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Brandenburg: Zwanzigtausend gegen die Krise

Mehr Menschen als erwartet demonstrieren für eine andere Wirtschaftspolitik. Kurze Randale

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Berlin - Mehr als 20 000 Menschen haben am Samstagnachmittag mit roten Fahnen und Sprechchören in Berlin-Mitte unter dem Motto „Wir zahlen nicht für Eure Krise!“ gegen die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung demonstriert. Während des Umzuges zwischen Rotem Rathaus, Hackescher Markt, Oranienburger- und Torstraße blieb alles weitgehend friedlich, doch bei der anschließenden Kundgebung am Neptunbrunnen vor dem Berliner Regierungssitz lieferten sich Polizisten und rund tausend Mitglieder des gewaltbereiten „Schwarzen Blocks“ kurzzeitig heftige Auseinandersetzungen. Steine und Flaschen flogen, geparkte Autos wurden demoliert, die Redner von Gewerkschaften und Linkspartei waren kaum mehr zu verstehen – bis 17 Uhr gab es 25 Festnahmen.

Gewerkschaften, das globalisierungskritische Netzwerk Attac, Umwelt- und Sozialverbände sowie die Linkspartei waren als Veranstalter des Protestes vom starken Zustrom überrascht. Mit einer derartigen Resonanz hatten selbst sie nicht gerechnet. Erleichtert waren die Organisatoren vom anfangs gewaltfreien Verlauf, zumal sich die Polizei noch am Vortag in dieser Hinsicht pessimistisch gezeigt hatte. Entsprechend massiv eskortierten rund 1000 Beamte den Marsch mit Start und Ziel am Roten Rathaus. Sie filmten unterdessen Protestler, die vereinzelt Steine schleuderten oder auf andere Weise provozierten.

Bis zur Ankunft des Umzuges am Rathaus waren diese Aufnahmen bereits ausgewertet, die mutmaßlichen Täter identifiziert – und nun drängten mehr als hundert behelmte Beamte überraschend in die Menge und griffen sich die meist dem autonomen schwarzen Block angehörigen jungen Männer und Frauen heraus. Protestgeheul war die Folge, Willkür wurde der Polizei vorgeworfen, die Auseinandersetzung eskalierte, an der Spandauer Straße standen sich etwa 200 gewappnete Polizisten und wütende Demonstranten gegenüber. Erst zum Ende der Kundgebung nach 17 Uhr beruhigte sich langsam die Situation. Den Protestumzug hatte anfangs der einstige DDR-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer angeführt. Er war erst vor wenigen Tagen dem Netzwerk Attac beigetreten, das gestern Tausende Anhänger mobilisiert hatte. Schorlemmer begrüßte, „dass hier Leute aller Generationen“ zusammenkommen: Nötig sei eine „Reform des Gesamtsystems – keine Reparatur.“

Auf der Rednerbühne forderte später Carsten Becker vom Personalrat der Universitätsklinik Charité eine bessere öffentliche Versorgung und den Stopp von Stellenstreichungen. Viele Berliner Gewerkschafter bejubelten seinen Aufruf, sich gerade in der Krise drohendem Sozialabbau durch Streik zu widersetzen.

Neben den Arbeitnehmerverbänden IG Metall, Verdi und IG Bau demonstrierten auch Anhänger der Gewerkschaft der Polizei – deren grüne Fahne sich deutlich von den vielen roten Fahnen abhob. Auf der Torstraße entrollten sechs Vermummte ein Transparent mit dem Demonstrationsmotto von einem Hausdach.

Aus Sicht von Attac-Sprechern hat am Samstag die Polizei über die Stränge geschlagen. Die Gewalt vor dem Roten Rathaus sei von den Beamten ausgegangen.

Aus Sicht der Polizei war die Einsatztaktik am Samstag „genau richtig“. Man habe konsequent die „erfolgreiche Strategie der sogenannten beweissicheren Festnahme“ angewandt, sagte Polizeisprecher Bernhard Schodrowski am Sonntag. Dieses Vorgehen wurde aus den Lehren der Vergangenheit entwickelt. Noch vor einigen Jahren nahmen die Beamten nur auf Verdacht eine ganze Gruppe von Protestlern vorläufig fest, falls aus deren Richtung Steine flogen. Häufig waren dann auch Unschuldige unter den Festgenommenen, die sich über Willkür beklagten, weil sie nur am Rande dabeigestanden hatten. Und den tatsächlichen Tätern konnte man die Schuld nur schwer nachweisen.

Vor allem im Hinblick auf die alljährlichen Gewaltausbrüche am 1. Mai entwickelte die Polizei schließlich das neue Einsatzkonzept. „Filmen, identifizieren, rausgreifen“ lautet dessen Motto – wobei die Beamten laut Schodrowski drei Ziele verfolgen: Zum einen sollen die tatsächlichen Täter schnell gezielt und ohne viel Aufruhr ergriffen und zur Verantwortung gezogen werden. Indem man die Rädelsführer dingfest mache, lasse sich zudem eine weitere Eskalation verhindern. Und: „Friedliche Protestler werden geschützt.“

Als der Protestmarsch am Samstag nach dem Umzug durch Berlin-Mitte über die Spandauer Straße den Kundgebungsplatz vor dem Roten Rathaus erreichte, sei der Zeitpunkt für einen solchen Einsatz „günstig“ gewesen, begründete Schodrowski die Polizeitaktik. Später hätte man die 25 Täter nicht mehr beweissicher festnehmen können. Im übrigen habe sich der Aufruhr ja bald beruhigt – was allerdings vor allem der rauschende Regen bewirkt hatte.J. Hasselmann, H. Heine (mit C.S,)

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