Homepage: „Ab Sommer könnte die Krise vorbei sein“
Der Potsdamer Wirtschaftstheoretiker Prof. Wilfried Fuhrmann über die Finanzkrise, neue Schulden und sinnlose Steuergeschenke „Die Struktur der Weltwirtschaft ändert sich durch die Krise“
Stand:
Herr Prof. Fuhrmann, das Jahr 2009 steht wie eine Drohkulisse vor uns. Erwarten Sie, dass es tatsächlich so schlimm wird?
Ich könnte mit meinen Kollegen mitheulen und sagen, dass wir gerade in den USA den Zusammenbruch der Kreditkarteninstitute erleben, die Unsicherheit wird weiter steigen. Wir werden bei uns vor aussichtlich auf dem Büromarkt eine Immobilienkrise stärkeren Ausmaßes bekommen. Es gibt also Zeichen dafür, dass es noch schwieriger wird, als bislang prognostiziert
aber?
Eigentlich bin ich eher optimistisch. Am 20. Januar tritt der neue US-Präsident sein Amt an. Der Versuch, die Verschuldungskrise mit einer weiteren starken Verschuldung zu beseitigen beginnt schon jetzt. Es wird auch Druck auf die Bundesregierung geben, die dann im Januar, Februar weitere zusätzliche Programme fahren wird. Dann wird es im Frühjahr in vielen Staaten staatliche Konjunkturprogramme geben, so dass wir mindestens ein Strohfeuer erhalten. Das kann dann die Erwartungshaltung umkehren. Wie lange das hält, dass die Maßnahmen in vielleicht sechs Jahren eine noch größere Krise nach sich ziehen können, das ist allerdings ein anderes Thema.
Sie erwarten also eine Beruhigung?
2009 ist ein Wahljahr. Da werden die Klientel allseits bedient werden. Im besten Fall wird ab Juni/Juli niemand mehr von einer Krise sprechen, wir werden wieder die ersten zusätzlichen Einstellungen und dergleichen haben.
Konjunkturprogramme ziehen eine steigende Staatsverschuldung nach sich.
Die letzte Krise war der Zusammenbruch des neuen Marktes. Den Einbruch hat Alan Greenspan relativ schnell durch neue Verschuldung beseitigt. Jetzt werden wir auch die aktuelle Krise mit neuen Schulden beseitigen. Jedes dieser Programme ist die Ursache für die nächste Krise. Das ist absehbar.
Den Weg müssen wir aber gehen?
Ich bin zwar eher ein Freund von Steuersenkungen. Aber durch stärkeren Konsum von Konsumgütern, die in Fernost produziert werden, werden wir die Konjunktur bei uns nicht ankurbeln. Das Problem ist eher, dass die Nachfrage nach unseren Investitionsgütern wegfällt, weil die Krise Osteuropa und Fernost auch betroffen hat. Das können wir nicht durch Steuergeschenke nach Gutsherrenart ersetzen. Geschenke im Wahljahr, damit die Wähler sich an einen erinnern: das ist ein Denkfehler.
Die Verbraucher können die Konjunktur nicht alleine retten?
Ganz sicher nicht. Das, was der Verbraucher nachfragt, sind nicht die Investitionsgüter, die etwa Ungarn oder Polen bisher bei uns bestellt haben. Wir dürfen jetzt nicht die Konsumgüterindustrie zugunsten des Investitionsgütersektors stärken, das wäre eine falsche De-Industrialisierung.
Nach der Krise wird alles anders?
Wir haben es mehr mit einer Strukturkrise als mit einer Nachfragekrise zu tun. Das bedeutet, dass die Struktur der Weltwirtschaft nach der Krise anders aussehen wird als vorher. Nun müssen wir darauf achten, keine De-Industrialisierung zu betreiben, indem wir nur auf Dienstleistungen setzten. Wir brauchen die Industrie. Dann müssen wir die Produktivität, die Ausbildung und Kreativität unsere Arbeitnehmer erhöhen, sie müssen im Job weitergebildet werden.
Welchen Zeitrahmen geben Sie einer solchen Umstrukturierung?
