Landeshauptstadt: 1667 Kilo Brotfisch
Weil der Aalbestand schwindet, setzten die Fischer gestern 300 000 Tiere in der Havel aus
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Innenstadt – „Aalglatt“, befand Dietmar Woidke gestern Morgen. In der Hand hielt Brandenburgs Agrarminister da einen Kescher voll hektisch zappelnder Würmer. So sehen Aale nämlich aus, wenn sie drei Jahre alt sind. Dass der Minister wegen der acht Gramm schweren Fische so früh zur Anlegestelle an die Lange Brücke gekommen war, hatte natürlich seinen Grund: Denn der Aal – wegen seiner Beliebtheit bei den Käufern auch „Brotfisch des Fischers“ genannt – ist in Brandenburg bedroht. Um 50 Prozent sei seine Zahl in den vergangenen zehn Jahren zurückgegangen, schätzt Ronald Menzel von der Fischereigenossenschaft „Havel“ Brandenburg.
Mit dem Aussetzen der Jungfische soll der Aalbestand nun wieder erhöht werden. „Viel hilft viel“, umschreibt Roland Mayer, Referatsleiter in der Oberen Fischereibehörde, die Idee lakonisch. 1667 Kilo, fast 300 000 Aale, waren es gestern – landesweit sollen es nach Abschluss des Projektes in der kommenden Woche sogar gute zwei Millionen werden, erklärte Menzel, der die Aktion koordiniert. Die Kosten von 840 000 Euro sollen aus dem Europäischen Fischereifonds und der Fischereiabgabe des Landes bezahlt werden. Das Projekt, das im vergangenen Jahr gestartet ist, soll noch bis 2013 weiterlaufen.
Nachdem der Agrarminister medienwirksam den ersten 50-Kilo-Eimer ins Havelwasser befördert hatte, fing für die Fischer – unter ihnen Potsdams einziger Berufsfischer Mario Weber – die Arbeit erst an. Bis zum Mittag waren sie mit acht Kähnen und der wertvollen Ladung unterwegs: Im wasserdurchfluteten Behältnis auf dem Kahn, dem „Schweff“, tummelten sich je 200 Kilo Aale. Die mussten Schwapp für Schwapp entlang der Havel ausgesetzt werden – Vom Templiner See bis zur Heilandskirche.
Ob die Maßnahme Erfolg hat, soll das Institut für Binnenfischerei in Sacrow untersuchen. Das Verschwinden der Aale ist nach wie vor nicht vollständig geklärt: Es gebe ein „Bündel von Ursachen“, beschreibt Roland Mayer von der Oberen Fischereibehörde den Wissensstand. Einerseits wird der Klimawandel dafür verantwortlich gemacht, da er den Golfstrom verändert. Aber auch die Abfischung durch japanische Fischer spiele eine Rolle. In Japan sei gerade der junge „Glasaal“ in den letzten Jahren immer begehrter geworden. Für 1000 Euro pro Kilo gehen die Jungfische dort über den Tisch – 1990 lag der Kilopreis noch bei 50 Euro.
Die Fische, die in die Havelgewässer entlassen wurden, haben die Glasaal-Phase aber schon hinter sich und heißen „vorgestreckte Aale“. Eine ganze Lkw-Ladung davon war gestern in der Landeshauptstadt eingetroffen. Den längsten Weg hatten die Tiere da schon bewältigt: Östlich von Kuba, in der Nähe der Bahamas, in der Sargassosee, sind die Tiere geschlüpft und von dort mit dem Golfstrom an die westeuropäische Küste geschwommen. Als Glasaale kamen sie zum Aufpäppeln in eine Farm nach Haren, nahe der holländischen Grenze.
Die Havelgewässer werden sie nun einige Jahre bewohnen – und immer weiter flussaufwärts schwimmen. In Acht nehmen müssen sie sich dabei allerdings vor den Kormoranen. Denn für die Wasservögel ist der Aal das Leibgericht, erklärt Menzel. Erst wenn sie 300 Gramm wiegen oder 45 Zentimeter lang sind, werden ihnen auch die Menschen wieder gefährlich. Denn dann können die Tiere gefischt werden, erklärt Menzel.
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