt.“ Woidke nannte nachwachsende Rohstoffe, für die Polen mit großen nutzbaren Flächen ähnlich wie Brandenburg gute Voraussetzungen habe.

Im Landtag wird ein Atomkraftwerk nahe der Landesgrenze abgelehnt. Die PDS erinnerte an die Tschernobyl-Katastrophe. Der SPD-Landtagsabgeordnete Mike Bischoff prophezeite, dass es nicht nur in Polen selbst, sondern auch in Deutschland „erhebliche Proteste“ geben werde. Die europapolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion Barbara Richstein forderte die Landesregierung auf, bei der polnischen Seite „auf Klarheit zu drängen, was Sache ist.“ Richstein erinnerte daran, dass die Landesregierung noch vor wenigen Wochen erklärt habe, dass ihr keine polnischen Atomkraftpläne bekannt sein. „Die viel gelobte brandenburgisch-polnische Freundschaft scheint nicht für Reaktorfragen zu gelten.“

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