Wenn die Programme im März greifen, dann werden Investitionsgüter wieder nachgefragt. Und dann brauchen wir besser ausgebildete Leute, denn danach werden China und andere Länder ein starker Mitkonkurrent sein. England und Frankreich werden jetzt tendenziell wieder stark Richtung nationaler Industrialisierung gehen. Auch das wird eine kräftige Konkurrenz für uns geben. Wir müssen Strukturen schaffen, die einen besseren Zugang zur Bildung ermöglichen. Um das Arbeitsplatzproblem zu mindern und den Binnenmarkt zu stärken, müssten wir auch ausreichend Menschen in öffentlichen Einrichtungen einstellen, etwa bei der Bahn, den Schulen, Krankenhäusern oder den Hochschulen.
Befürworten Sie denn eine Re-Nationalisierung der Wirtschaft?
Ich kann solche Schritte verstehen. Aber ich bin Volkswirt, sozialisiert an der Küste. Für mich sind globale und offene Märkte das anzustrebende Ziel. Das Dumme an der Sache ist, wenn alle versuchen zu renationalisieren, entsteht der Druck dabei mit zu schwimmen. Wir haben in Westdeutschland nur gute Erfahrungen mit der Öffnung der Märkte gemacht. Das sollten wir beibehalten. Dazu gehört auch eine offene Gesellschaftsordnung und die soziale Marktwirtschaft.
Die Bundesregierung zögert derzeit mit weiteren Konjunkturmaßnahmen. Ist Abwarten die richtige Strategie?
Da ist sinnvoll, wenn man noch nicht genau weiß, was passiert. Derzeit stochern wir im Nebel. Als Optimist sage ich, dass sich nicht die Weltwirtschaftskrise von 1929 wiederholt. Wir haben einen Abschwung, wir haben "nur" noch drei Millionen Arbeitslose, jetzt kommen vielleicht wieder 200 000 hinzu, das heißt aber nicht, dass wir in eine alles vernichtende Rezession kommen. Das Zögern ist in Ordnung, wenn man sich gleichzeitig Instrumente schafft, die man bei Bedarf unmittelbar einsetzen kann.
Wenn die Menschen Bargeld horten, in der Hoffnung es steige im Wert, geraten wir in eine Deflation.
Die Gefahr ist sicher vorhanden. Das liegt schon daran, dass wir die Expansion der Geldmenge nicht so vorantreiben können wie in den vergangenen Jahren. Wir haben aber auch eine Chance. Die sinkenden Rohölpreise sind gewinnstabilisierend für die Unternehmen. Dadurch werden die steigenden Kapitalkosten durch die Banken tendenziell kompensiert. Wir müssen nur dafür sorgen, dass die sinkenden Preise auch an die Haushalte weitergegeben werden und nicht im Säckel von Großkonzernen oder französischer Atomkraftwerke verschwinden.
Also keine Gutscheine und Steuersenkungen?
Die Gutscheine sind für mich ein schlechter ökonomischer Witz. Wenn man einen Steuergutschein für Februar ankündigt, schieben alle Bürger größere Investitionen auf. Was bringt ein Steuergeschenk für den Autokauf ab Januar? Ist doch klar, dass im November, Dezember keiner mehr Autos kauft. Steuersenkungen würde ich aber immer befürworten, damit kommen wir wieder mehr aus der gelenkten Volkswirtschaft heraus.
Bei der Kreditklemme der Banken zeigt sich indes noch keine Entspannung.
Momentan setzt etwas ganz Fürchterliches ein. Haushalte und mittlere Betriebe haben enorme Probleme, Kredite zu bekommen. Die Banken fordern immer mehr Sicherheiten, Sie haben keine Kompetenz in der Krise ökonomisch zu entscheiden, sie ziehen sich auf Sicherheiten zurück. Dadurch steigen die Kapitalkosten für unsere Unternehmen enorm. Die Landesbanken können das Spiel der Märkte nicht ersetzen. Die Banken haben aus meiner Sicht immer noch nicht begriffen, dass sie eine regionale Verantwortung gegenüber ihrem Heimatmarkt haben.
Wie kann man wieder Bewegung in den Geldfluss bringen?
Das möchte derzeit jeder wissen. Vielleicht hat man auch der Hilfe zu viel getan. Durch den Bankenschirm über alle Landesbanken gibt es kaum noch Druck, damit die Banken untereinander wieder in eine Wettbewerbssituation kommen. Sie können sich immer auf ihr Land und den Schirm verlassen und jeder spielt jetzt ein individuelles Spiel. Wir züchten Banken, die nicht miteinander kooperieren. Das ist ein großes Problem.
