Brandenburg: „Zwei Grundrechte kollidieren“ Kritik an Urteil zur rituellen Beschneidung
Berlin - Das Urteil des Landgerichts Köln zur Beschneidung aus religiösen Gründen wird auch Folgen für Berlin haben. Dies befürchtet der Grünen-Integrationsexperte Özcan Mutlu.
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Berlin - Das Urteil des Landgerichts Köln zur Beschneidung aus religiösen Gründen wird auch Folgen für Berlin haben. Dies befürchtet der Grünen-Integrationsexperte Özcan Mutlu. Eltern würden vermehrt auf fragwürdige illegale Beschneider ausweichen und ihre Söhne in Gefahr bringen, „und dies dient dem Kindeswohl dann noch weniger“.
Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) forderte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die Situation sei „ungewöhnlich“: „Zwei verfassungsmäßig verbriefte Grundrechte kollidieren miteinander: Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Grundrecht auf Religionsfreiheit“, sagte Kolat.
Das Landgericht Köln hatte am Dienstag entschieden, dass die Entfernung der Vorhaut aus religiösen Gründen strafbar ist. Zwar gilt das Urteil nur für den verhandelten Fall, es werde aber weitgehende Auswirkungen haben, sagen Juristen. Der türkischstämmige Özcan Mutlu schätzt, dass „95 Prozent aller türkischen Berliner quer durch alle Schichten beschnitten sind“. Mediziner sagten auf Anfrage, muslimische Ärzte seien teils sehr großzügig, was medizinische Indikationen angehe. Denn Beschneidungen aufgrund einer medizinischen Diagnose zahlt die Krankenkasse, ansonsten müssen es die Eltern finanzieren. Viele Eltern vertrauten ihr Baby, Kleinkind oder Schuljungen aber auch einem hoch geschätzten Imam an, einem anderen „Fachmann“ oder Friseur, die im Hinterzimmer einer Moschee oder im Wohnzimmer tätig werden.
Kritik am Urteil kommt auch vom American Jewish Committee. Das AJC appelliert an den Bundestag, die Rechte religiöser Minderheiten zu wahren. Man sei „tief besorgt“ darüber, dass die Richter so wenig Verständnis für Religionsfreiheit haben. Ender Cetin von der Sehitlik Moschee am Columbiadamm in Berlin-Kreuzberg sagte, das Urteil sei kontraproduktiv für die Integration. Es komme zu einer Zeit, „da der Staat auf die muslimische Gemeinschaft zugehe, wo es in vielen Bundesländern Islamunterricht an den Schulen geben soll“. Man plane mit der Jüdischen Gemeinde eine Pressekonferenz.
Der Palästinensische Studentenverein hat das Urteil „mit Bestürzung zur Kenntnis genommen“. Rabbiner Yehuda Teichtal von der orthodoxen jüdischen Gemeinschaft Chabad Lubawitsch sieht die Politik in der Pflicht. „Ich hoffe sehr, dass die Bundesregierung Rechtssicherheit schafft durch eine Rechtsverordnung oder durch ein Gesetz, das die Beschneidung aus religiösen Gründen erlaubt“. Sie sei einer der zentralen Grundsätze im Judentum, wenn es diese Möglichkeit nicht gebe, sei jüdisches Leben in Deutschland nicht denkbar.
Es gibt in der Stadt auch nichtreligiöse Berliner, die aus hygienischen Gründen im Kindesalter beschnitten wurden. Studien zufolge schütze der Eingriff vor Krebs, senke HIV-Risiken.
Anlass für das aktuelle Urteil war ein Fall, bei dem die Kölner Uniklinik die Polizei eingeschaltet hat, nachdem eine Mutter ihren vierjährigen Sohn nach einer Beschneidung mit Nachblutungen in die Klinik gebracht hatte. Die Richter sprachen den Arzt frei, da er es nicht habe besser wissen können. C. Keller/ A. Kögel
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