Landeshauptstadt: Angst und Jubel Als die DDR unterging, herrschten in Potsdam
Eine Ausstellung in der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung zeigt Fotos der Friedlichen Revolution vor 25 Jahren
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Mehr Symbolik geht kaum: Vor einer heruntergekommenen Villa – der Putz am Sockelgeschoss ist in großen Teilen schon nicht mehr vorhanden – steht einsam eine Blechmülltonne. Doch hier wirft keiner mehr den Müll ein, niemand, der in dem einst herrschaftlichen Haus eventuell noch wohnt oder arbeitet, schafft hier seine Kartoffelschalen hin oder leert in dem Blechkübel die Asche von den Kohleöfen aus. Die Mülltonne dient jetzt einem anderen Zweck. Auch er hat etwas mit Abfall zu tun, wenngleich in einem eher ideellen Sinne. Denn er kündet als Vorbote gewissermaßen vom Müllhaufen der Geschichte, auf dem der Staat, in dem sich die Tonne befindet, Monate später landen wird.
„Wegen Baufälligkeit und Sperrung von Teilbereichen des Kreisgerichts Potsdam-Stadt können Bürgeranliegen (Rechtsantragsstelle und Rechtsauskunft) bis auf Weiteres nicht mehr bearbeitet werden. Beschwerden und Eingaben sind an den Oberbürgermeister bzw. Rat des Bezirkes zu richten / Gerichtsverhandlungen finden statt“ – so heißt es auf diesem Schild, das, an die Hauswand der Villa gelehnt, auf der Tonne thront. Die Szene wirkt zugleich fast wie ein Cartoon, mit dem der Zeichner erklären möchte, wie es in einem Land zugeht, das keine Gewaltenteilung kennt: Die Justiz landet im Müll, der Bürger hat bei der Obrigkeit anzuklopfen.
Auf der anderen Seite des Gartens vor der Villa parken zwei Autos, ein Trabant und ein Wartburg – bis eben noch heiß begehrte Güter, deren Marktwert ab jetzt im freien Fall sinken wird.
Mit der Fotokamera im Dezember 1989 aufgenommen und damit für die Nachwelt festgehalten hat diese Szenerie in der Potsdamer Puschkinallee der Fotojournalist Rainer F. Steußloff. Er war damals aus der alten Bundesrepublik angereist, um bei seinen Fahrten quer durch die DDR Aufnahmen von Land und Leuten zu machen. Am 11. Dezember 1989 fotografierte er den Vorgarten des Potsdamer Kreisgerichts in der Puschkinallee. Heute, 25 Jahre danach, ist dieses Schwarz-Weiß-Foto im Ausstellungsraum der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung zu betrachten. Das Bild ist Teil der Ausstellung „25 Jahre Friedliche Revolution“, in der Schwarz-Weiß-Fotografien des damaligen Westdeutschen Rainer F. Steußloff und des Ostdeutschen Klaus D. Fahlbusch ausgestellt sind. Die Fotografen kennen sich seit Jahrzehnten, sind miteinander befreundet. Und doch sei es nun das erste Mal, dass die Arbeiten der beiden Fotografen gemeinsam in einer Ausstellung präsentiert werden, sagte Martina Schellhorn von der Landeszentrale für politische Bildung bei der Ausstellungseröffnung am Dienstagabend.
Ein Vierteljahrhundert nach dieser bewegten Zeit, die ein ganzes politisches System zum Einsturz brachte, gehe es, so Schellhorn, bei der Ausstellung um Erinnerungen, die durch jene Bilder wachgehalten würden – und zugleich um nicht mehr und nicht weniger als um ein Ereignis, das mittlerweile Eingang in die Geschichtsbücher derjenigen gefunden habe, die damals selbst noch gar nicht lebten. Wieland Eschenburg, Ende der 1980er-Jahre selbst in der Bürgerbewegung aktiv, – er initiierte gemeinsam mit Matthias Platzeck und anderen den Wiederaufbau des Belvederes auf dem Pfingstberg – erinnerte in seiner Ansprache anlässlich der Ausstellungseröffnung an die Gefahren, denen die Demonstranten in der DDR Ende 1989 ausgesetzt waren. Eschenburg sprach die Internierungslager an, für die es bereits Pläne gab. Hier sollten in großem Stil missliebige Oppositionelle weggesperrt werden. „Hätten wir so gehandelt, wenn wir gewusst hätten, dass sie die Lager schon vorbereitet hatten?“, fragte der damalige Orgelbauer und heutige Leiter des Cottbuser Oberbürgermeisterbüros am Dienstag in den Kreis der zahlreich erschienenen Gäste. Natürlich, man habe damals geahnt, dass die DDR zuschlagen könnte. Aber Genaues wusste man eben nicht.
Auch wenn die Bürgerproteste bekanntermaßen nicht durch Einsatz von Gewalt erstickt wurden, so gab es doch immer wieder Übergriffe von Polizisten, unter denen zahlreiche Demonstranten zu leiden hatten. Am Abend des 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, habe er am Rande einer großen Demonstration der Opposition in Potsdam gemeinsam mit seiner Familie die Polizisten gesehen, wie sie da mit ihren Schlagstöcken standen. Mehrere Bürger wurden damals verhaftet.
In der Nacht danach habe sich seine Tochter Marie, zu der Zeit fünf Jahre alt, ganz unruhig verhalten, bis sie schließlich aufwachte. Als die Eltern ihre Tochter fragten, warum sie so unruhig sei, habe sie geantwortet: „Ich hab geträumt, die Polizei ist gekommen und hat die Mutti geholt.“ Eschenburg erinnerte an die in vielen Familien damaliger Oppositioneller geübte Praxis, dass sich nur ein Elternteil an den Protesten beteiligt, damit im Falle der Verhaftung der andere noch für die Kinder da ist.
Von dem unbeschreiblichen Jubel, der auf die Sorgen der Demonstranten folgte, als die Mauer schließlich fiel, zeugt ein geradezu magisches Bild des Fotografen Klaus D. Fahlbusch, das ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist. Es zeigt jubelnde Menschen zwischen Autos vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. Die Kirchturmuhr steht auf kurz nach zwei Uhr. Im Hintergrund leuchtet der Mond. Es ist ein Bild von der Nacht der Nächte. Der 10. November des Jahres 1989 ist noch jung, die Mauer erst vor ein paar Stunden eingerissen. Was in den Folgetagen an der Glienicker Brücke geschah, hat Fahlbusch ebenfalls fotografisch festgehalten: Eine große Trabi-Schlange vor der Brücke drängt vom Ausflug nach Westberlin zurück nach Potsdam. Wie sagte doch Eschenburg: „Wir wollten nicht weg.“
Die Ausstellung ist bis zum 26. Februar 2015 in der Landeszentrale für politische Bildung zu sehen, Heinrich-Mann-Allee 107, Haus 17, Zugang über Friedhofsgasse; Öffnungszeiten: Montag bis Mittwoch, 9 - 18 Uhr, sowie Donnerstag und Freitag, 9 - 15 Uhr; Eintritt frei
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