Wer trägt eigentlich die Schuld an dem Debakel?
Zum Anfang der Diskussion um die Ursachen der Finanzkrise wurden die Banker in die böse Ecke gestellt. Das war falsch und unsachlich. Wenn es dort tatsächlich rechtswidriges Fehlverhalten gegeben hätte, wäre das schon längst angezeigt worden. Da wurden moralische Kategorien angesetzt und eine ganze Berufsgruppe in die Ecke gestellt.
Wer hat dann versagt?
Die Ursache der Krise liegt eher in einem Staats- als in einem Marktversagen. In den USA hat man jahrelang geglaubt, über Verschuldung den Traum vieler Amerikaner vom eigenen Häuschen zu realisieren. Es gibt aber leider Menschen, die das mit ihrem Einkommen nicht finanzieren können. Trotzdem wurden nicht abgesicherte Kredite gegeben, ohne dass man sich vor Augen führte, was bei der kleinsten Zins-Veränderung passieren kann. Wenn man das macht und alles auf steigende Werte der Immobilien aufbaut, dann bricht das natürlich zusammen, wenn die Preise nicht steigen. Dass die Immobilienblase platzen musste, wussten viele Ökonomen. Aber solange nichts passierte, hat niemand auf sie gehört.
Und die Banken?
Auch die haben das Platzen schon vorzeitig erwartet. Sie haben sich auf ihre Vermittlerrolle zurückgezogen. Sie haben die faulen Kredite gegeben und sie sofort an andere Institutionen weitergegeben. So konnten sie ihre Gewinne aus Maklergebühren erwirtschaften. Die Kredite sind dann bei staatlich gestützten Banken gelandet. Da wir die Geldmenge so stark ausgeweitet hatten, haben auch unsere Landesbanken diese Papiere gekauft. Was sollten sie machen, sie schwammen ja förmlich im Geld. Ohne, dass China und Europa diese Titel gekauft hätten, hätte man sie gar nicht „auf den Markt“ bringen können. Ob jetzt der Anbieter oder der Nachfrager der Böse ist, ist müßig zu fragen.
Die Anbieter wussten aber sicher, dass die Papiere faul waren?
Natürlich konnten die sich denken, dass das nicht lange gut geht. Aber wir sind genauso darin verstrickt. Wir haben doch über eine Termineinlage mit dreieinhalb Prozent gelacht, wenn man in Island sechs Prozent angeboten bekam. Jeder kann sich eigentlich ausrechnen, dass man bei einem Wachstum der Volkswirtschaft von sagen wir zwei Prozent keine fünf oder sechs Prozent Zinsen bekommen kann. Wir haben es mit einem Mangel an ökonomischem Wissen zu tun. Wir denken zu sehr in betriebswirtschaftlichen Kategorien und hören zu wenig auf die Volkswirte.
2009 wird ein Superwahljahr. Wenn die Politik nun sagt, es wird für die Wirtschaft ein ganz schlechtes Jahr, kann sie sich rühmen, wenn es wieder aufwärts geht.
Sicher, man kann die Krise politökonomisch ausbeuten. Die Politik bräuchte ihren Abschwung, um dann im Frühjahr zu sagen, jetzt machen wir etwas. Im Sommer könnte man dann zeigen, dass die Maßnahmen gewirkt haben. Dann könnte man damit in der Wahl im September Punkte machen.
Werden sie gelassen auf das neue Jahr anstoßen?
Das denke ich, in der Tat. Das würde ich auch allen raten. Durch unsere sozialen Systeme kann niemand wirklich bodenlos fallen. Und wir haben konjunkturelle Stabilisatoren. Der Durchschnittsbürger geht mit der Lage momentan viel besser um als es das Bild in den Medien zeigt. Die permanenten Stimmen, dass noch mehr passieren müsste halte ich für unverantwortlich. Was wir jetzt brauchen ist mehr Bildung, Kreativität und Zukunftsfreude. Aus Angst zu sparen ist der falsche Weg.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
Prof. Wilfried Fuhrmann (63) hat den
Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie an der Uni Potsdam inne. Seine Schwerpunkte sind Internationale Geld-, Währungs- und Handelsbeziehungen.
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