Homepage: 3692 Minuten Therapie
Die Sehsüchte legen diesmal den Fokus auf den Patient Erde. Das Thema bewegt viele Nachwuchsfilmer
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Wüste, Steine, Sand, Himmel. Dann kommt ein Kampfhubschrauber ins Bild, ein schwer bewaffneter Zweisitzer. Das Rotorengeräusch fräst sich ins Gehör. In der Ferne kommt noch ein Hubschrauber, dann noch einer und noch einer – bis neun Apache-Helikopter über dem aufgewirbelten Sand kreisen, Formationen fliegen, fast schon miteinander tanzen. Zwei stellen sich gegeneinander wie kämpfende Hunde, fliegen aufeinander zu, Kollision, Explosion. Auch die anderen Helikopter krachen ineinander. Zurück bleibt ein brennender Schrotthaufen im Sand, das Feuer weitet sich aus, der Boden beginnt zu brennen, offenbar verbrennt Erdöl, die Geräusche werden schier unerträglich, die Feuerwand größer, das Ende naht. Apokalypse.
„We’ll become oil“ ist der Titel dieses Animationsfilms von Mihai Grecu (Frankreich). Die Animation ist so realistisch, dass der Zuschauer bis zur ersten Kollision der Helikopter meint, echte Filmaufnahmen zu sehen. Das Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ hat den Kurzfilm in einem Filmblock am Mittwoch gezeigt, der sich mit Grenzen und Grenzsituationen beschäftigt. Doch der Film ist auch ein Sinnbild, ein Synonym für die Auseinandersetzung der jungen Filmemacher mit dem Zustand des Planeten Erde. Ein Zustand, den die jungen Menschen offensichtlich zunehmend mit großer Sorge betrachten. Der Film von Mihai Grecu steht nicht alleine da in diesem Festivaljahr. Viele der Nachwuchsfilmer, die im Thalia-Kino derzeit ihrer Filme zeigen, beschäftigen sich mit dem Einfluss des Menschen auf seine Umwelt. So etwa auch der iranische Filmemacher Keywan Karimi in „Broken Borders“, in dem er die ökologischen Schattenseiten eines immensen Ölschmuggels in der iranisch-irakischen Grenzregion zeigt. Oder in dem Film „Der Mond ist ein schöner Ort“ von Anne Maschlanka und Viktoria Gurtovaj, in dem die kleine Nurie erzählt, warum ihr die Natur Albaniens wichtiger ist als die Großstadt.
So gesehen ist der in diesem Jahr auf das Thema Nachhaltigkeit gelegte „Sehsüchte“-Fokus gar nicht so aufgesetzt, wie es auf den ersten Blick erscheinen könnte. Denn der Umgang des Menschen mit der Erde wird nicht nur in den Fokus-Filmblöcken (Freitag, 16 und 18 Uhr Thalia 2) thematisiert, die Frage nach einem nachhaltigen Lebensstil zieht sich durch viele der Nachwuchsfilme.
Ryan Malloy aus San Francisco hatte sich für ein Filmseminar an der Stanford-University mit Fragen von Klimawandel, Ökologie und Nachhaltigkeit auseinandergesetzt. „Ich habe einen ganzen Sommer recherchiert, danach hatte ich das Gefühl, dass die Erde kurz vor dem Kollaps steht“, erzählt er im Gespräch mit den PNN. Das war der Ausgangspunkt für seinen Dokumentarfilm „Everything is going to be fine“ (heute 18 Uhr, Thalia 2). Hier hören wir Experten, die vor großen Katastrophen warnen, Historiker, die das wieder relativieren, weil der Mensch seit jeher an die Apokalypse geglaubt habe, wir hören Menschen von der Straße und Anhänger des sogenannten Transition-Movements, die sich auf den Wandel vorbereiten.
Dass ein umfassender Wandel auf die Menschheit zukomme, dessen ist sich der junge US-Filmemacher Ryan Malloy sicher. Und auch die Einschätzung des Historikers, dass alles gut wird – so auch der Titel des Films – mag Malloy nicht unbedingt teilen. Er bleibt skeptisch. Heute weiß er, dass Studien den sogenannten Peak-Oil – die größtmögliche Erdöl-Fördermenge – bereits als überschritten ansehen. Unsere Energieressourcen würden demnach fortan weniger, vom Schaden für das Klima einmal ganz abgesehen. „Ich gebe keine Lösungen in meinem Film“, sagt Malloy. „Das kann ich gar nicht. Aber ich stelle Fragen, Fragen die immer mehr Menschen haben.“ In Europa ist ihm aufgefallen, dass der Trend zu Regionalisierung hier schon weiter fortgeschritten ist. Das sei zwar keine umfassende Lösung, aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. In den USA sei Regionalisierung noch ein sehr junger Trend. „Aber das wächst auch dort, Menschen in der Nachbarschaft beginnen beispielsweise, ihr Gemüse im Garten anzubauen“, erzählt der Filmstudent. Seine Ängste kann ihm auch das nicht nehmen. Ängste, die er in seinem Film thematisiert hat. Letztlich sei der Film für ihn auch so etwas wie eine Therapie geworden.
Mit 3692 Minuten und 12 Sekunden Filmmaterial bieten die „Sehsüchte“ natürlich auch noch andere Ein- und Ausblicke. Gänzlich unverkopfte Filme, Musikvideos, Grotesken und Künstlerisches etwa. Gerade von der Potsdamer HFF kommen diesmal sehr starke Beiträge. So der hochartifizielle Animationsfilm „Der Wechselbalg“ (Maria Steinmetz) oder der der vielgelobte Dokumentarfilm „Mind Space“ von Udita Bhargava (28.4., 17 Uhr, Thalia 2). Mal sehen, vielleicht bleibt diesmal einer der Preise in Potsdam.
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